Ich habe in keinem Erdtheile, selbst nicht auf den canarischen Inseln oder in Spanien oder im südlichen Frankreich, herrlicheres Obst, besonders schönere Weintrauben, gesehen als in Astrachan nahe den Ufern des caspischen Meeres (46° 21’). Bei einer mittleren Temperatur des Jahres von etwa 9° steigt die mittlere Sommerwärme auf 21°,2, wie um Bordeaux: während nicht bloß dort, sondern noch weiter südlich, zu Kislar an der Terek-Mündung (in den Breiten von Avignon und Rimini), das Thermometer im Winter auf -25° und -30° herabsinkt.
Irland, Guernsey und Jersey, die Halbinsel Bretagne, die Küsten der Normandie und des südlichen Englands liefern durch die Milde ihrer Winter, die niedrige Temperatur und den nebelverschleierten Himmel ihrer Sommer den auffallendsten Contrast mit dem Continental-Klima des inneren östlichen Europa’s. Im Nordosten Irlands (54° 56’), unter Einer Breite mit Königsberg in Preußen, vegetirt die Myrte üppig wie in Portugal. Der Monat August, welcher in Ungarn 21° erreicht, hat in Dublin (auf derselben Isotherme von 9°½) kaum 16°; die mittlere Winterwärme, die in Ofen zu -2°,4 herabsinkt, ist in Dublin (bei der geringen Jahreswärme von 9°,5) noch 4°,3 über dem Gefrierpunkt: d. i. noch 2° höher als in Mailand, Pavia, Padua und der ganzen Lombardei, wo die mittlere Jahreswärme volle 12°,7 erreicht. Auf den Orkney’sInseln (Stromneß), keinen halben Grad südlicher als Stockholm, ist der Winter 4°: also wärmer als in Paris, fast so warm als in London. Selbst auf den Färöer-Inseln in 62° Breite gefrieren unter dem begünstigenden Einflusse der Westwinde und des Meeres die Binnenwasser nie. An der lieblichen Küste von Devonshire, wo der Hafen Salcombe wegen seines milden Klima’s das Montpellier des Nordens genannt worden ist, hat man Agave mexicana im Freien blühen; Orangen, die an Spalieren gezogen und kaum mit Matten geschützt wurden, Früchte tragen sehen. Dort, wie zu Penzance und Gosport und an der Küste der Normandie zu Cherbourg steigt die mittlere Winter-Temperatur über 5°,5: d. i. nur 1°,3 weniger hoch als die Winter von Montpellier und Florenz. Humboldt sur les Lignes isothermes in den Mémoires de physique et de chimie de la Société d’Arcueil T. III. Paris 1817 p. 143–165; Knight in den Transactions of the Horticultural Society of London Vol. I. p. 32; Watson , remarks on the geographical distribution of British Plants 1835 p. 60; Trevelyan in Jameson’s Edinb. new Philos. Journal Vol. 18. 1835 p. 154; Mahlmann in seiner vortrefflichen deutschen Uebersetzung und Bearbeitung meiner Asie centrale Th. II. S. 60. Die hier angedeuteten Verhältnisse zeigen, wie wichtig für die Vegetation, den Ackerbau, die Obstcultur und das Gefühl klimatischer Behaglichkeit die so verschiedene Vertheilung einer und derselben mittleren Jahres-Temperatur unter die verschiedenen Jahreszeiten ist.
Die Linien, welche ich Isochimenen und Isotheren (Linien gleicher Winter-und Sommerwärme) nenne, sind keinesweges den Isothermen (Linien gleicher Jahres-Temperatur) parallel. Wenn da, wo Myrten wild wachsen und die Erde sich im Winter nie bleibend in Schnee einhüllt, die Temperatur des Sommers und Herbstes nur noch (man möchte fast sagen: kaum noch) hinlänglich ist Aepfel zur vollen Reife zu bringen; wenn die Weinrebe, um trinkbaren Wein zu geben, die Inseln und fast alle Küsten (selbst die westlichen) flieht: so liegt der Grund davon keinesweges allein in der geringeren Sommerwärme des Littorals, die unsere im Schatten der Luft ausgesetzten Thermometer anzeigen; er liegt in dem bisher so wenig beachteten und doch in anderen Erscheinungen (der Entzündung eines Gemisches von Chlor und Wasserstoffgas) so wirksamen Unterschiede des directen und zerstreuten Lichtes, bei heiterem oder durch Nebel verschleiertem Himmel. Ich habe seit langerZeit »Haec de temperie aeris, qui terram late circumfundit, ac in quo, longe a solo, instrumenta nostra meteorologica suspensa habemus. Sed alia est caloris vis, quem radii solis nullis nubibus velati, in foliis ipsis et fructibus maturescentibus, magis minusve coloratis, gignunt, quemque, ut egregia demonstrant experimenta amicissimorum Gay-Lussacii et Thenardi de combustione chlori et hydrogenis, ope thermometri metiri nequis. Etenim locis planis et montanis, vento libe spirante, circumfusi aeris temperies eadem esse potest coelo sudo vel nebuloso; ideoque ex observationibus solis thermometricis, nullo adhibito Photometro, haud cognosces, quam ob causam Galliae septentrionalis tractus Armoricanus et Nervicus, versus littora, coelo temperato sed sole raro utentia, Vitem fere non tolerant. Egent enim stirpes non solum caloris stimulo, sed et lucis, quae magis intensa locis excelsis quam planis, duplici modo plantas movet, vi sua tum propria, tum calorem in superficie earum excitante.« ( Humboldt de distributione geographica Plantarum 1817 p. 163–164.) die Aufmerksamkeit der Physiker und Pflanzen-Physiologen auf diese Unterschiede, auf die ungemessene örtlich in der belebten Pflanzenzelle durch directes Licht entwickelte Wärme zu leiten gesucht.
Wenn man in der thermischen Scale der Culturarten Humboldt a. a. O. p. 156–161; Meyen in seinem Grundriß der Pflanzengeographie 1836 S. 379–467; Boussingault , Économie ruurale T. II. p. 675. von denen anhebt, die das heißeste Klima erfordern: also von der Vanille, dem Cacao, dem Pisang und der Cocos-Palme zu Ananas, Zuckerrohr, Caffee, fruchttragenden Dattelbäumen, Baumwolle, Citronen, Oelbaum, ächten Kastanien, trinkbarem Weine herabsteigt; so lehrt die genaue geographische Betrachtung der Culturgrenzen gleichzeitig in der Ebene und an dem Abhange der Berge, daß hier andere klimatische Verhältnisse als die mittlere Temperatur des Jahres wirken. Um nur des einzigen Beispiels des Weinbaues zu erwähnen: so erinnere ich, daß, um trinkbaren Hier folgt eine die europäische Weincultur erläuternde Tabelle in absteigender Scale, gleichsam die Verschlechterung des Weines nach Maaßgabe der klimatischen Verhältnisse darstellend. S. meine Asie centrale T. III. p. 159. Den Beispielen, welche im Text des Kosmos über die Weincultur bei Bordeaux und Potsdam gegeben worden, sind noch die numerischen Verhältnisse der Rhein-und Maingegenden (Br. 48° 35’ – 50° 7’) beigefügt. Cherbourg (Normandie) und Irland offenbaren am deutlichsten, wie bei Temperatur-Verhältnissen, welche von denen des innern Landes nach Angabe der im Schatten beobachteten Thermometer wenig verschieden sind, die Pflanze bei heiterem sonnigen oder durch Nebel verschleiertem Himmel reife oder unreife Früchte trägt.
Orte |
Breite |
Höhe in Toisen |
|
Jahr |
|
Winter |
Früh- jahr |
Sommer |
Herbst |
|
Beobach- tungs- jahre |
|
Bordeaux |
44°50’ |
4 |
|
13°,9 |
|
6°,1 |
13°,4 |
21°,7 |
14°,4 |
|
10 |
Strasburg |
48 35 |
75 |
|
9 ,8 |
|
1 ,2 |
10 ,0 |
18 ,1 |
10 ,0 |
|
35 |
Heidelberg |
49 24 |
52 |
|
9 ,7 |
|
1 ,1 |
10 ,0 |
17 ,9 |
9 ,9 |
|
20 |
Manheim |
49 29 |
47 |
|
10 ,3 |
|
1 ,5 |
10 ,4 |
19 ,5 |
9 ,8 |
|
12 |
Würzburg |
49 48 |
88 |
|
10 ,1 |
|
1 ,6 |
10 ,2 |
18 ,7 |
9 ,7 |
|
27 |
Frankfurt a. M. |
50 7 |
60 |
|
9 ,6 |
|
0 ,8 |
10 ,0 |
18 ,0 |
9 ,7 |
|
19 |
|
Berlin |
52 31 |
16 |
|
8 ,6 |
|
-0 ,6 |
8 ,1 |
17 ,5 |
8 ,6 |
|
22 |
Cherbourg kein Wein |
49 39 |
0 |
|
11 ,2 |
|
5 ,2 |
10 ,4 |
16 ,5 |
12 ,5 |
|
3 |
Dublin |
53 23 |
0 |
|
9 ,5 |
|
4 ,6 |
8 ,4 |
15 ,3 |
9 ,8 |
|
13 |
Die große Uebereinstimmung in der Vertheilung der Jahreswärme unter die verschiedenen Jahreszeiten, welche die Angaben vom Rhein-und Mainthale darbieten, zeugt für die Genauigkeit der angewandten meteorologischen Beobachtungen. Als Winter sind, wie in meteorologischen Tabellen am vortheilhaftesten ist, die Monate December, Januar und Februar gerechnet. Die Thermometergrade sind, wie im ganzen Kosmos , in hunderttheiliger Scale. Wenn man die Qualität der Weine in Franken oder den baltischen Ländern mit der mittleren Temperatur der Sommer-und Herbstmonate um Würzburg und Berlin vergleicht, so ist man fast verwundert nur 1° bis 1°,2 Unterschied zu finden; aber die Frühlings-Temperaturen sind um 2° verschieden; und die Blüthezeit der Rebe bei späten Maifrösten, nach einem ebenfalls um 2° kälteren Winter, ist ein eben so wichtiges Element als die Zeit der späten Reife der Traube und die Wirkung des directen , nicht zerstreuten ( diffusen ) Lichtes bei unverdeckter Sonnenscheibe. Der im Text berührte Unterschied zwischen der wahren oberflächlichen Boden-Temperatur und den Angaben eines im Schatten beobachteten geschützten Thermometers ist von Dove durch funfzehnjährige Resultate aus dem Garten zu Chiswick bei London ergründet worden. ( Bericht über die Verhandl. der Berl. Akad. der Wiss. August 1844 S. 285.)
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