Jetzt könnte manch einer zu Recht meinen, dass ich ziemlich naiv gehandelt hätte. Ja, in diesem Fall habe ich das wohl. Weißt du, Stefan, ich habe darüber natürlich viel nachgedacht. Mein Fehler war, dass ich jemandem komplett vertraute, dass ich glauben wollte, er sei mein Freund, mein Buddy – und zu spät kapiert habe, dass meine Hoffnung falsch war, mit ihm jemanden an meiner Seite zu haben, der es mit unserer Freundschaft ernst meinte.
Gab es für dich denn keine Möglichkeiten, ihn zur Verantwortung zu ziehen? Über einen Anwalt?
Natürlich habe ich einen Anwalt eingeschaltet. Aber es war alles sehr kompliziert und nicht mehr zu durchschauen.
Um welche Summe ging es denn überhaupt?
Es ging um eine siebenstellige Summe. Das ist viel Geld. Womit wir auch wieder bei dem Punkt sind, dass manch einer nun behaupten könnte, ich sei ja nur wegen finanzieller Sorgen auf die Bühne zurückgekehrt.
Na ja, ganz abwegig finde ich solche Behauptungen nicht.
Okay, das kann ich auch verstehen. Deswegen muss ich erklären, was diese Geschichte in mir angerichtet hat. Wegen des Geldes hätte ich nicht auf die Bühne zurückkehren müssen. Wirtschaftlich stand ich sehr gut da. Weißt du, es war die Enttäuschung, die große Enttäuschung über einen Mann, den ich zu meinen besten Freunden in Amerika zählte. Der Gedanke daran, dass ich dieses Problem nicht innerhalb kurzer Zeit aus der Welt schaffen konnte, hat mich innerlich zerrissen. Ich hasse Probleme, die sich über Jahre hinziehen.
In den folgenden Monaten habe ich mich für nichts mehr interessiert. In meinem Kopf herrschte totale Leere. Selbst mein Appetit auf die schönen Dinge war weg. Wenn es etwas Positives gab, dann allenfalls die Tatsache, dass ich innerhalb eines halben Jahres mein ständiges Gewichtsproblem in den Griff bekam: Ich war zehn Kilo leichter. Ein schwacher Trost. Ich lebte nur noch in den Tag hinein. Eigentlich saß ich nur rum und starrte Löcher in die Luft. Keine Pläne. Keine Ziele. Ich hatte nicht mal mehr Lust auf Golf. Wer mich kennt, kann erahnen, was das heißt. Damals riefen mich meine Golfzockerfreunde an und fragten, was los sei. Ich vertröstete sie immer mit irgendwelchen Ausreden. Irgendwann fielen mir aber keine mehr ein.
Von einem Arzt wolltest du dir zu diesem Zeitpunkt noch nicht helfen lassen?
Nein, zu dem Zeitpunkt nicht. Ich war der Meinung, dass ich das alles schon irgendwie selbst meistern könne. Irgendwie. Ein Howard Carpendale macht das schon. Was für ein Trugschluss. Ich war schon längst mitten in meiner tiefen Depression angekommen. Dass meine Frau Donnice in dieser Phase auch schwer mit ihrer Suchtkrankheit zu kämpfen hatte, machte die ganze Situation nicht gerade einfacher. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich nach Deutschland telefonierte, um mit meiner Exfrau Claudia und unserem Sohn Wayne über meine ganzen Probleme zu sprechen. Dann kam dieses Weihnachten 2006. Wayne stand vor meiner Tür in Amerika, um mich abzuholen.
Das hört sich jetzt an wie der Anfang eines Weihnachtsmärchens.
Soll es ruhig. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie stolz ich auf meine Jungs war, bin und immer sein werde. Das Weihnachtsfest 2006 schien eine sehr einsame Angelegenheit zu werden. Donnice war in der Klinik, und unser gemeinsamer Sohn Cass und ich saßen alleine zu Hause. Wir waren nicht gerade in Weihnachtsstimmung. Am Tag vor Heiligabend klingelte es plötzlich an der Tür. Ich öffnete und sah Wayne vor mir.
Wenn ich das heute erzähle, bekomme ich immer noch Gänsehaut. Ein unbeschreibliches Gefühl. Mein Sohn hatte im fernen Deutschland den Entschluss gefasst, zu mir zu fliegen, weil er spürte, dass bei seinem Vater der Punkt erreicht war, an dem er seine Probleme nicht mehr selber meistern konnte. Wayne war zu der Zeit mit Yvonne Catterfeld liiert. Sie musste damals das Weihnachtsfest in Deutschland ohne Wayne verbringen, weil der eine Mission bei seinem Vater zu erfüllen hatte. Na ja, wir haben das Beste aus den Feiertagen gemacht – wie drei Männer eben versuchen, ein kleines Fest zu feiern. Wir redeten und redeten. Für Wayne war klar, dass ich dringend professionelle Hilfe brauchte. „Ich fliege nicht ohne dich nach Deutschland zurück“, gab er mir deutlich zu verstehen. Eine klare Ansage von einem sehr entschlossenen Sohn.
Und Cass?
Genau diese Frage schoss mir damals auch durch den Kopf. Was sollte mit Cass passieren? Der Junge war gerade mal achtzehn Jahre alt, er ging noch zur Schule, sein Leben war bis dahin sehr behütet verlaufen. „Wir müssen eine Wohnung für Cass finden, und das muss schnell gehen“, erklärte Wayne noch immer sehr entschlossen. Er war überzeugt, dass dieser Weg einem Achtzehnjährigen durchaus zuzutrauen sei. Fünf Tage später fand Wayne tatsächlich eine Wohnung für Cass. Jetzt war Wayne der Chef im Ring. Er führte die nötigen Gespräche von Bruder zu Bruder.
Mir tat Cass unglaublich leid, aber der Junge schlug sich mehr als tapfer: „Es ist nicht so schlecht, das wird schon klappen“, meinte er zu mir. Dieser Satz konnte mein Gewissen nur bedingt beruhigen. Mir blieb aber auch keine andere Wahl. Ich wusste, dass Waynes Entscheidung richtig war. Anfang Januar 2007 flogen wir gemeinsam nach Deutschland. Detlev, mein langjähriger Assistent, reiste nach Amerika, um Cass bei der Einrichtung seiner Wohnung zu helfen. Eine weitere kleine Gewissensberuhigung für mich. Wesentlich ruhiger wurde ich allerdings erst, als ich einige Zeit später erfuhr, dass Cass bei den Eltern seiner Schulfreundin einziehen durfte. Ein unendliches Glück, dass diese Familie Cass zur Seite stand.
In Deutschland begann deine Therapie?
Ja. Wayne hatte zuvor mit Marc, dem Psychologen, alles detailliert besprochen. Beide entschieden sich für diesen Weg. Für mich. Für den Weg nach Zist. Ich habe es ja bereits geschildert: eine Klinik ohne Luxus. Ein ganz stiller Ort. Im Januar 2007. Bitterkalt, mitten im Winter. Wayne brachte mich auf direktem Weg vom Flughafen dorthin. Als ich mein kleines Zimmer bezog, brachen bei mir alle Dämme. Ich weinte hemmungslos. Fünfundvierzig Minuten später rief ich Wayne an, dass er mich wieder abholen müsse. Mir erschien es unmöglich, die Zeit dort zu überstehen. Wayne machte sich auf den Weg. In der Zwischenzeit ging ich an die frische Luft, ich musste atmen – und lernte dort einen der Köche kennen. Er machte gerade eine kleine Pause, und wir führten ein zufälliges Gespräch. Manchmal kommt so etwas gerade zur rechten Zeit. Irgendwie fasste ich neuen Mut – und als Wayne vorfuhr, versicherte ich ihm, er könne nun wirklich ohne mich wieder nach München zurückkehren.
Ich nahm sie an – die Herausforderung Zist. In aller Abgeschiedenheit. Andere Bewohner und Patienten nahmen mir die Geschichte ab, dass ich Gast in Zist sei, um ein Buch zu schreiben. Das funktionierte offensichtlich. Nicht mal die Boulevardmedien bekamen davon etwas mit. So konnte ich drei Monate lang sehr gründlich über mein Leben nachdenken.
Mit Erfolg?
In sehr kleinen Schritten und natürlich mit Hilfe von Medikamenten. Ich habe nicht sofort eine Besserung gespürt. Meine Gedanken drehten sich zunächst völlig im Kreis. Ich bekam sie einfach nicht geordnet. Nur die Gedanken an einen Suizid, die bildeten sich in dieser Phase klar heraus. Ich bin sicher, sie wären wahr geworden, wenn ich mein Leben nicht in den Griff bekommen hätte. Niemand würde bei mir auf derartige Gedanken kommen – dachte ich. Einem Top-Psychologen wie Marc konnte ich jedoch kein Theater vorspielen. Er durchschaute mich. Er konnte mich lesen – so wie ein guter Fußballtrainer die Taktik des Gegners liest und exakt analysiert.
Zweimal wöchentlich fuhr ich nach München, um dort Gespräche mit Marc zu führen. Im Zentrum selbst besuchte mich regelmäßig eine sehr freundliche Psychologin. Wir sprachen miteinander – über mein Leben, meine Probleme, meine Karriere, meine Kinder, Donnice und Claudia. In den Anfangswochen war meine Verzweiflung derart groß, dass ich fast bei jedem Gespräch sehr heftig weinen musste. Irgendwie waren diese Tränen aber auch befreiend. Und ganz allmählich spürte ich, dass mein Kopf klarer wurde. Meine Gedanken fanden wieder eine wohltuende Ordnung. Der Nebel in meinem Gehirn lichtete sich. Nach langen Wochen der Leere, Unsicherheit und Verzweiflung empfand ich wieder etwas Stabilität. Ich fühlte mich nun derart stark, dass ich bereit war, wieder auf Tour zu gehen. Willkommen zurück im Leben! So dachte ich zumindest, aber so weit war ich noch nicht.
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