„Ich werde nichts dergleichen tun“, sagte Bount ruhig. „Sie sollten endlich die Polizei informieren. Sonst muss ich das übernehmen.“
„Das hast du nun davon!“, sagte Leslie Harper zu ihrer Freundin.
Joyce Finch zuckte mit den Schultern. „Du bist seine Klientin. Er kann dich nicht in die Pfanne hauen, davon werde ich profitieren. Außerdem spielt er sich nur auf. Er bemüht sich, den Schein zu wahren. Reiniger ist käuflich wie alle anderen. Es ist nur eine Frage des Preises. Also gut – handeln wir ihn aus!“
„Mrs. Harper hat mir eine Komödie vorgespielt“, sagte Bount. „Unter diesen Umständen sehe ich mich außerstande, weiterhin ihre Interessen zu wahren.“
„Er meint es ernst“, sagte Leslie Harper.
„Dann“, erklärte Joyce Finch und zog mit raschem Griff ihre Pistole unter dem losen Sitzkissen des Sessels hervor, „müssen wir die Konsequenzen ziehen. Es spielt schließlich keine Rolle, ob wir dem Meer eine oder zwei Leichen anvertrauen.“
Bount grinste. Das Grinsen fiel ihm nicht leicht. Er spürte, dass Joyce Finch eine sehr merkwürdige Einstellung zum Wert des menschlichen Lebens hatte. Er schätzte die Entfernung ab. die zwischen ihm und der Waffe in Joyces Hand lag und kam zu dem Schluss, dass er sie nicht einmal mit einem Panthersprung überbrücken konnte.
„Ich bin Profi“, sagte er. „Nach den Schüssen habe ich nicht nur mit Ihnen telefoniert. Man weiß, wo ich mich im Augenblick befinde.“
„Er blufft“, sagte Joyce Finch.
„Da bin ich mir nicht sicher“, meinte Leslie Harper mit schmal gewordenen Augen.
„Was wird hier gespielt?“, fragte Bount.
Joyce Finch lachte höhnisch. „Der große Detektiv! Er ist noch immer nicht dahintergekommen.“
„Lege die Pistole aus der Hand, bitte“, drängte Leslie Harper. Ihre Lippen zuckten nervös. „So kann es einfach nicht weitergehen, Joyce. Wir wollten ein Syndikat gründen, keine Killerclique!“
„Wir haben uns geschworen, vor nichts zurückzuschrecken“, sagte Joyce Finch. „Vor nichts! Was Männer fertigbringen, schaffen wir auch, nur machen wir es besser, das hast du selber gesagt, nicht wahr? Und wir haben dir applaudiert!“
„Du hast das falsch verstanden“, meinte Leslie Harper gequält. „Ich wollte es diesen Kerlen zeigen, sicher, aber doch nicht so! Ich wollte vor allem gerissener sein als sie – nicht unbedingt brutaler!“
„Wenn du nicht brutaler als sie sein kannst, hast du verloren, dann haben wir alle verloren, das muss dir doch klar sein“, meinte Joyce Finch.
Bount löste sich von der Wand. Er machte einen Schritt nach vorn. Joyce Finch riss die Waffe hoch, ihr Finger erreichte den Druckpunkt des Abzugs, sie zielte geradewegs auf Bounts Herz. „Stehenbleiben!“, sagte sie scharf. „Noch eine Bewegung und ich ziehe durch!“
Bount stoppte. Er sah, dass die junge Frau es ernst meinte. Leslie Harper erhob sich. Sie streckte die Hand nach der Waffe aus.
„Gib sie mir, bitte!“
„Willst du ihn umlegen?“
„Ich will, dass wir mit diesem Unsinn Schluss machen“, sagte Leslie Harper.
„Das ist Verrat, wir können nicht mehr zurück“, meinte Joyce Finch. „Für uns gibt es nur eines: die Flucht nach vorn.“
„Gib mir die Pistole, los!“
„Seien Sie vorsichtig“, warnte Bount. Er spürte, dass Leslie Harper sich in tödlicher Gefahr befand und nicht bereit war, sich ihr zu entziehen. Alles in ihm drängte danach, das Ganze in den Griff zu bekommen, aber Joyces Finger am Druckpunkt und die beherrschte, eisige Kälte in ihrem Wesen ließen es nicht geraten erscheinen, in diesem Moment etwas zu unternehmen.
„Wir werden ihm alles erklären“, sagte Leslie Harper. „Er kann, er wird uns helfen.“
„Du hast gehört, was er sagte!“
„Ich nehme das nicht ernst“, meinte Leslie Harper.
„Du bist eine Närrin. Dich muss man vor vollendete Tatsachen stellen“, erklärte Joyce Finch. „Ich lege ihn um!“
Sie zielte. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Bount die Gewissheit zu haben, dass er verloren hatte, dass alles aus und vorbei war, aber dann geschah das Unerwartete und zugleich Entsetzliche: Leslie Harper warf sich der Freundin entgegen, und Joyce Finch drückte ab.
Leslie Harper brach zusammen wie vom Blitz getroffen.
Bount schnellte nach vorn. Mit einem Handkantenschlag fegte er der jungen Frau die Pistole aus der Hand. Joyce Finch stieß einen Schrei aus, gemischt aus Wut und Schmerz, sie umklammerte ihr Handgelenk und fiel zurück in den Sessel.
Bount hob die Waffe auf, schob sie in seine Tasche und beugte sich über Leslie Harper. Sie lebte noch. Er sprang zum Telefon, wählte die Telefonnummer und sagte: „Sofort eine Ambulanz mit Arzt zum Hause Battery Park 11.“ Er ließ sich die Adresse bestätigen, dann legte er auf.
Bount Reiniger verstand noch immer nicht alles, was geschehen war, aber er fing an, die Hintergründe der Ereignisse zu begreifen.
Battery Park, seine Vornehmheit, sein Reichtum und die Zwänge seiner Umgebung hatten drei junge Frauen zu Kriminellen werden lassen. Sie hatten die luxuriöse Öde ihres Daseins mit explosiver Spannung anfüllen und ihre Langeweile mit der eher absurden als originellen Idee töten wollen, ein von Frauen geleitetes Syndikat zu gründen.
Es schien, als habe Joyce Finch seine Gedanken erraten. Sie starrte immer noch ins Leere, als sie leise sagte: „Was wissen Sie denn von uns? Was wissen Sie von den Demütigungen, die wir ständig hinnehmen müssen? Es gibt Leute, die uns beneiden. Die Goldpuppen vom Battery Park! Ich sage Ihnen, wie es wirklich ist. Man hält uns wie Vögel im Käfig, auch wenn es so scheint, als hätten wir alle Freiheiten. Unsere Männer lieben das Geld, den Erfolg, ihren Beruf. Uns lieben sie nicht. Wir sind für sie nur Aushängeschilder, ein Stück Repräsentation. Sie geben an mit uns, aber in Wahrheit halten sie uns für dumm und untüchtig, für Menschen zweiter Klasse. Ist es da ein Wunder, dass sich in uns Sprengstoff ansammelte – der Wille, es den Männern zu zeigen, der ganzen, verdammten Welt, die ein solches Männerregime zulässt?“
„Für Mord gibt es keine Entschuldigung“, sagte Bount und kniete sich neben Leslie Harper auf den Boden.
„Wer hat Jessica Thorpe auf dem Gewissen?“, fragte Bount. Er drehte die Verletzte behutsam auf die Seite. Leslie Harper stöhnte. Sie hielt die Augen geschlossen. Die Kugel war knapp eine Handbreit unterhalb der rechten Schulter in den Körper eingedrungen. Die Wunde blutete nur mäßig, es bestand keine Lebensgefahr.
Joyce Finch antwortete nicht. Sie kaute auf der Unterlippe herum und war sichtlich bemüht, eine schwierige Entscheidung zu treffen.
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