Der Klang der Stimme versetzte Diego einen Stich. Aus zusammengekniffenen Augen starrte er zur Tür. Leider stand die Sonne so ungünstig, daß er nur schattenhafte Gesichter erkennen konnte.
„Laß es gut sein, Giovanni“, sagte er schnell. „Ich setze die Männer ins hinterste Gewölbe.“ Seine Aufforderung verhallte ungehört, denn der Bursche war aufgesprungen und stürmte mit gesenktem Schädel zur Tür.
Besonders effektvoll war sein Angriff nicht.
„Affenarsch!“ kreischte Sir John.
Hasard junior mußte zur Seite ausweichen, wollte er nicht mit den Pranken des Italieners unsanft Bekanntschaft schließen. Dem Papagei wurde es auf seiner Schulter zu unruhig. Flügelschlagend versuchte er, einen sicheren Halt zu erreichen, doch er hatte sich mit den Krallen im Hemd verheddert.
„Mann über Bord!“ krächzte er daraufhin. „Beidrehen, du Lahmarsch!“
Natürlich fühlte Giovanni sich angesprochen. Er entsann sich des hinter seinem Gürtel steckenden Dolches, aber er hätte die Klinge besser nicht eingesetzt, denn schon im nächsten Moment fühlte er einen eisernen Griff, der ihm schier den Ellenbogen brach. Sein Versuch, Widerstand zu leisten, blieb vergeblich, die Finger öffneten sich und der Dolch klirrte zu Boden. Ein Fausthieb trieb ihm die Luft aus den Lungen und ließ ihn schlaff zusammensinken.
Die anderen Kerle, die mit ihm am Tisch gesessen hatten, wollten aufspringen und ihre Waffen ziehen, doch Diegos halb überraschter, halb freudiger Ausruf ließ sie innehalten.
„Bei allen Heiligen, das ist der Seewolf, Philip Hasard Killigrew, wie er leibt und lebt.“
Der Wirt hatte es plötzlich eilig, hinter dem Tresen hervorzuwatscheln. Er streckte die glitschige Rechte aus, sah, daß Hasard zögerte und begann, die Finger eifrig an seinem Wams zu säubern. Die Erkenntnis, daß ohne eine Handvoll Sand das Fett sicher nicht verschwinden würde, zwang ihn, sich auf eine einladende Verbeugung zu beschränken.
„Die anderen Männer“, er deutete in den Hintergrund der Kneipe, „gehören ebenfalls zur Crew? Natürlich“, gab er sich selbst zur Antwort, „einige Gesichter erschienen mir von Anfang an bekannt.“
„Rum, Diego!“ bestellte Hasard und schob sich an den Zechern vorbei, die ihre Klingen wieder weggesteckt hatten. Offenbar war ihnen der Seewolf ein Begriff. Sie wären verrückt gewesen, sich mit Killigrew und seinen Mannen einzulassen wie seinerzeit Bombarde und der Marquis.
„Die erste Runde geht auf meine Kosten“, erklärte der Wirt, genau wissend, daß er genug verdienen würde. Giovanni, der sich stöhnend aufrappelte, warf er einen warnenden Blick zu und setzte ihm einen frisch gefüllten Humpen vor. „Wenn du jemals wieder was bei mir trinken willst, halte dich zurück.“
Was den Seewolf betraf, warf er seine Vorsätze gern mal über Bord und ergriff Partei.
Diego schenkte den besten Rum in der Karibik aus, aber auch sein Wein war ausgezeichnet. Daß er Zecher hatte, die beides zu schätzen wußten und mit Lob keineswegs knauserten, ließ ihn sichtlich aufblühen.
„Von dem süffigen Roten habe ich vier Fässer liegen“, erklärte er. „Für besondere Gäste und gute Freunde. Stammt aus Spanien.“
„Aber doch nicht käuflich erworben?“ erwiderte der Profos.
„Wo denkst du hin, Mister Carberry. Der Wein ist ein Geschenk für einen guten Ratschlag.“
Diego war ein ausgekochtes Schlitzohr, ein Geschäftsmann mit Leib und Seele, sonst hätte er sich bestimmt nicht auf Tortuga niedergelassen. Durch seine Hände gingen nicht nur Waren aller Art, er handelte auch mit Nachrichten, die zeitweise so brisant waren, daß oft genug die Frage aufgeworfen wurde, über welche dunklen Kanäle er sein Wissen bezog. Informationen über die großen spanischen Geleitzüge, die im nahen Havanna zusammengestellt wurden, waren dabei mehr als nur Gold wert.
Es gab viel zu reden. Über die alten Zeiten, in denen Caligu sich als Herr aufgespielt und sein verdientes Ende gefunden hatte, über Siri-Tong, die Rote Korsarin, und über die Spanier. Aber nicht alle Arwenacks brachten momentan den Sinn für solche Gespräche auf. Hasard akzeptierte stillschweigend, daß sich einige seiner Mannen mit den Hafendirnen in die kleineren Gewölbe zurückzogen. Hin und wieder ertönte von dort das schrille Lachen einer Frauenstimme.
„Arwenack ist weg“, stellte Philip junior unvermittelt fest. Er hatte den Schimpansen an einem Stuhlbein vertäut und vorübergehend nicht mehr auf ihn aufgepaßt. Nun lag das Kabelgarn mit geöffneten Knoten am Boden.
„Das war ein Zimmermannsstek …“
„Unser Bordviehzeug wird eben immer klüger“, behauptete der Profos. „Ein Wunder ist es nicht.“
Philip junior zog zwar die Brauen hoch, unterließ es aber, den Profos auf den unüberhörbar angeklungenen Vorwurf anzusprechen.
„Ich gehe Arwenack suchen“, sagte er. „Bevor der Bursche uns Ärger einhandelt.“
Hasard junior schloß sich ihm an.
Beide hatten keine Ahnung, wo sie beginnen sollten. Vielleicht hatte der Schimpanse lediglich dem Kneipenmief entfliehen wollen und war zur Schebecke zurück. Von der „Schildkröte“ aus war die Bucht mit dem Hafen aber nur teilweise einzusehen, weil etliche neuerbaute Häuser die Sicht versperrten. Einige der Bauten wirkten protzig und zeugten vom Reichtum ihrer Besitzer. Daß so etwas gerade in dem Piratennest Tortuga eine unverschämte Herausforderung darstellte, mußte den Betreffenden allerdings klar sein.
„Wahrscheinlich haben sie keinen Grund, das Gesindel zu fürchten“, meinte Hasard junior.
„Du glaubst, sie gehören selbst zu den übelsten Halsabschneidern?“
„So ungefähr.“
Eine enge, verwinkelte Gasse öffnete sich vor den Zwillingen. Die Bauten hier gehörten zu den ältesten auf der Insel und wirkten entsprechend windschief. Mit Balken war versucht worden, gefährdete Wände abzustützen. In der Gosse lag genügend Unrat, den erst der nächste heftige Regenguß zum Hafen und ins Meer schwemmen würde. Ein schwerer, fauliger Geruch lag über diesem Teil der Piratensiedlung.
Ratten huschten quietschend davon, als die beiden Arwenacks unwillkürlich ihre Schritte beschleunigten. Von irgendwoher erklangen laute Stimmen, Schimpfen und Zetern, danach trat wieder Ruhe ein.
„Irgendwie anheimelnd“, sagte Philip junior ironisch. „Und fast schlimmer als auf See.“
Sie folgten den engen, ausgetretenen Steinstufen, die am Berg entlang zur Hafenregion führten. Leinen waren von Haus zu Haus gespannt, zum Trocknen aufgehängte Wäsche versperrte die Sicht.
„He, ihr beiden!“ erklang ein Ruf. „Seid ihr fremd auf Tortuga?“
In einem ebenerdig gelegenen Fenster lehnte ein junges Mädchen. Die Zwillinge stellten auf Anhieb und übereinstimmend fest, daß sie eine Schönheit war. Weich fließend fiel ihr schwarzes Haar bis auf die Schultern, die braune, samtene Hautfarbe deutete auf indianische Abstammung hin, ebenso die hoch angesetzten Wangenknochen. Nur die Brüste, die sie keck und halb entblößt auf den Sims drückte, verrieten, daß sie kaum älter als fünfzehn sein mochte.
„Ich bin Juanita“, sagte sie, „und ich beiße nicht.“
Philip junior blickte Hasard an, der wiederum ließ das Mädchen nicht aus den Augen. Eine der Huren war sie nicht, die waren ordinärer. Vielleicht sehnte sie sich einfach nach Abwechslung, was in einem Nest wie diesem mitunter schwer zu bewerkstelligen war.
„Später“, sagte Philip ausweichend.
„Ihr habt es eilig?“ Ein Aufleuchten huschte über das ebenmäßige Gesicht, der Mund öffnete sich verführerisch. „Seid ihr womöglich hinter dem Affenvieh her?“
„Du hast ihn gesehen? Wo ist er hingelaufen?“
Juanita deutete hinter sich.
„Ich habe das Biest eingesperrt. Holt es euch!“
Die Zwillinge wechselten einen kurzen Blick miteinander. In einer Gegend wie dieser konnte sie selbst das verführerischste Weib nicht zur Unvorsicht bewegen. Sie mußten ständig gegenwärtig sein, Schnapphähnen in die Hände zu laufen.
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