In dem Dänen kochte es. Sein blonder Oberlippenbart zuckte verdächtig. Kein Wunder, er fühlte sich abgekanzelt wie ein kleiner Junge, den die Mutter beim Naschen erwischt hat und eine Standpauke hält. Trotzdem schluckte er krampfhaft einen Großteil seiner Wut herunter, denn irgendein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, daß es nicht ratsam sei, sich mit diesem stahlharten englischen Kapitän anzulegen. Was nutzten da die zwölf Schaluppen! Wenn es krachte, dann war er als erster an der Reihe, denn er stand schließlich an vorderster Front. Also mußte er sehen, wie er die Angelegenheit möglichst auf gütlichem Weg ins reine brachte.
„Sie urteilen hart, Kapitän Killigrew“, sagte er daher. „Meiner Meinung nach etwas zu hart, obwohl ich Ihnen in dem einen oder anderen Punkt wohl oder übel recht geben muß. Aber Sie müssen auch verstehen, daß ich nicht gegen meine Vorschriften handeln kann. Mein Auftrag lautet, den Sundzoll zu kassieren oder Sie zum Ankern im Hafen von Helsingör zu veranlassen. Es liegt ganz einfach nicht in meiner Macht, Sie passieren zu lassen …“
„Und was liegt in Ihrer Macht?“ unterbrach ihn Hasard.
Der Lieutenant wirkte plötzlich verlegen. Er wich der Frage des Seewolfs aus und trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
„Ich werde die Angelegenheit unverzüglich dem vorgesetzten Hafenkapitän vortragen“, sagte er dann. „Bis zur Klärung muß Ihr Schiff allerdings hier liegenbleiben, darauf muß ich Sie hinweisen.“
„Bitte sehr“, sagte Hasard kühl.
Trotz der Februarkälte wirkte das Wetter jetzt um die Mittagszeit ausgesprochen freundlich. Die Sonne zeigte sich von ihrer großzügigen Seite und überschüttete den Öresund mit gleißendem Licht. Das Wasser war verhältnismäßig ruhig, die Wellen kräuselten sich und bildeten kleine, weiße Schaumkronen.
Die Dänen ließen sich Zeit. Die Stunden verrannen, angezeigt durch das halbstündige Glasen der Schiffsglocke. Es ging bereits auf den Nachmittag zu, als sich vom Hafen her eine größere Jolle näherte.
„Aha, jetzt kriegen wir wohl endlich Besuch“, knurrte Old Donegal, der am Schanzkleid der „Isabella“ lehnte und die wärmenden Sonnenstrahlen genoß. „Der Lieutenant mußte wohl erst warten, bis der Hafenkapitän seinen Mittagsschlaf beendet hat.“
„Ach was!“ brummte Edwin Carberry ruppig. „Der hat bestimmt erst einige Schlampen aus seiner Koje gejagt.“
Der Profos hockte schon eine ganze Weile auf einer Taurolle und beäugte mißmutig die vier dänischen Schaluppen, die zurückgeblieben waren, um einen „Durchbruch“ der Galeone zu verhindern.
Hasard winkte ab.
„Wahrscheinlich haben die erst ein großes Palaver über ihr weiteres Vorgehen abgehalten“, sagte er. „Ich hoffe doch, daß ich dem Lieutenant deutlich genug erklärt habe, was ich von der Sache halte.“
Der Seewolf war nach wie vor verärgert – einmal, weil er diesem Schlitzohr Aage Svensson aufgesessen war, und zum anderen, weil die Dänen unbedingt auf ihrem verdammten Sundzoll beharrten und seiner Meinung nach viel zu faul und zu bequem waren, dem Betrüger das Handwerk zu legen.
Die Jolle hielt direkt auf die „Isabella“ zu und schor schließlich längsseits.
„Man sollte die Aasgeier gleich von der Jakobsleiter fallen lassen“, schlug der übelgelaunte Profos vor. „Wenn die ihre Strohköpfe erst abgekühlt haben, denken sie vielleicht vernünftiger.“
„Schluck’s lieber runter, Ed“, sagte der Seewolf. „Damit würden wir uns nur noch mehr Ärger einhandeln. Zunächst müssen wir mit den Dänen verhandeln. Irgendwie wird sich das Problem schon aus der Welt schaffen lassen.“
Edwin Carberry schickte abermals einen seiner gottergebenen Blicke gen Himmel und schluckte dann tatsächlich, als habe er soeben eine neue Rumsorte ausprobiert.
Der Lieutenant und der Hafenkapitän enterten an Bord. Außerdem vier der sechs Soldaten, die zur Besatzung der Jolle gehörten.
Der Hafenkapitän war ein dicklicher Mann mit einer riesigen Knollennase und kleinen, listigen Augen. Seine Blicke huschten flink über die Kuhl der „Isabella“ – offensichtlich, um sich einen ersten Eindruck von Schiff und Besatzung zu verschaffen.
Dann erst ließ er sich durch den Lieutenant dem Seewolf vorstellen, der sich seinerseits über die plötzliche Aktivitäten Edwin Carberrys wunderte, der eifrig an der Nagelbank des Großmastes herumhantierte.
Was, zum Teufel, will Ed mit all den Belegnägeln, die er sich auf die Arme packt? fragte sich Hasard. Aber eine einleuchtende Antwort fiel ihm beim besten Willen nicht ein. Außerdem hatte er keine Zeit mehr, sich damit zu befassen, weil er sieh einem „hohen“ Besuch widmen mußte.
Nils Larsen mußte wiederum als Dolmetscher amtieren.
„Nun, Kapitän Killigrew“, begann der Hafenkapitän mit einem süßlichen Lächeln, „der Lieutenant hat mir von dem Vorfall mit Aage Svensson berichtet. Ich bedaure die Sache außerordentlich, aber Sundzoll ist eben Sundzoll und muß gemäß der Order des dänischen Königs erhoben werden. Und soweit ich mich erinnere, hat sich auch England verpflichtet, diese Gebühr zu entrichten.“
Hasards eisblaue Augen blitzten zornig.
„Ganz recht, Sir! Und aus eben diesem Grunde habe ich für meine leeren Schiffsräume ganze achtzig Silbertaler an diesen Aage Svensson bezahlt, der sich mir gegenüber glaubhaft als Beauftragter der Zollbehörde ausgewiesen hat. Das ist fürwahr ein stolzer Preis dafür, daß man den Öresund durchsegeln darf.“
„Es tut mir leid, Kapitän“, sagte der Dicke, „aber dieses Geld ist nicht in die Kasse des Königs geflossen, sondern in die Hände eines Betrügers.“
„Dann zwingen Sie bitte diesen Betrüger, das Geld an Sie abzuliefern! Ich weigere mich jedenfalls, den Sundzoll ein zweites Mal zu entrichten.“
Der Hafenkapitän lächelte abermals sein süßliches Lächeln.
„Ich bewundere Ihren Mut, Kapitän Killigrew. Immerhin stehen mir genug Schiffe zur Verfügung, um die Zahlung notfalls zu erzwingen …“
„Wovon ich Ihnen allerdings sehr abraten würde“, unterbrach ihn Hasard. „Die Besatzung dieses Schiffes hat schon oft genug unter Beweis gestellt, daß sie sich auch durch eine Übermacht nicht einschüchtern läßt. Außerdem möchte ich Ihnen vorschlagen, Ihre Schiffe doch schleunigst gegen diesen Aage Svensson einzusetzen. Wenn es sieben meiner Männer bei Nacht und Nebel und ohne den Einsatz von Schußwaffen geschafft haben, acht Boote der schwedischen Küstenpiraten zu vernichten, dann sollte man doch annehmen, daß auch den zwölf Schaluppen, die Sie aufgeboten haben, ein gewisser Erfolg beschieden sein müßte.“
Der Hafenkapitän räusperte sich betreten, aber er behielt die Fassung, denn wie Hasard bald bemerken sollte, verfolgte er ein bestimmtes Ziel.
Vorerst aber zog ein kleiner Zwischenfall die Aufmerksamkeit der Männer auf sich.
Edwin Carberry schickte sich nämlich an, mit einem Arm voller Belegnägel die Kuhl zu überqueren. Und just in dem Augenblick, in dem er an den dänischen Soldaten vorbeimarschierte und den Blick wie ein frommer Pilger nach oben gerichtet hielt, da geschah es.
Ed schien plötzlich über irgendeinen unsichtbaren Gegenstand zu stolpern. Er fing sich zwar sofort wieder, konnte es aber zu seinem großen Bedauern nicht mehr verhindern, daß ihm sämtliche Belegnägel, die ziemlich groß und schwer waren, aus dem Arm glitten.
Was nun folgte, sollte den Seewölfen noch lange Anlaß für schadenfrohes Gelächter bieten. Und Ed selber bezeichnete es später als den „Dänischen Reigen“, denn die Belegnägel hüpften und tanzten augenblicklich auf den Decksplanken herum, daß es eine Art hatte. Und nicht nur das – sie trafen auch ziemlich schmerzhaft die Füße der Soldaten sowie des Hafenkapitäns und seines Lieutenants, die sich den kräftigen Hölzern sofort mit argen Wehlauten in ihren Hüpfbewegungen anschlossen.
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