Er stand nur neben der verrußten Kanone und grinste. Dabei sah er schrecklich aus mit seinem ausgemergelten Gesicht, den kaum noch sichtbaren Augen und der blutenden Wange.
Die Spanier gaben auf, nachdem sich der Kampf fast vier Stunden in die Länge gezogen hatte.
Bevor etwa sechzehn Männer in das Boot gingen, jagte einer von ihnen ein Faß mit Schießpulver in die Luft. Danach sprang er ins Boot, das mit achterlichem Wind in Richtung Süden davonsegelte.
Das spanische Schiff brannte jetzt und lag achterlastig immer weiter absackend in der ruhigen See.
„Diese Schweine“, sagte Blake gepreßt. „Sie haben den Kahn nur in Brand gesteckt, damit wir nichts mehr holen können. Man sollte ihnen eins in das verdammte Boot jagen.“
„Ja, zu holen gibt es nichts mehr“, sagte Ellen, „Proviant, Wasser, alles geht mit dem Kahn unter. Dabei hätten wir es so dringend brauchen können. Aber sie werden uns ihre verdammten Roteiros aushändigen, sonst, bei Gott, schieße ich die Dons restlos zusammen. Wintham spricht doch Spanisch, oder?“
„Ja, sehr gut sogar.“
Kurz darauf lief die „Black Pearl“ an dem sinkenden Spanier vorbei, ging auf Südkurs und nahm die Verfolgung des Bootes auf.
Hinter ihnen stiegen schwarze Qualmwolken in den blauen Himmel. Es war unmöglich geworden, das Deck des brennenden Spaniers auch nur zu betreten. Außerdem ging er jetzt auf Tiefe und verschwand langsam und majestätisch in den Fluten.
Nicht lange, und sie hatten das große Beiboot eingeholt. Die Stückpforten waren immer noch hoch, und die schwarzen Schlünde der Siebzehnpfünder drohten auf das kleine Boot, das sich wie verloren in der Weite des Meeres ausnahm.
Ellen sah, daß fünf oder sechs Dons ihre Musketen hoben. Sofort ließ er zur Warnung einen Schuß dicht über ihre Köpfe abfeuern. Da senkten sie die Waffen.
Wintham stand furchtlos am Schanzkleid und zeigte mit dem Finger auf den spanischen Kapitän.
„Werft eure Roteiros in die Kuhl!“ befahl er auf Spanisch. „Wenn das geschehen ist, könnt ihr segeln, wohin ihr wollt. Wenn nicht, versenken wir euch!“
„Die Roteiros sind an Bord!“ rief der Spanier zurück und hob bedauernd die Schultern.
Ellen verstand die meisten Worte, aber er selbst sprach kaum spanisch, meist verstand er auch nur den Sinn.
„Einen Schuß vor den Bug!“ befahl er.
Sie hatten noch zwei Segel aufgegeit, um nicht an dem Boot vorbeizusegeln, das weitaus wendiger als die „Black Pearl“ war. Jetzt stimmte die Geschwindigkeit fast überein.
Ein Schuß löste sich, fuhr donnernd in die See und überschüttete die Insassen mit einem Wasserschwall.
„Der nächste Schuß sitzt genau mittschiffs!“ rief Wintham. „Überlegen Sie es sich, ob Sie das Leben Ihrer Leute riskieren, Capitan. Entweder ihr segelt ohne Roteiros, oder ihr werdet nie mehr segeln.“
Drüben bat man sich Bedenkzeit aus.
Der Spanier wollte einen Bogen schlagen und davonlaufen, aber Blake feuerte aus seiner Muskete und zauberte mit dem Schuß ein kleines Loch in das Segel.
Der Capitan fluchte, beschimpfte die Engländer als eine Horde erpresserischer Halunken und behauptete, er hätte nur eine einzige Karte, aber keine Roteiros.
Blake feuerte aus einer zweiten Muskete das nächste Loch in das Segel, und als sich Winthams Hand nach unten senkte, um die Lunte ans Zündkraut zu drücken, gab der Spanier auf.
Sie segelten dichter heran. Ellen sah, daß der Capitan ein kleines dünnes Buch in den Händen hielt.
„Wenn wir euch das gegeben haben, schießt ihr uns zusammen“, sagte er laut.
„Euer Leben schert uns einen Dreck!“ brüllte Wintham. „Wir wollen nur die Roteiros, nichts anderes. Wirf das Ding herüber, Amigo, ehe wir es uns anders überlegen!“
„Werfen Sie es nicht ins Wasser, Senor Capitan!“ rief einer der Spanier beschwörend. „Die lausigen Engländer versenken uns.“
Der Capitan hätte lieber sein Leben gegeben als das Roteiro ausgerechnet einem Engländer zu überlassen, aber er hatte keine andere Wahl, wenn er nicht riskieren wollte, von der eigenen Mannschaft zerrissen zu werden. Nie trennte sich jemand von diesen Roteiros freiwillig, weil sie das Geheimste enthielten, nämlich die geographische Länge, die so schwer zu berechnen war und ohne die die meisten Schiffe einfach ins Blaue fuhren. Aber die Spanier hatten schon vor den Portugiesen diesen Trick beherrscht – und die hielten ihn streng geheim.
Ellen traute sich zu, nach den Unterlagen die geographische Länge zu berechnen. Franics Drake beispielsweise beherrschte diese Kunst des Navigierens ebenfalls, aber der hatte schließlich auch schon die ganze Welt umsegelt.
Dicht vor seinen Füßen landete das Buch. Es war in feines Leder gebunden. Der Navigator hatte Seite um Seite fein säuberlich hineingeklebt.
Ellen warf nur einen kurzen Blick hinein, dann nickte er und sah Wintham an.
„Laß sie weitersegeln!“
„Muchas gracias, Senor“, sagte Wintham höhnisch. „Ich werde auf dem Altar meines Herzens ewig ein Licht für Sie brennen lassen. Vaya con Dios!“
Haßerfüllte Augen sahen ihn an, als er sich verbeugte. Der spanische Capitan dachte in diesem Moment an den merkwürdigen Priester, vor dem er sich ebenso höhnisch verbeugt hatte.
Die „Black Pearl“ segelte weiter, beschädigt, angeschlagen wie ein krankes Tier, lief sie vorerst auf Ostkurs weiter.
Den zersplitterten Besan kappten sie, er trug das Lateinersegel nicht mehr.
Anschließend wurde der im Gefecht gefallene Mann der See übergeben.
Fisher lag Blut spuckend unter der Nagelbank, wo er sich hingeschleppt hatte, und röchelte, als Ellen ihn anfaßte. Er hatte ihn überhaupt nicht gesehen und entdeckte ihn erst jetzt.
Wintham und der Kapitän sahen sich an, stumm, verzweifelt, dann schüttelte Ellen den Kopf.
Sie konnten ihm nicht helfen, das stand nicht in ihren Kräften, und so betteten sie ihn an Deck auf dem zerfetzten Lateinersegel und sahen alle paar Minuten nach ihm.
Als Blake ihn etwas später noch einmal musterte, starrte Fisher aus weitoffenen Augen in den blauen Himmel. Sein Blick war starr und gläsern, auf seinem verschmutzten Gesicht stand die ganze Entbehrung dieser verdammten Reise geschrieben.
Blake verzog das Gesicht und starrte in die toten Augen.
„Du bist aus allem ’raus“, sagte er heiser. „Du hast es hinter dir, Junge, aber wir …“
Verbissen wandte er sich ab.
Etwas später übergaben sie auch Fisher der See. Nur das Schiff blieb in demselben Zustand, in dem es sich befand. Wer sollte auch die Schäden reparieren, sie waren nur noch eine Handvoll Männer, die jetzt bereits erledigt waren.
Stan Ellen beschäftigte sich stumm und in sich gekehrt mit der Roteiro, die sie dem Spanier abgepreßt hatten.
Er brauchte lange, bis er sich zurechtfand. Das kleine Buch enthielt bis ins Detail gehende genaue Eintragungen eines Navigators, der sein Handwerk verstanden hatte. Der Mann schien nichts anderes an Bord getan zu haben, als magnetische Kompaßkurse zwischen einzelnen Häfen aufzuzeichnen. Dazu kamen anscheinend exakte Lotmessungen, Wassertiefen, Angaben über Farbe des Wassers und ab und zu auch über die Beschaffenheit des Meeresbodens, der Kaps und Landzungen. Zeiten waren notiert, wie lange sie von da nach dort gebraucht hatten, wie stark und woher der Wind wehte und mit welchen Strömungen man rechnen mußte.
Auch war verzeichnet, wo es Wasser gab, wo sich kleine Eilande befanden, wo Sandbänke, Riffe und Häfen lagen.
Die Kurskarten waren mit unglaublicher Sorgfalt angelegt worden. Ellen spürte, daß dieses kleine Buch mehr wert war als eine ganze Ladung Gold. Daher wunderte es ihn nicht. daß die Spanier ihre Roteiros wie ihren Augapfel hüteten.
Da hatte er riesiges Glück gehabt.
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