Lüder erkannte, daß er gegen diesen schwarzhaarigen Teufel nicht bestehen konnte. Er saß nun selbst in der Falle. Der Durchbruch zu seinen Kumpanen würde ihm nicht gelingen – ausgeschlossen. Schwager Willem, Karl oder sonstwer konnten ihm nicht zu Hilfe eilen, sie hatten selbst genug mit ihrer eigenen Verteidigung zu tun. Und hier, auf dem Quarterdeck der „Isabella“, trieben die Dinge unaufhaltsam ihrem bitteren Ende entgegen, denn im Fechten war Lüder dem Seewolf glatt unterlegen.
Hasard unternahm einen neuen Ausfall, und plötzlich wirbelte Lüders Säbel in hohem Bogen durch die Luft und landete im Wasser. Die „Isabella“ krängte nach Backbord, Lüder fühlte, wie ihm buchstäblich der Boden unter den Füßen wegrutschte, und dann ritzte die Degenklinge ein blutiges Muster auf seine rechte Wange.
„Streich die Flagge, Bastard!“ schrie der Seewolf. „Sag deinen Kerlen, sie sollen sich ergeben! Ich weiß, daß du mich verstehst! Oder soll ich dich noch ein bißchen kitzeln?“
„Nein!“ schrie Lüder, dann riß er die Beine hoch und ließ sich außenbords fallen. Er hatte nicht die Worte, wohl aber den Sinn dessen begriffen, was der schwarzhaarige Mann von ihm forderte. Kapitulation – Niederlage auf der ganzen Linie! Gefangenschaft, ein schnelles Bordgericht, dann das Urteil, das auf Tod durch Erhängen lautete – nein, so wollte ein Groot-Jehan nicht enden!
Er landete zwischen den Booten im Wasser und begann sofort zu schwimmen. Er hielt auf eine Jolle zu und brüllte: „Haut diese Hurensöhne zusammen! Zeigt es ihnen!“
„Jaaaa!“ schrie Karl Lütt-Jehan, der im harten Säbelgefecht mit Ben Brighton lag. „Nieder mit diesen Bastarden! Tod! Bringt sie um, werft sie in die See!“
Ben zog ihm die Klinge seines Cutlasses quer über die linke Schulter, und in diesem Augenblick ließ Karl entsetzt seine Waffe fallen. Ben rammte ihm die Faust unters Kinn. Karl sank zusammen.
Carberry hatte Pit nach Strich und Faden zusammengeschlagen, Nils Larsen und Piet Straaten waren mit Schwager Willem fertig, der nun auch seufzend alle viere von sich streckte.
„Anpacken!“ rief der Seewolf, der eben vom Quarterdeck zurückkehrte. „Ins Wasser mit den Kerlen!“
Heino, Friedhelm, Brüne, Gode, Jan und all die anderen Jehans lieferten zwar nach wie vor einen erbitterten Kampf, doch sie verloren jetzt rasch an Energie und Selbstsicherheit. Ihre Anführer waren außer Gefecht gesetzt, das hatten sie deutlich genug verfolgen können.
Onno Osten versuchte, über die Kuhl zu stürmen. Er wollte sich bis zur Waffenkammer und den Munitionsdepots vorarbeiten, vielleicht eine Lunte legen und einen Teil der Galeone in die Luft jagen – doch die Zwillinge machten ihm einen Strich durch die Rechnung.
Hasard junior stellte Onno ein Bein. Onno flog gegen das Kombüsenschott und stöhnte auf. Philipp junior trat ihm kräftig gegen das Hinterteil. Dann öffnete sich das Schott, und Mac Pellew, der sich hierher zurückgezogen hatte, um in aller Ruhe ein paar Tromblons aufzuladen, knallte Onno den Kolben einer Waffe an den Schädel.
Er wollte ihm auch noch den Rauchabzug auf den Rücken hauen, aber Hasard junior rief: „Danke, das genügt, Mister Pellew!“
Gode und Jan waren inzwischen auch auf die Planken gesunken, und nun waren die anderen dran. Lüder konnte von unten so laut und so viel brüllen, wie er wollte, die Situation ließ sich nicht mehr retten. Ein Friese nach dem anderen flog außenbords. Mit lauten Klatschern landeten die Kerle neben Lüder im Wasser. Er stöhnte erschüttert auf.
Onno Osten stürzte mitten in eine der Jollen, doch er brach sich weder das Genick noch sonst irgendeinen Knochen, er hatte geradezu unerhörtes Glück. Die Duchten aber zersplitterten unter dem Aufprall seines schweren Körpers wie dünnes Holz.
Die Friesen waren geschlagen. Wer nicht bewußtlos geschlagen war, der ergriff jetzt eilends die Flucht. Unter dem Fluchen und dem rauhen Lachen der Seewölfe sprangen die letzten Kerle vom Schanzkleid ins Wasser, dann waren sie alle verschwunden, und es trat Ruhe ein.
Old O’Flynn wollte ihnen ein paar Schüsse nachfeuern, doch Hasard hielt ihn zurück. Auch Al Conroy und Ferris Tucker standen schon an den Drehbassen, bereit, den Friesen den Rest zu geben, doch der Seewolf gebot auch ihnen durch eine Gebärde Einhalt.
„Das genügt, Männer“, sagte er. „Oder wollt ihr euch mit diesen Galgenstrikken auf eine Stufe stellen?“
„Sie hätten nichts anderes verdient!“ rief der alte O’Flynn. „Und du siehst jetzt hoffentlich ein, daß ich mit meinen Bedenken mal wieder recht hatte!“
„Natürlich, Donegal“, sagte der Seewolf. „Wir wollen aber keine weitere Munition vergeuden. Vorerst greifen die Kerle nicht wieder an, und wenn sie doch so dumm sind, begrüßen wir sie dieses Mal mit unseren Kanonen.“
„Klar“, sagte Ben. ‚Spätestens dann dürfte ihnen der Spaß an der Sache wohl vergehen. Ist jemand verletzt worden?“
„Es hat nur ein paar Kratzer und ein paar Beulen gegeben“, antwortete der Kutscher, der mit dem Verarzten der Männer begonnen hatte. „Nichts Ernstes, wirklich nicht.“
„Um so besser“, sagte der Seewolf. „Wir verschnaufen erst einmal und bleiben hier vor Anker liegen. Morgen früh entscheiden wir, was weiter geschehen soll.“
Lüder Groot-Jehan sprach kein einziges Wort, er war ein geschlagener Mann. Eine Niederlage wie diese hatte er noch nie erlebt. Wer waren diese Teufel an Bord der Galeone, die sich so ausgezeichnet zu verteidigen verstanden? Engländer, das hatte er aus ihrer Sprache nun doch herausgehört. Aber was für Leute? Doch keine harmlosen Kauffahrer – nicht bei dieser Kampferfahrung und nicht bei der Armierung, über die das Schiff verfügte!
Zornig kehrte er mit den Seinen an Land zurück. Noch begriff er nicht, daß die Seewölfe ihn eher rücksichtsvoll behandelt hatten. Sie hätten seine Spießgesellen und ihn durchaus töten können, aber davon hatten sie abgesehen, weil sie ihre Prinzipien hatten, die auf Fairneß und Anständigkeit beruhten.
Lüder kannte jedoch keine Prinzipien, das Wort war ihm fremd. Er dachte nur an eins: an Rache. Unter gemurmelten Flüchen stieg er aus seinem Boot, als sie das Ostufer von Norderney erreicht hatten, und er nahm kaum zur Kenntnis, daß Frieda mit besorgter Miene auf ihn zueilte.
„Was ist passiert?“ fragte sie bestürzt. „Haben sie euch die Hucke vollgehauen?“
„Das werden sie noch bereuen“, zischte Lüder. „Ich gebe nicht auf. Ich nicht! Das werden sie mir büßen!“
„Wo sind die Lütt-Jehans?“
„Zurück nach Baltrum gepullt. Ist mir doch egal, was die machen.“
Sie erkannte das blutige Mal auf seiner Wange und wollte sich um ihn bemühen, aber er schüttelte ihre Hand mit einer ruckartigen Bewegung seiner Schultern ab.
„Du bist doch verwundet!“ stieß sie hervor.
„Ist nur ein Kratzer.“
„So?“ Sie beruhigte sich zusehends und beobachtete ihn mit forschendem Blick. „Wie viele Männer befinden sich denn als Besatzung auf der Galeone?“
„Mindestens vierzig. Diese Schweine! Diese Dreckskerle!“
„Du willst sie wieder angreifen“, murmelte Frieda. „Das ist richtig, so lobe ich es mir. Wir geben uns nicht geschlagen. Aber weißt du was? Sie sind gerissen. Vielleicht ist ihr Schiff ein Kriegssegler. Vielleicht sind sie auch Korsaren.“
„Möglich könnte es sein“, brummte er. „Ich denke mir aber einen Plan aus, mit dem ich sie doch noch zu fassen kriege.“
„Laß mich mit dir zusammen überlegen“, sagte Frieda sanft. „Gemeinsam stellen wir schon etwas Vernünftiges auf die Beine. Es wäre doch gelacht, wenn wir uns von diesen Bastarden in die Knie zwingen lassen würden.“ Sie warf der „Isabella“ einen haßerfüllten Blick zu.
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