„Anluven und Feuer frei nach eigenem Ermessen!“ rief Hasard.
Pete Ballie ging an den Wind, bis die Schebecke der Karavelle die Steuerbordseite zeigte.
Auf diesen Augenblick hatte Al Conroy gewartet. Er visierte und gab den anderen Männern ein Zeichen, die mit den Lunten in der Hand darauf warteten, sie auf die Zündlöcher zu pressen.
Das geschah nach dem Handzeichen.
Winzige, schlangengleiche Flammen fraßen sich durch die Zündkanäle.
Sechs Culverinen brüllten gleichzeitig auf und spien Feuerblitze und dunklen Rauch aus ihren zurückfahrenden Schlünden, die den Mäulern gefährlicher Drachen glichen.
Der Eisenhagel ging auf die Reise. Eine der Kugeln glühte deutlich sichtbar in der Luft. Wahrscheinlich hingen glimmende oder nachglutende Pulverreste an ihr.
Zwei Kugeln strichen dicht über das Deck der Karavelle, eine durchschlug ein Segel, zwei weitere donnerten dicht vor der Bordwand ins Wasser und warfen Fontänen auf, die das Deck näßten.
Die sechste Eisenkugel fraß sich mit einem hallenden Geräusch in den Rumpf der Karavelle und ließ in der Beplankung dicht an der Wasseroberfläche ein großes gezacktes Loch entstehen. Berstend flogen ein paar Holztrümmer ins Innere des Schiffes.
„Hat gerade so gereicht“, sagte Al Conroy. „Ein paar Yards dichter dran, und die Dons hätten von allen Seiten durch ihr Schiff linsen können. Sofort nachladen.“
Hasard sah sich wieder die Gesichter auf der Karavelle an. Die meisten Kerle standen verängstigt an Deck. Ein paar hatten sich hinter das Schanzkleid verkrochen und hielten die Köpfe unten.
Das Erschrecken war aber deutlich zu erkennen, und die Reaktion des Kapitäns der weiter entfernten Karavelle war eindeutig genug. Er drehte sofort ab und ging auf Westkurs.
„Jetzt zeigen wir ihm die andere Breitseite“, sagte der Seewolf hart. „Aber diesmal segeln wir weiter auf, damit er auch etwas davon hat.“
Als Pete Ballie Ruder legte, hatten die Dons da drüben kapiert, daß auf der Schebecke ein paar Kerle waren, die etwas gegen das Beschnüffeln hatten und entsprechend hart reagierten.
Das Segelmanöver war noch nicht zur Hälfte ausgeführt, da kniff der spanische Kapitän aus und ging ebenfalls auf Westkurs, ohne einen Schuß abzugeben. Er hatte es plötzlich sehr eilig.
Ferris Tucker sah der Karavelle sinnend nach.
„Da werden die Kerle wohl bald tüchtig Hand anlegen müssen“, meinte er, „das Loch in der Bordwand ist recht beachtlich. Sobald die See kabbelig wird, haben sie eine große Badewanne in den Stauräumen zur Verfügung.“
Hasard sagte nichts. Auch er sah den Schiffen nach. Der Hauptzweck war jedenfalls erreicht, die Verfolger hatten sich zurückgezogen. Aber es würde sich erst später zeigen, ob sie die Verfolgung tatsächlich aufgegeben hatten oder ihre Neugier so weit geweckt war, daß sie als Fühlungshalter an der Schebecke blieben.
Das war tatsächlich der Fall, als die Arwenacks auf den alten Kurs zurückgingen.
Die Karavellen lagen weit zurück, aber auch sie hatten den Kurs geändert. Offenbar dichteten sie gerade provisorisch das Leck ab, denn die eine hinkte ein wenig hinterher.
„Das gefällt mir überhaupt nicht“, sagte Hasard. „Ausgerechnet vor der spanischen Küste. Das Risiko ist mir zu groß. Wir werden jetzt den Spieß umdrehen und sie solange attackieren, bis ihnen die Lust auf uns endgültig vergeht.“
Die Verfolgung hielt nicht lange an. Anfangs mochten sich die Spanier etwas davon versprochen haben, doch dann lag die Schebecke ganz plötzlich auf Gegenkurs und segelte hoch am Winde nach Osten. Ihre zwölf Rohre waren ausgerannt, und sie segelte diesmal genau in die immer noch bestehende Schere hinein, die allerdings etwas auseinandergezogen war.
Das behagte den beiden spanischen Kapitänen absolut nicht, denn sie hatten erlebt, wie weit die Rohre trugen. Bei einem blitzschnell ausgeführten Passiergefecht, wenn die Schebecke genügend Abstand hielt, würden sie Feuer von beiden Seiten kriegen.
So wichtig war ihnen die Schebecke nun auch wieder nicht, daß sie zuviel riskieren wollten.
Offenbar verärgert drehten sie ab. Diesmal gingen sie auf Nordkurs, immer noch verfolgt von der Schebecke, die ihnen nachsetzte.
Hasard ging bis auf ein paar hundert Yards heran und jagte sie weiter zur spanischen Küste.
„Das dürfte reichen“, sagte er. „Jetzt schicken wir ihnen noch ein paar Grüße nach, damit sie uns besser in Erinnerung behalten.“
Im Abdrehen sprachen noch einmal die Culverinen.
Lange Flammenzungen jagten aus den Rohren, brüllender Donner fegte über die See, und die Schebecke hüllte sich in eine dunkle Rauchwolke. Sie krängte bei ihrer leichten Bauweise ein wenig über, als die Eisenkugeln die Rohre verließen.
Achteraus von den Karavellen blühten riesige Blumen auf, die im Sonnenlicht in allen Farben schillerten. Farbige Wassersäulen stiegen aus dem Wasser und vergingen in einem Regen aus Gischt und Schaumtropfen.
Es rauschte, als würde eine große Sense durch reifes Korn gezogen.
Den Dons stand das Grauen in den Gesichtern, als die Kugeln in unmittelbarer Nähe einschlugen. Sie richteten auf die Entfernung keinen Schaden an, aber dieses verdammte Schiff mit der schwarzen Flagge und den gekreuzten Säbeln auf dem Tuch hätte nur noch etwas dichter aufzusegeln brauchen, dann hätte es sie erwischt.
Von einer Verfolgung wollten sie nichts mehr wissen. Sie waren restlos bedient von den Kerlen, die so unerschrocken angriffen.
Sie klüsten unter vollem Preß nordwärts auf die rettende spanische Küste zu.
„Den wird das Fühlungshalten vergangen sein“, sagte der Seewolf grimmig. „Beim Schnuppern kann man sich verdammt hart die Nase verbrennen. Ich denke, die sind wir jetzt endgültig los.“
„Ganz bestimmt“, sagte Don Juan. „So wichtig sind wir ihnen jetzt nicht mehr. Wenn man einen Wolf ärgert, sollte man damit rechnen, daß er gefährlich wird.“
„Und den Fang nicht nur zeigt, sondern auch zubeißt“, fügte Hasard hinzu.
Als sie längst wieder auf ihrem alten Kurs lagen, war von den beiden Karavellen nichts mehr zu sehen. Wahrscheinlich hatten sie die spanische Küste angelaufen, um ihre Wunden zu lecken.
Tagelang segelten sie unbehelligt nach Westen. Zweimal hatten sie aus der Ferne spanische Schiffe gesichtet und waren ihnen in einem weiten Bogen ausgewichen.
Cartagena lag hinter ihnen, Almeria und Malaga.
Jetzt bewegten sie sich auf Gibraltar zu, den Dschebel al Tarik, die Felsen des Tarik, wie die Araber die Meerenge genannt hatten.
Einen Hafen hatten sie nicht mehr angelaufen, weder im Süden noch im Norden.
„Jetzt wird es langsam eng“, sagte Dan O’Flynn, „und hier müssen wir ganz besonders auf der Hut sein, denn diese Ecke haben die Dons völlig unter ihrer Kontrolle. Wenn die hier nur die englische Flagge riechen, sind sie schon aus dem Häuschen.“
„Müssen wir ja nicht unbedingt“, sagte Hasard trocken. „Wir können es ja zur Abwechslung mit der spanischen versuchen.“
In der Frühe des nächsten Tages wurde eine winzige Galeone gedichtet, eine „Zwerg-Galeone“, wie Stenmark aus dem Ausguck meldete.
Das Ding entpuppte sich dann aber weder als Galeone noch Karavelle.
„Vielleicht ist es aus den Trümmern von Galeone, Galeasse und Karavelle zusammengebaut“, sagte Ferris Tucker. „Seltsam genug ist das Gebilde schon.“
Das Schiffchen wurde gebührend bestaunt. Der Schiffszimmermann interessierte sich am meisten dafür und blickte durch den Kieker. Als er ihn absetzte, grinste er.
„Der Bauart nach ist das eine portugiesische Karavelle“, teilte er den anderen mit und grinste noch stärker. „Allerdings scheint Columbus die schon gesegelt zu haben, die ist nämlich uralt oder einfach neu aufgelegt und nachgebaut worden.“
Читать дальше