Don Antonio grinste. Seine neuen Handlanger hatten es eilig damit, sich im voraus seiner Gunst zu versichern. Ganz nach seinem Geschmack. Zu wissen, daß man immer noch Autorität hatte, war ein wohltuendes Gefühl.
„Herein!“ rief er gutgelaunt.
Vincente de Pinzón schob seinen hageren Kopf durch das nur vorsichtig geöffnete Schott und blinzelte vertrauenheischend.
„Ist es gestattet, Señor Gouverneur? Trotz der späten Stunde?“
„Ich pflege nicht mit den Hühnern ins Bett zu gehen“, sagte Don Antonio kauend. „Wie ist die Lage, Sub-Teniente?“ Er sprach das „Sub“ mit einer besonderen Betonung aus und grinste dabei freundlich.
„Alles zum besten“, erwiderte de Pinzón, trat eilig ein und schloß das Schott hinter sich. „Ich habe zwei Männer als Ausgucks eingeteilt. Bei dem prächtigen Nordost haben wir keine Mühe, den Kurs zu halten. Bislang wurden keine Verfolger gesichtet.“
„Ausgezeichnet“, sagte Don Antonio mit zufriedenem Nicken. „So soll es auch bleiben. Ich verlasse mich darauf, daß Sie uns heil nach Havanna bringen, de Pinzón.“
„Ich werde Sie nicht enttäuschen, Señor Gouverneur“, sagte der Sub-Teniente selbstbewußt. „Auf meiner Schaluppe sind Sie so sicher wie in Abrahams Schoß. Capitán Cuberas Karavelle wird uns nicht mehr aufspüren, und auch wegen der Piraten brauchen wir uns nicht zu sorgen. Ich denke, die Halunken haben genug damit zu tun, ihre Wunden zu lecken.“
„So wird es sein“, erwiderte Don Antonio, nachdem seine Zähne eine weitere kandierte Frucht zermalmt hatten. Der Vorrat in der Schale war bereits auf die Hälfte zusammengeschmolzen.
Vicente de Pinzón trat zögernd einen Schritt näher. Seine geneigte Körperhaltung spiegelte Unterwürfigkeit.
„Wir haben eine Weile Ruhe“, sagte er vorsichtig. „Darf ich die Gelegenheit nutzen, um Ihnen einige Fragen zu stellen, Señor Gouverneur?“
Don Antonio nickte väterlich herablassend.
„Fragen, die mit Ihrer Zukunft zu tun haben, wie? Ein kleines bißchen Vorfreude auf das aufregende Leben im großen Havanna?“
„Nun, ja …“ De Pinzón trat verlegen von einem Bein auf das andere. „Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich an zuviel Aufregung eigentlich nicht gedacht – zumindest, was das berufliche Leben betrifft.“
Don Antonio zog die Augenbrauen hoch, was seine Schweinsäuglein ungewöhnlich groß erscheinen ließ.
„Ah, ich verstehe. Nach dem nervenzehrenden Dienst vor der Küste bei Remedios wünschen Sie sich einen etwas ruhigeren Posten, nicht wahr?“
De Pinzón knetete seine Finger, daß es knackte.
„Ja, also, so direkt will ich das nicht einmal sagen, Señor Gouverneur. Natürlich werde ich den Aufgaben, die man mir stellt, vollauf gerecht werden. Ein Mann muß wissen, daß er an seinem Platz das zu tun hat, was von ihm verlangt wird.“
„Schöne Worte, de Pinzón. Ich muß sagen, so etwas gefällt mir.“ Don Antonio fuhr fort, seine Früchte zu kauen.
„Andererseits“, sagte der Sub-Teniente gedehnt, „lege ich nicht unbedingt Wert darauf, auf See eingesetzt zu werden. Ich schätze den Dienst an Land nicht geringer. Wissen Sie, ich gehöre nicht zu denen, die nur dann zufrieden sind, wenn sie Schiffsplanken unter den Stiefelsohlen spüren.“
Don Antonio hob die Arme und klatschte die Handflächen gegeneinander.
„Warum reden Sie so lange um den heißen Brei herum? Sie kriegen Ihre Beförderung zum Teniente, und ich gebe Ihnen einen Posten an Land. Nichts einfacher als das. Loyale Leute brauche ich immer – beispielsweise in der Stadtgarde. Oder sogar in der Palastwache. Wir können uns darüber noch im einzelnen unterhalten, wenn wir erst einmal in Havanna sind.“
De Pinzón verneigte sich tief.
„Ich weiß Ihr Entgegenkommen sehr zu schätzen, Señor Gouverneur. Glauben Sie mir, ich werde Ihnen dafür immer dankbar …“
Don Antonio wischte energisch mit der Hand durch die Luft.
„Papperlapapp. Bedanken Sie sich nicht im voraus und nicht mit Worten. Taten, die ich später sehe, sind mir wichtiger. Wie gesagt, Loyalität von Untergebenen ist eine Eigenschaft, die ich sehr zu schätzen weiß.“
De Pinzón verneigte sich abermals.
„Ich verstehe, Señor Gouverneur.“ Er richtete sich auf, und ein listiges Funkeln entstand in seinen eng zusammenstehenden Augen. „Ich freue mich auf unsere künftige Zusammenarbeit.“
„Ich auch“, sagte Don Antonio gelassen.
Seine Aufmerksamkeit war bereits wieder voll auf die kandierten Früchte gerichtet, als der Schaluppenführer die Kammer verließ.
Eine knappe halbe Stunde lag das Ankeraufgehen in der Bucht jetzt zurück, und Don Juan de Alcazar war merklich unruhig geworden.
Dan O’Flynn kehrte vom Vorschiff zurück, nachdem er zum wiederholten Male ausgiebig nach Westen gespäht hatte. Die Sichtverhältnisse waren der späten Stunde entsprechend mäßig. Doch Dans scharfen Augen würde selbst in der Dunkelheit der kleinste sich bewegende Schatten nicht entgehen.
„Nichts“, sagte er und zog die Schultern hoch, als er sich zu den Männern auf dem Achterdeck gesellte.
„Das verstehe ich nicht“, sagte Don Juan kopfschüttelnd, „bei der Schnelligkeit der ‚Empress‘ hätten wir die Schaluppe bereits sichten müssen.“
„Kann man wohl sagen.“ Old Donegal nickte stolz. „Diese lahme spanische Gurke hätten wir längst eingeholt. Nichts für ungut, aber in ganz Spanien gibt es keinen Schiffbaumeister wie Hesekiel Ramsgate.“
„Und in England?“ sagte Jean Ribault. „Da kannst du die, die sich mit Hesekiel messen können, auch an den Fingern einer Hand abzählen.“
„Weiß ich“, knurrte der alte O’Flynn. „Ich will ja auch die Spanier nicht schlechtmachen. War nur eine Feststellung.“
„Wollen wir jetzt über Schiffbau diskutieren?“ fragte Dan. „Oder haben wir vielleicht wichtigere Dinge zu erörtern?“
„Schon gut, schon gut.“ Old Donegal winkte beleidigt ab. „Aber laß dir eins gesagt sein, mein Sohn: Ohne die ‚Empress‘ brauchten wir uns über die wichtigeren Dinge gar nicht zu unterhalten. Dann hätten wir nämlich überhaupt keine Chance, die verdammte Schaluppe einzuholen.“
Don Juan mischte sich lächelnd in die Debatte ein und brachte das Thema auf eine andere Bahn.
„Vielleicht liegt der Fehler bei mir“, sagte er unumwunden. „Möglich, daß ich das Verhalten des Gouverneurs falsch eingeschätzt habe.“
Jean Ribault sah ihn erstaunt an.
„Du meinst, er will vielleicht gar nicht nach Havanna zurück?“
„Doch, das schon. An keinem anderen Ort könnte er seine Macht voll ausnutzen. Aber es wäre denkbar, daß er mit Verfolgern rechnet. Und vielleicht ist er raffiniert genug, sich darauf einzurichten.“
„Das ist mir zu vage“, entgegnete Jean. „Die Wahrscheinlichkeit, daß er Direktkurs auf Havanna nimmt, halte ich für größer. Ich bin dafür, daß wir den Kurs beibehalten.“
„Ich auch“, sagte Dan, „manchmal muß man einfach stur sein.“ Er wandte sich seinem Vater zu. „Und was hältst du von der Sache?“
„Nett, daß du mich auch fragst.“
„Immerhin bist du der Kapitän“, sagte Dan grinsend.
„Hm. Manchmal könnte man das glatt vergessen.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, hob den Kopf und blickte die anderen nacheinander an. „Der Kurs wird gehalten. Ist jemand dagegen?“
Es gab keine Gegenstimme.
„Na also“, sagte Old Donegal zufrieden, „da sind wir uns mal wieder einig. Und verlaßt euch drauf: Wir werden den Fettsack aus Havanna schon schnappen. So oder so.“
„Praktisch müssen wir ihn schnappen“, sagte Jean Ribault. „Wenn er uns nämlich durch die Lappen geht, müssen wir ständig damit rechnen, daß er neues Unheil ausheckt. Schließlich kennt er die Position der Schlangen-Insel.“
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