Bastida kannte die Geschichte dieses Mannes von Anfang an, und es bereitete ihm nicht die geringste Anstrengung, ihn bis auf die Knochen zu durchschauen. Nachdem er erst Hafenkommandant, dann Stadtkommandant und schließlich kommissarischer Gouverneur von Kuba gewesen war, hatte sich de Escobedo nun endgültig auf die Seite des Verbrechens geschlagen.
Nur über die ersehnte Macht, das wußte de Escobedo, konnte er auch zu Reichtum gelangen. Bastida erinnerte sich sehr gut, wie er das Gouverneursamt auszunutzen versucht hatte, um sich einen gehörigen Teil an Nebeneinnahmen zu verschaffen.
Die wirklich großen Brocken waren de Escobedo jedoch verwehrt geblieben. Von Bestechungsgeldern und eigenmächtig erhobenen Zöllen wurde man nicht steinreich. Don Antonio de Quintanilla hatte auf diesem Gebiet wesentlich mehr erreicht, wobei Bastida den früheren Gouverneur jedoch auch für zehnmal gerissener hielt als de Escobedo.
Bastida hatte allerdings keine Ahnung von jenem ungeheuren Schatz, den de Quintanilla in den Höhlen von Batabanó versteckt hatte. Diesem Schatz trauerte de Escobedo noch immer nach. Um ein Haar wäre er in den Besitz dieses riesigen Schatzes gelangt.
Das Unrechtmäßige seines wie Don Antonios Tun hatte er bis heute nicht eingesehen. Eine Läuterung hatten bei de Escobedo weder das Scheitern der Schatzbergung noch die schlimmen Tage im Gefängnis von Havanna bewirkt.
Die Zeit, in der er noch Recht und Ordnung vertreten hatte – oder wenigstens glaubte, dies zu tun –, gehörte endgültig der Vergangenheit an. Jene wenigen guten Eigenschaften, die de Escobedo überhaupt jemals gehabt hatte, waren begraben unter einer Lawine von Haß und Rachgier.
Generalkapitän de Campos schied als Zielfigur für diese Gelüste aus. Ihn hatte die gerechte Strafe bereits getroffen, obwohl es de Escobedo lieber gewesen wäre, sich wegen seiner Inhaftierung persönlich an dem verfluchten Kerl zu rächen.
El Lobo del Mar, der berüchtigte Seewolf, gehörte ebenso zu denen, die ihm den großen Reichtum verwehrt hatten, wie Capitán de Mello. Letzterer war vor lauter Ehrenhaftigkeit vermutlich imstande, der spanischen Krone seinen Sold zurückzuzahlen. Warum auch nicht? Offiziere dieses Schlages, so fand de Escobedo, sollten eigentlich ihre Uneigennützigkeit auch in dieser Beziehung unter Beweis stellen.
Im Vordergrund stand aber nicht die Rache.
Nummer eins aller Überlegungen war für Alonzo de Escobedo die Macht über Havanna. Die Gelegenheit war günstiger als je zuvor. Natürlich war der Plan des Gouverneur-Sekretärs Corda von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen – so dankenswert sein Verhalten auch gewesen war. Cámpora, dieser halsstarrige Hundesohn, hatte alles vereitelt – hätte es so oder so vereitelt.
Nichtsdestoweniger verdankte er, de Escobedo, seine Freiheit dem Sekretär. Er beschloß, das in seine Überlegungen einzubeziehen.
Nachdem er vor dem Gefängnistor mit knapper Not entwischt war, hatte er sich auf Umwegen zu Bastidas Kaschemme durchgeschlagen. Inzwischen hatte er die verwinkelte Behausung des Wirts zu seinem Hauptquartier erklärt. Seine ersten taktischen Überlegungen hatte er hier angestellt, und erfolgreich waren nach seinen Plänen die Aktionen gegen die Ordnungskräfte der Stadt durchgeführt worden.
Als erster Erfolg war bereits der Rückzug der Bürger zu werten gewesen. Die ständigen Übergriffe und Plünderungen hatten sie so sehr entnervt, daß sie nicht einmal einen Ansatz von Gegenwehr zustande gebracht hatten. Die wenigen, die aktiven Widerstand geleistet hatten, fielen für de Escobedo und Bastida nicht ins Gewicht. Das Gros der Pfeffersäcke und ihresgleichen hockte jetzt jedenfalls oben in der Residenz und zitterte vor Angst.
Dazu hatte auch die systematische Zermürbungstaktik beigetragen. Eine Patrouille nach der anderen war entweder vollständig aufgerieben oder so weit dezimiert worden, daß die wenigen Überlebenden nur noch ihr Heil in der Flucht gesucht hatten. Zwar war das Pack aus dem Hafengebiet alles andere als eine disziplinierte Truppe. Aber die Gier nach Beute und der Haß auf das reiche Bürgertum glichen dieses Manko aus.
Gemeinsam hatten de Escobedo und Bastida beschlossen, die Stadt Havanna aus den Angeln zu heben.
Den Gedanken hatte de Escobedo entwickelt, nachdem er von Corda erfahren hatte, daß de Campos nicht mehr lebte. Damit herrschte ein führungsloser Zustand in Havanna. Denn die Amtsübernahme Marcelos hatte man beileibe nicht als eine Behebung dieses Zustands betrachten können.
Marcelo als kommissarischer Gouverneur war in de Escobedos Augen nichts weiter als eine Witzfigur gewesen. Bis auf einen lichten Moment hatte der versoffene Hurenbock denn auch nichts zuwege gebracht. Das Ergebnis hatte er jetzt, da er schwerverwundet darniederlag. Die Führungslosigkeit in der Stadt hatte weiter Bestand.
Die beiden Ordnungsgewalten Miliz und Stadtgarde waren – zumindest im Stadtgebiet – zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Mittlerweile hatten sie sich zurückgezogen und bei den Bürgern in der Residenz verschanzt. Feige Hundesöhne in de Escobedos Augen.
Er dachte an seine Zeit als Stadtkommandant zurück. Aus jener Zeit rührte seine Einschätzung der Ordnungskräfte. Für hartes und erbarmungsloses Durchgreifen fehlte Soldaten und Gardisten die rechte innere Einstellung. Befehlsempfänger waren sie eben, nichts weiter.
De Escobedo beendete sein Frühstück als erster. Er lehnte sich zurück und beobachtete sein Gegenüber eine Weile. Der Fette ließ sich nicht stören. Er schaufelte abwechselnd gebratenen Schinken, frischen Ziegenkäse und Weintrauben in sich hinein. Dazu schlürfte er innerhalb weniger Minuten drei rohe Eier, nachdem er sie mit Rotwein und Zucker verrührt hatte.
De Escobedo verspürte den Drang, sich zu schütteln, ließ sich aber nichts anmerken.
„Wir haben Erfolg über Erfolg errungen“, sagte er schließlich. „Aber wir sind noch nicht am Ziel. Die Frage ist jetzt, wen oder was nehmen wir uns als nächstes vor?“
Bastida betupfte seine Lippen mit einem blütenweißen Tuch und warf es achtlos auf den Tisch. Er schob sich das Mundstück einer Tonpfeife zwischen die Zähne und setzte den bereits gestopften Tabak in Brand. Der Rauch hatte einen süßlichen Duft. Einen Moment schob Bastida nachdenklich das Kinn vor.
„Was ist mit den beiden Forts am Hafeneingang?“ sagte er dann. „Können die uns noch Ärger bereiten?“
De Escobedo schüttelte entschieden den Kopf.
„Überhaupt nicht. Beide Forts sind hoffnungslos unterbesetzt. Vergiß nicht: Dreiviertel der Fortbesatzungen wurden bei Beginn der Unruhen an Miliz und Stadtgarde abgegeben.“
„Militärische Einzelheiten habe ich mir noch nie merken können“, sagte Bastida mit wegwerfendem Brummen. „Du meinst also nicht, daß sich die Leute in der Residenz aus den Forts Verstärkung holen?“
„Höchst unwahrscheinlich“, entgegnete de Escobedo mit der wissend-herablassenden Miene des Fachmannes, der mit einem ahnungslosen Laien spricht.
„Wenn die Forts unterbesetzt sind“, sagte Bastida nach kurzem Nachdenken, „würden sie uns dann nicht wie reife Äpfel in den Schoß fallen? Ich meine, wir könnten dort mühelos Beute machen.“
„Was denn für Beute?“ entgegnete de Escobedo. „Da gibt es nichts zu holen, außer Waffen. Und die haben wir in Hülle und Fülle – dank der von mir geplanten Aktion gegen das Arsenal.“
„Gib nicht so an“, sagte Bastida grinsend. „Wenn ich dir nicht meine besten Leute herausgesucht hätte, wäre die Sache sehr wahrscheinlich schiefgegangen.“
„Gut, gut“, sagte de Escobedo. „Ich weiß, daß es eine Glanzleistung war. Das habe ich nie bestritten. Oder?“
Der Fette winkte ab.
„Halten wir uns nicht an der Vergangenheit fest. Wir müssen uns einig werden, was jetzt das Naheliegende für uns ist. Die Residenz, meine ich.“
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