Da sie seinem Zorn entgehen wollte, mistete sie die Box in Rekordzeit aus und schaffte es, die Schubkarre auf dem Misthaufen auszuleeren, noch bevor Darren fertig war.
Big Red stampfte mit den Hufen auf und machte einen Schritt zur Seite, als sie ihn putzte, doch alles in allem schien er relativ gelassen. Obwohl er ihr so nahe war, ignorierte Darren sie ganz bewusst und sah nicht einmal in ihre Richtung. Den Sattel auf Big Reds Rücken richtig zu platzieren war nicht ganz einfach, da er so groß war, doch sie schaffte es. Als die anderen Reiter aufgesessen waren und auf dem Weg zur Bahn waren, erschien Tom, Clays Vater und Stallbesitzer, neben ihr, um ihr in den Sattel zu helfen.
Big Red bewegte sich wundervoll. Seine langen Beine streckten sich und sie flogen nur so über die Bahn mit seinen geschmeidigen, flüssigen Schritten. Noch hatten sie die Höchstgeschwindigkeit nicht erreicht und die schiere Kraft dieses Pferdes nahm ihr den Atem. Sie konnte spüren, wie sich jeder Muskel in seinem Körper zusammenzog, als seine kraftvollen Hinterbeine sie vorwärtstrieben. Genau deshalb habe ich so hart für diesen Job gekämpft!, jubelte ihre innere Stimme. Das ist so großartig!
Reiten, und besonders schnell reiten, war ihre Lieblingsbeschäftigung. Es war einfach natürlich für sie wieder im Sattel zu sitzen, und während sie sich im Takt mit den Schritten des Wallachs bewegte, entspannte sie sich und genoss die Freiheit, dass sie nicht ticcte. Der Wind rauschte an ihr vorbei und sie warf ihren Kopf zurück und lachte, glücklich darüber, dass sie wieder reiten und das tun konnte, was sie liebte.
Zum Ende des Trainings versuchte sie, Big Red zu bremsen, doch das große Pferd ignorierte sie und galoppierte weiter. Mist, dachte sie. Ich wette, Clay wusste, dass das passieren würde und versucht damit zu beweisen, dass er recht hat! Doch das machte sie nur noch entschlossener. Sie hatte es noch nie ausstehen können, wenn Leute ihr gesagt hatten, dass sie etwas nicht tun konnte, und das war ihr schon einige Male in der Vergangenheit passiert – entweder wegen ihres Tourettes oder weil sie eine kleine Frau war. Sie zog wieder an den Zügeln. Sie hatte schon früher gesehen, wenn Pferde durchgegangen waren, Zäune beschädigt, sich selbst und ihre Reiter verletzt hatten, und das gab ihr die Kraft, die sie brauchte, um das große, starke Pferd zu kontrollieren.
„Ho, mein Großer“, rief sie. „Du musst mir hier schon helfen!“ Sie machte sie schwer in den Steigbügeln, lehnte sich im Sattel zurück und zog so stark sie konnte an den Zügeln, während sie im Wechsel den linken und rechten Zügel zog und mit dem Wallach redete. Langsam begann das große Pferd auf ihre Führung anzusprechen und fiel zuerst in einen leichten Galopp und dann in Trab. „Guter Junge“, lobte sie ihn und streichelte ihm sanft den Nacken, während sie immer noch tief im Sattel saß, um ihm zu zeigen, dass er noch langsamer werden musste. Er schnaubte laut und machte einen Schritt zur Seite. Im Schritt brachte ihn sie ihn zurück zum Stall.
Ha ha, Clay, ich habs geschafft! Ich habe deinen Test bestanden – ich habe Big Red unter Kontrolle bekommen!, rief ihre innere Stimme triumphierend. Ich habs geschafft!
* * *
Die Arbeit auf der Bahn war wesentlich anstrengender als sie in Erinnerung hatte. Entweder das oder sie war durch die Pause, die sie eingelegt hatte, schlechter in Form, als sie gedacht hatte. Egal wie, sie freute sich auf eine kurze Pause im Aufenthaltsraum mit einer Tasse Kaffee, bevor sie weiter ausmistete.
„Wir bekommen ein neues Pferd“, informierte Clay sie. „Ein Stutfohlen. Sie wurde fürchterlich misshandelt und lässt niemanden an sich heran, aber Paps hat sie trotzdem aufgenommen, um zu sehen, ob wir ihr helfen können. Sie hat einen guten Stammbaum und sollte auch Rennen laufen können, doch das geht nur, wenn wir sie dazu bekommen, ihre Angst zu überwinden. Komm und schau zu, wenn du magst.“
„Wie heißt sie?“
„Rose. Sapphire Rose.“
Sie folgte Clay nach draußen und lehnte sich gegen die hölzerne Umrandung des Round Pens und sah zu, wie Tom den Anhänger dirigierte, um ihn so nah wie möglich an das Tor heranzubekommen. Ihr lief ein Schauer den Rücken hinunter, als sie das Geräusch von Hufen hörte, die gegen die Seite des Anhängers schlugen und das schrille Wiehern des Pferdes. Das arme Pferd klang vollkommen verängstigt!
„Ich dachte, du hättest gesagt, sie wäre ruhig gestellt?“ Clays tiefe Stimme erklang direkt hinter ihr.
„Es hat nicht gehalten“, schnaubte einer der Fahrer. „Sie ist gefährlich. Ihr seid verrückt, wenn ihr sie aufnehmen wollt. Sie hätte eingeschläfert werden sollen.“
„Hmmm“, machte Clay und es klang wie Zustimmung, als er sich gegen die Umrandung neben ihr lehnte.
„Nein!“, keuchte Bianca. „Sie ist nur verängstigt. Bitte gebt ihr eine Chance!“
Clay klopfte ihr leicht auf die Schulter und zwang ein Lächeln auf seine Lippen. „Werden wir.“
Bianca sah mit vor Schreck geweiteten Augen zu, wie einer der Männer sich mit einem großen Stock in den Anhänger beugte und das Fohlen die Rampe hinunter und ihn den Round Pen scheuchte. Es kostete sie ihre gesamte Willenskraft, den Mund zu halten, statt ihn anzuschreien; und es war ein Kampf, nicht über den Zaun zu steigen und sich auf ihn zu stürzen. Was war falsch daran, freundlich zu sein? Doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben und nichts zu sagen. Sie konnte nichts sagen, nicht, wenn Tom und Clay zusahen.
Die Stute war wunderschön. Obwohl sie fürchterlich aussah – bis auf die Knochen abgemagert, gebrochen und misshandelt – hielt sie ihren Kopf und Schweif hoch, als sie durch den kleinen Pen stolzierte und laut durch geblähte Nüstern schnaubte. Sie war hellbraun, hatte eine weiße Blässe und drei weiße Socken; sie wirkte kaum älter als zwei Jahre.
Als sie an ihnen vorbeigaloppierte, entdeckte Bianca eine blutende, offene Wunde unter ihrer Stirnlocke und Peitschenstriemen auf ihrem ganzen Körper, von der Flanke bis zur Schulter. Sie keuchte und spürte, wie sich Clay neben ihr versteifte.
Sie beobachtete von außen, wie Tom mit ausgestreckter Hand zwischen ihnen durchschlüpfte, doch die Stute ließ ihn nicht an sich heran. Sobald er den Round Pen betrat, legte sie die Ohren an, zeigte die Zähne und stürmte auf ihn zu und schlug mit den Vorderhufen aus, als sie nahe genug vor ihm war. Sie hörte Clay leise fluchen, als Tom sich wegduckte und geradeso einem Treffer auswich, bevor er sich hinter der Absperrung in Sicherheit brachte.
„Sie wurde brutal behandelt“, bemerkte Clay.
Bianca war übel. Was hatte das arme Pferd nur durchmachen müssen, dass es so reagierte? Wenn man von der Wunde an seinem Kopf ausging, war es offenbar mit einer Art Knüppel geschlagen worden, doch was hatten sie noch mit ihm gemacht? Sie kämpfte eine Welle der Übelkeit nieder, die in ihr aufwallte, als sie daran dachte, was dieses Pferd alles hatte ertragen müssen.
Tom schüttelte traurig den Kopf. „Sie ist noch schlimmer dran, als ich dachte“, stellte er fest. „Ich gehe und rufe jetzt die Besitzer an und dann bestelle ich den Tierarzt für heute Nachmittag, damit er sie einschläfert. Wir können hier kein solches Pferd brauchen; sie könnte jemanden umbringen.“
„Nein!“, rief Bianca. „Bitte, lassen Sie es mich versuchen.“
Tom nickte, doch Clay schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall! Das ist viel zu gefährlich! Du hast doch gesehen, was sie gerade mit Paps gemacht hat!“
Bianca ignorierte Clay, kletterte in den Pen und hielt den Atem an, als sie sich in die Mitte des Round Pens stellte und sich dann nicht mehr bewegte. Sie war sich sehr genau bewusst, was das Fohlen macht, doch sie konzentrierte sich darauf, dass ihre Körpersprache einladend wirkte und hielt den Blick gesenkt, als sie eine Hand nach dem Pferd ausstreckte. Das Fohlen kam langsam, vorsichtig auf sie zu; es schnaubte laut und blähte die Nüstern. Bianca blieb stehen. Behutsam streckte die Stute ihre Nase aus und Bianca rieb sanft die samtweiche Nase.
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