Bei der Aufzählung der Ursachen, welche Störungen in der Gestalt der Isotherme hervorbringen, unterscheide ich die temperaturerhöhenden und temperatur-vermindernden Ursachen. Zu der ersten Classe gehören: die Nähe einer Westküste in der gemäßigten Zone; die in Halbinseln zerschnittene Gestaltung eines Continents, seine tiefeintretenden Busen und Binnenmeere; die Orientirung, d. h. das Stellungsverhältniß eines Theils der Feste: entweder zu einem eisfreien Meere, das sich über den Polarkreis hinaus erstreckt, oder zu einer Masse continentalen Landes von beträchtlicher Ausdehnung, welches zwischen denselben Meridianen unter dem Aequator oder wenigstens in einem Theile der tropischen Zone liegt; ferner das Vorherrschen von Süd-und Westwinden an der westlichen Grenze eines Continents in der gemäßigten nördlichen Zone; Gebirgsketten, die gegen Winde aus kälteren Gegenden als Schutzmauern dienen; die Seltenheit von Sümpfen, die im Frühjahr und Anfang des Sommers lange mit Eis belegt bleiben, und der Mangel an Wäldern in einem trockenen Sandboden; endlich die stete Heiterkeit des Himmels in den Sommermonaten: und die Nähe eines pelagischen Stromes, wenn er Wasser von einer höheren Temperatur, als das umliegende Meer besitzt, herbeiführt.
Zu den, die mittlere Jahres-Temperatur verändernden, kälteerregenden Ursachen zähle ich: die Höhe eines Orts über dem Meeresspiegel, ohne daß bedeutende Hochebenen auftreten; die Nähe einer Ostküste in hohen und mittleren Breiten, die massenartige (compacte) Gestaltung eines Continents ohne Küstenkrümmung und Busen, die weite Ausdehnung der Feste nach den Polen hin bis zu der Region des ewigen Eises (ohne daß ein im Winter offen bleibendes Meer dazwischen liegt); eine Position geographischer Länge, in welcher der Aequator und die Tropenregion dem Meere zugehören: d. i. den Mangel eines festen, sich stark erwärmenden, wärmestrahlenden Tropenlandes zwischen denselben Meridianen als die Gegend, deren Klima ergründet werden soll; Gebirgsketten, deren mauerartige Form und Richtung den Zutritt warmer Winde verhindert: oder die Nähe isolirter Gipfel, welche längs ihren Abhängen herabsinkende kalte Luftströme verursachen; ausgedehnte Wälder: welche die Insolation des Bodens hindern, durch Lebensthätigkeit der appendiculären Organe (Blätter) große Verdunstung wäßriger Flüssigkeit hervorbringen, mittelst der Ausdehnung dieser Organe die durch Ausstrahlung sich abkühlende Oberfläche vergrößern, und also dreifach: durch Schattenkühle, Verdunstung und Strahlung, wirken; häufiges Vorkommen von Sümpfen, welche im Norden bis in die Mitte des Sommers eine Art unterirdischer Gletscher in der Ebene bilden; einen nebligen Sommerhimmel, der die Wirkung der Sonnenstrahlen auf ihrem Wege schwächt; endlich einen sehr heiteren Winterhimmel, durch welchen die Wärmestrahlung begünstigt wird Humboldt , recherches sur les causes des inflexions des Lignes isothermes in der Asie centr. T. III. p. 103–114, 118, 122, 188..
Die gleichzeitige Thätigkeit der störenden (erwärmenden oder erkältenden) Ursachen bestimmt als Total-Effect (besonders durch Verhältnisse der Ausdehnung und Configuration zwischen den undurchsichtigen continentalen und den flüssigen oceanischen Massen) die Inflexionen der auf die Erdoberfläche projicirten Isothermen. Die Perturbationen erzeugen die convexen und concaven Scheitel der isothermen Curven. Es giebt aber störende Ursachen verschiedener Ordnung ; jede derselben muß anfangs einzeln betrachtet werden; später, um den Total-Effect auf die Bewegung (Richtung, örtliche Krümmung) der Isothermen-Linie zu ergründen, muß gefunden werden, welche dieser Wirkungen, mit einander verbunden, sich modificiren , vernichten oder aufhäufen (verstärken): wie das bekanntlich bei kleinen Schwingungen geschieht, die sich begegnen und durchkreuzen. So ist der Geist der Methode, der es, wie ich mir schmeichle, einst möglich werden wird unermeßliche Reihen scheinbar isolirt stehender Thatsachen mit einander durch empirische, numerisch ausgedrückte Gesetze zu verbinden und die Nothwendigkeit ihrer gegenseitigen Abhängigkeit zu erweisen.
Da als Gegenwirkung der Passate (der Ostwinde der Tropenzone) in beiden gemäßigten Zonen West-oder West-Süd-West-Winde die herrschenden Luftströmungen sind und da diese für eine Ostküste Land, für eine Westküste Seewinde sind (d. h. über eine Fläche streichen, die wegen ihrer Masse und des Herabsinkens der erkalteten Wassertheilchen keiner großen Erkältung fähig ist); so zeigen sich, wo nicht oceanische Strömungen dem Littorale nahe auf die Temperatur einwirken, die Ostküsten der Continente kälter als die Westküsten . Cook’s junger Begleiter auf der zweiten Erdumseglung, der geistreiche Georg Forster, welchem ich die lebhafteste Anregung zu weiten Unternehmungen verdanke, hat zuerst auf eine recht bestimmte Weise auf die Temperatur-Unterschiede der Ost-und Westküsten in beiden Continenten, wie auf die Temperatur-Aehnlichkeit der Westküste von Nordamerika in mittleren Breiten mit dem westlichen Europa aufmerksam gemacht. Georg Forster, kleine Schriften Th. III. 1794 S. 87; Dove in Schumacher’s Jahrbuch für 1841 S. 289; Kämtz, Meteorologie Bd. II. S. 41, 43, 67 und 96; Arago in den Comptes rendus de l’Ac. des Sc. T. I. p. 268.
Selbst in nördlichen Breiten geben sehr genaue Beobachtungen einen auffallenden Unterschied zwischen der mittleren Jahres-Temperatur der Ost-und Westküste von Amerika. Diese Temperatur ist zu Nain in Labrador (Br. 57° 10’) volle 3°,8 unter dem Gefrierpunkte, während sie an der Nordwest-Küste in Neu-Archangelsk im russischen Amerika (Br. 57° 3’) noch 6°,9 über dem Gefrierpunkte ist. An dem ersten Orte erreicht die mittlere Sommer-Temperatur kaum 6°,2, während sie am zweiten noch 13°,8 ist. Peking (39° 54’) an der Ostküste von Asien hat eine mittlere Jahres-Temperatur (11°,3), die über 5° geringer ist als die des etwas nördlicher liegenden Neapels. Die mittlere Temperatur des Winters in Peking ist wenigstens 3° unter dem Gefrierpunkt, wenn sie im westlichen Europa, selbst zu Paris (48° 50’), volle 3°,3 über dem Gefrierpunkt erreicht. Peking hat also eine mittlere Winterkälte, die 2°½ größer ist als das 17 Breitengrade nördlichere Kopenhagen.
Wir haben schon oben der Langsamkeit gedacht, mit welcher die große Wassermasse des Oceans den TemperaturVeränderungen der Atmosphäre folgt, und wie dadurch das Meer temperatur-ausgleichend wirkt. Es mäßigt dasselbe gleichzeitig die Rauheit des Winters und die Hitze des Sommers. Daraus entsteht ein zweiter wichtiger Gegensatz: der zwischen dem Insel - oder Küsten-Klima , welches alle gegliederte , busen-und halbinselreiche Continente genießen; und dem Klima des Inneren großer Massen festen Landes. Dieser merkwürdige Gegensatz ist in seinen mannigfaltigen Erscheinungen, in seinem Einflusse auf die Kraft der Vegetation und das Gedeihen des Ackerbaues, auf die Durchsichtigkeit des Himmels, die Wärmestrahlung der Erdoberfläche und die Höhe der ewigen Schneegrenze zuerst in Leopolds von Buch Werken vollständig entwickelt worden. Im Inneren des asiatischen Continents haben Tobolsk, Barnaul am Obi und Irkutsk Sommer wie in Berlin, Münster und Cherbourg in der Normandie; aber diesen Sommern folgen Winter, in welchen der kälteste Monat die schreckhafte Mittel-Temperatnr von -18° bis -20° hat. In den Sommermonaten sieht man wochenlang das Thermometer auf 30° und 31°. Solche Continental-Klimate sind daher mit Recht von dem, auch in Mathematik und Physik so erfahrenen Buffon excessive genannt worden; und die Einwohner, welche in Ländern der excessiven Klimate leben, scheinen fast verdammt, wie Dante Dante , Divina Commedia , Purgatorio canto III. im Purgarorio singt, a sofferir tormenti daldi e geli.
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