„Da der Gouverneur sich an Bord frei bewegen durfte“, fügte der Sargento hinzu, „konnte ich natürlich nicht ahnen, daß …“
Cubera schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.
„Diesen Umstand haben Sie nicht zu verantworten. Folglich brauchen Sie auch keine Wertung der Zusammenhänge vorzunehmen. Sie haben sich keinen Verhaltensfehler vorzuwerfen. Der Situation entsprechend konnten Sie nicht anders handeln, als Sie es getan haben. Was Sie betrifft, ist der Fall erledigt. Begeben Sie sich wieder auf Ihren Posten.“
Die beiden Männer starrten den Capitán einen Moment ungläubig an. Dann strahlten sie, salutierten und eilten erfreut hinaus:
Kurz nacheinander trafen die Kommandanten und Offiziere der übrigen Schiffe ein. Stumm und mit knappen Handbewegungen forderte Cubera sie auf, am Tisch Platz zu nehmen. Schließlich, als die Besprechungsrunde vollzählig war, setzte er sich selbst an das Kopfende.
Auf Cuberas Handzeichen hin schilderte der Erste Offizier der „San José“, was sich abgespielt hatte. Die Zuhörer zeigten deutliche Betroffenheit.
„Der Tatbestand der Fahnenflucht ist eindeutig erfüllt“, sagte Cubera rauh. „Und ich denke nicht daran, mich damit ohne weiteres abzufinden – aus verschiedenen Gründen, die ich Ihnen jetzt darlegen werde, Señores.“ Er legte eine Pause ein und blickte in die Runde, wie, um sich der Aufmerksamkeit seiner Offizierskollegen zu vergewissern.
„Ich denke, de Quintanilla stand unter Arrest“, sagte der Kapitän der zweiten Galeone verwundert. „Hat er etwa seinen Bewacher überwältigen können? Ich kann mir nicht vorstellen, daß ausgerechnet de Quintanilla zu so etwas fähig ist.“
„Dazu nicht“, antwortete Cubera, „aber zu anderen Hinterlisten jeglicher Art. Ich persönlich habe zu verantworten, daß der Gouverneur sich frei bewegen konnte. Es war eine Fehlentscheidung von mir, daran gibt es nichts zu deuteln. Ich habe seine Motive für rechtschaffen gehalten. Aber die Hilfsbereitschaft, die er vorgegaukelt hat, war nichts als Mittel zum Zweck.“
„Also hat er seine Flucht von vornherein geplant.“
„So ist es. Eine andere Erklärung gibt es nicht.“ Cubera faltete die Hände auf dem Tisch. „Rekapitulieren wir: Don Antonio wußte natürlich, daß ich ihn sofort nach unserer Rückkehr nach Havanna vor ein Gericht gestellt hätte – wegen Anstiftung zum Mord. Ich nehme an, die diesbezüglichen Ereignisse brauche ich nicht noch einmal in Erinnerung zu rufen. An Bord der ‚San José‘ war der Gouverneur jedenfalls restlos entmachtet. Das muß der entscheidende Umstand gewesen sein, der ihn nicht ruhen ließ. Eines weiß er nämlich genau: Wenn ihm die Flucht gelingt und er vor dem Verband nach Havanna zurückkehrt, dann wird es praktisch ausgeschlossen sein, ihn noch vor ein Gericht zu bringen.“
„Natürlich!“ rief der Kapitän der Karavelle erbost. „In Havanna kann er wieder seine Machtvollkommenheit ausspielen.“
„Und sie mißbrauchen“, fügte sein Nebenmann, der Erste Offizier der Karavelle, hinzu.
Capitán Cubera lächelte grimmig.
„Was diesen Punkt betrifft, wissen wir also, was uns bevorsteht, wenn de Quintanilla ungeschoren davonkommt. Er würde sogar irgendwelche fadenscheinigen Gründe finden, um unseren Verband einfach im Hafen von Havanna zusammenschießen zu lassen. Oder er würde die Speichellecker seiner Miliz einsetzen, um mich verhaften zu lassen.“
„Dann müßte er uns alle gleich mitverhaften!“ Der Kapitän der Galeone hieb zornig mit der Faust auf den Tisch.
Cubera lächelte und hob beschwichtigend die Rechte.
„So weit ist es noch nicht. Wenn Don Antonios Flucht aber gelingt, wird er selbst bestens gesichert in seiner Residenz sitzen und sein Ränkespiel betreiben. Leider können wir vor den Tatsachen nicht die Augen verschließen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, wie gefährlich dieser Mann ist, der in Havanna auf dem Gouverneursposten thront und sich dabei offenbar mehr dünkt als Seine Majestät in Spanien.“ Cubera unterbrach sich und blickte jeden einzelnen der Männer an, ehe er fortfuhr. „Wir kennen uns lange genug, Señores. Jeder von uns weiß, wie er den anderen einzuschätzen hat. Deshalb habe ich auch keinen Grund, meine Meinung zu verhehlen. Abgesehen von der Gefahr, die de Quintanilla für mich persönlich bedeutet, ist er als Gouverneur auch eine Gefahr für Spanien und die Krone. Das heißt, er muß unter allen Umständen wieder festgesetzt werden.“
Die Teilnehmer der Besprechungsrunde nickten zustimmend.
„Ich glaube, ich kann für alle sprechen“, sagte der Kapitän der Galeone, „wir sind alle dieser Meinung. Also sollten wir sofort die erforderlichen Schritte in die Wege leiten. Oder gibt es eine Gegenstimme?“
Die Männer schüttelten die Köpfe.
„Also gut“, sagte Cubera mit dankbarem Lächeln. „Bleibt nur die Frage, wie wir mit unseren lädierten Schiffen eine Verfolgung bewerkstelligen sollen.“
Der Kapitän der Karavelle meldete sich mit einer entschlossenen Handbewegung zu Wort.
„Mein Schiff hat die geringsten Gefechtsschäden erhalten“, sagte er. „Ich glaube, dem kann niemand widersprechen. Abgesehen von einigen Restarbeiten ist die Karavelle durchaus seeklar. Ich schlage daher vor, daß ich mit meinen Männern die Verfolgung aufnehme.“
„Einverstanden“, erwiderte Cubera ohne Zögern.
Auch über die Frage des Kurses waren sich die Männer nach kurzer Besprechung einig. Sie waren überzeugt, daß Don Antonio de Quintanilla nach Westen segelte, um Havanna so schnell wie möglich zu erreichen.
Eineinhalb Stunden nach Mitternacht lief die Karavelle aus der Bucht von Grand Turk aus und ging vereinbarungsgemäß auf Kurs West in Richtung Havanna.
Weder Cubera noch einer seiner Offizierskollegen ahnten, wie schadenfroh Don Antonio gegrinst hätte, wenn er vom Kurs der Verfolger gewußt hätte.
Die Stunden verrannen in quälender Monotonie.
Für Old Donegal Daniel O’Flynn und die Männer an Bord der „Empress“ wurde die vermeintliche Verfolgungsjagd mehr und mehr zu einer nervlichen Belastungsprobe. Die Nacht näherte sich ihrem Ende. In spätestens ein oder auch eineinhalb Stunden würde das Morgengrauen heraufkriechen. Dabei war es jetzt schon so gut wie aussichtslos, daß man das Wild noch stellen würde.
Weder der alte O’Flynn noch die anderen hatten bislang auch nur ein Auge zugetan. Lediglich die Zwillinge hatten von Old Donegal Order erhalten, sich gefälligst in ihre Kojen zu verholen. Ob die Söhne des Seewolfs allerdings wirklich schliefen, ließ sich nicht kontrollieren. Auf dem Achterdeck des kleinen Dreimasters gab es ohnehin andere Sorgen, mit denen man sich zu beschäftigen hatte.
„Geben wir uns keinen Illusionen hin“, sagte Dan O’Flynn resignierend. „Der sehr ehrenwerte Don Antonio und seine Komplicen sind uns durch die Lappen gegangen.“
„So sieht es leider aus“, sagte Jean Ribault seufzend, „eine schöne Bescherung.“
Don Juan de Alcazar blies die Luft durch die Nase.
„Wir müssen uns damit abfinden. Es hat keinen Sinn, weiter auf Westkurs zu segeln und die See nach Luv und nach Lee abzusuchen. Wenn wir die Schaluppe bis jetzt nicht aufgestöbert haben, werden wir sie auch nicht mehr aufstöbern. Das ist leider die traurige Tatsache. Wie gesagt, ich habe es schon nach der ersten halben Stunde befürchtet.“
Old Donegal stieß einen wütenden Knurrlaut aus.
„Dann hat uns dieser Fettsack aus Havanna tatsächlich angeschmiert. Man könnte sich selbst in den Hintern treten.“
„Es gibt nur zwei Möglichkeiten“, sagte Don Juan, „entweder ist die Schaluppe auf Nordwestkurs gegangen, oder sie hat die Windward-Passage angesteuert. In beiden Fällen hat sie sich immer weiter von uns entfernt, je länger wir den Westkurs gehalten haben.“
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