Aber abgesehen von der Möglichkeit des göttlichen Wirkens gibt es die Frage nach seiner Wirklichkeit – ob tatsächlich das göttliche Bewusstsein in Erscheinung tritt, aus dem Bereich jenseits des Vorhangs hervortritt, um überhaupt unmittelbar in der Erscheinungswelt, im Endlichen, im Mentalen und Materiellen, im Begrenzten und Unvollkommenen zu wirken. Das Endliche ist in Wahrheit nichts als eine definitive Bestimmung, als ein Nominal-Wert der Selbst-Darstellungen des Unendlichen gegenüber den eigenen Variationen seines Bewusstseins. In seinem Selbst-Sein ist der wirkliche Wert jedes einzelnen begrenzten Phänomens unbegrenzbar, was es auch immer sein mag in der Wirksamkeit seiner äußeren, phänomenalen Natur, in seiner zeitgebundenen Selbst-Darstellung. Wenn wir den Menschen betrachten, finden wir: Er ist nicht allein er selbst. Er ist kein streng abgesondertes, aus sich selbst seiendes Individuum, sondern Menschsein in einem Mental und einem Körper seiner selbst. Und auch Menschsein ist keine streng gesonderte, selbst-seiende Art oder Gattung. Sie ist das Alles -Sein, die universale Gottheit, die sich in der Art des Menschseins abbildet. Hier arbeitet sie gewisse Möglichkeiten aus, entfaltet, entwickelt, wie wir heute sagen, gewisse Mächte ihrer Manifestationen. Was sie aber in der Evolution offenbart, ist sie selbst, ist der Geist.
Denn was wir unter Geist verstehen, ist das selbst-seiende Wesen mit einer unendlichen Macht von Bewusstsein und einer unbedingten Wonne in seinem Wesen. Entweder ist er dies oder überhaupt nichts, zumindest nichts, was etwas mit dem Menschen und der Welt zu tun hat oder mit dem deshalb auch der Mensch oder die Welt etwas zu tun haben. Materie und Körper sind nur eine massierte Bewegung von Kraft des bewussten Wesens, die als Ausgangspunkt für die verschiedenen Beziehungen von Bewusstsein verwendet werden, das durch seine Macht der Sinne wirkt. Andererseits ist aber auch die Materie nicht wirklich leer von Bewusstsein. Denn selbst im Atom und in der Zelle wirkt, wie die moderne Naturwissenschaft heute, im Gegensatz zu sich selbst, überzeugend klarmacht, eine Kraft von Willen, eine Intelligenz. Diese Macht ist aber die Macht des Willens und der Intelligenz des Selbstes, des Geistes oder der Gottheit in ihrem Inneren. Sie ist nicht der gesonderte, aus sich selbst abgeleitete Wille oder die Idee der mechanischen Zelle oder des Atoms. Dieser involvierte universale Wille mit seiner Intelligenz entfaltet seine Mächte von Gestalt zu Gestalt. Und zumindest auf Erden ist es der Mensch, in dem sie dem vollendeten Göttlichen am nächsten kommt und hier zuerst, gerade auch in der nach außen gerichteten Intelligenz der Gestalt, dunkel seiner Göttlichkeit bewusst wird. Aber es gibt auch hier noch eine Begrenzung. Es gibt jene Unvollkommenheit der Manifestation, die die niederen Gestaltungen daran hindert, die Selbst-Erkenntnis ihrer Identität mit dem Göttlichen zu haben. Denn in jedem begrenzten Wesen wird die Begrenzung des phänomenalen Wirkens auch von einer Begrenztheit des phänomenalen Bewusstseins begleitet, das die Natur des Wesens definiert und den inneren Unterschied zwischen dem einen und dem anderen Geschöpf ausmacht. Das Göttliche wirkt in Wahrheit hinter dem Vorhang und lenkt seine besondere Manifestation durch dieses äußere, unvollkommene Bewusstsein und diesen Willen. Es selbst ist aber insgeheim in der inneren Grotte, guhāyām, wie es der Veda nennt, oder mit dem Ausdruck der Gita: „Im Herzen alles Seienden wohnt der Herr und dreht alles Seiende durch seine Maya, als ob es auf eine Maschine montiert wäre.“ Dies geheime Wirken des Herrn, der sich im Herzen vor dem egoistischen Natur-Bewusstsein verbirgt, durch das er wirkt, ist Gottes universale Methode seines Umgangs mit den Geschöpfen. Warum sollten wir also vermuten, dass er in irgendeiner Gestaltung zu einem unmittelbaren und bewusst göttlichen Wirken in das frontale, phänomenale Bewusstsein hervortritt? Wenn überhaupt, so offenbar nur deshalb, damit er den Vorhang zwischen sich und der Menschheit zerreißt, den der in seiner eigenen Art begrenzte Mensch niemals aufheben könnte.
Die Gita erklärt das gewöhnliche, unvollkommene Wirken des Geschöpfes damit, dass sie dem Mechanismus der Prakriti unterworfen und durch die Selbst-Darstellungen der Maya begrenzt ist. Diese beiden Begriffe sind nur komplementäre Aspekte ein und derselben wirksamen Kraft des göttlichen Bewusstseins. Maya ist ihrem Wesen nach nicht Illusion. Das Element oder der Anschein von Illusion kommt nur herein durch die Unwissenheit der niederen Prakriti, die Maya der drei Gunas der Natur. Maya ist vielmehr das göttliche Bewusstsein in seiner Macht, sein Wesen verschiedenartig selbst darzustellen. Prakriti ist dagegen die effektive Kraft dieses Bewusstseins, die dahin wirkt, jede einzelne der Selbst-Darstellungen im Einklang mit ihrem eigenen Gesetz und der ihr zugrunde liegenden Idee herauszuarbeiten, svabhāva und svadharma, in ihrer besonderen Eigenschaft und speziellen Wirkungskraft, guṇa-karma. „Indem Ich mich herabbeuge, Druck ausübe auf Meine eigene Natur (Prakriti), erschaffe Ich (löse Ich aus Mir heraus in unterschiedliches Wesen) diese ganze Fülle des Seienden, existierender Geschöpfe, die alle wehrlos der Herrschaft der Natur unterworfen sind.“ Die Menschen, die das Göttliche, das im menschlichen Körper seinen Sitz hat, nicht kennen, wissen nichts von ihm, da sie, in grober Weise dem Mechanismus der Prakriti unterworfen, deren mentalen Beschränkungen wehrlos untertan sind und sich darin zufriedengeben. Darum hausen sie in der Natur des Asura, die sie mit Verlangen betrügt und mit dem egoistischen Willen und der Intelligenz verwirrt, mohinīṁ prakṛtiṁ śritāḥ. Denn der Purushottama im Inneren ist für alle und jedes Wesen nicht so leicht offenkundig. Er verbirgt sich in einer dichten Wolke von Finsternis oder in einer hellen Wolke von Licht. Er verhüllt und verbirgt sich völlig in seiner Yogamaya, nāhaṁ prakāśaḥ sarvasya yogamāyā-samāvṛtaḥ. „Diese ganze Welt“, sagt die Gita, „kann Mich nicht erkennen, da sie durch die drei Zustandsformen des Seienden, die durch die Gunas der Natur bestimmt sind, verwirrt ist. Denn es ist hart, über diese Meine göttliche Maya der Gunas der Natur hinauszukommen. Die Menschen, die über sie hinauskommen, nahen sich Mir. Jenen aber, die in der asurischen Natur des Wesens verharren, wird durch Maya ihre Erkenntnis geraubt.“ Mit anderen Worten: Es gibt das allen innewohnende Bewusstsein des Göttlichen, denn in allen wohnt das Göttliche. Aber Gott wohnt hier verdeckt durch seine Maya. So wird den Menschen ihre wesentliche Selbst-Erkenntnis geraubt und durch das Wirken der Maya, die Maßnahmen des Mechanismus der Prakriti, in den Irrtum des Egoismus verwandelt. Dennoch kann der Mensch der innewohnenden Gottheit bewusst werden, wenn er sich aus dem Mechanismus der Natur zu ihrem inneren, verborgenen Meister zurückzieht.
Nun ist bemerkenswert, dass die Gita mit einer geringfügigen, aber wichtigen Veränderung des sprachlichen Ausdrucks in derselben Weise beides beschreibt: Das Wirken des Göttlichen, wenn er die gewöhnliche Geburt der Geschöpfe zustande bringt, und sein Wirken bei der Geburt des Avatars. „Indem Ich mich auf Meine eigene Natur herabbeuge, prakṛtiṁ svām avaṣṭabhya“, heißt es später, „löse Ich in verschiedener Weise, visṛjāmi, diese Menge von Geschöpfen, die wehrlos der Herrschaft der Prakriti untertan sind, aus Mir heraus“, avaśaṁ prakṛter vaśāt. „Indem Ich auf Meiner eigenen Natur stehe“, sagt die Gita hier, „werde Ich durch Meine Selbst- Maya geboren, prakṛtiṁ svām adhiṣṭhaya ... ātmamāyayā, löse Ich mich aus Mir selbst, ātmānaṁ sṛjāmi.“ Das Wirken, das durch das Wort avaṣṭhabya ausgedrückt ist, ist ein kraftvoller Druck nach unten, durch den der beherrschte Gegenstand überwunden, unterdrückt, blockiert oder in seiner Bewegung oder Wirkungskraft begrenzt und wehrlos der beherrschenden Macht untertan wird, avaśaṁ vaśat. In dieser Aktion wird die Natur mechanisch. Die Masse der Geschöpfe wird wehrlos im Mechanismus festgehalten. Sie sind nicht Herr ihres eigenen Handelns. Im Gegensatz dazu ist das Wirken, das in dem Wort adhiṣṭhāya angedeutet wird, ein Der-Natur-Innewohnen, aber auch ein Über-ihr-Stehen, eine bewusste Kontrolle und Beherrschung durch die innewohnende Gottheit, adhiṣṭhātrī devatā. In ihr wird der Purusha nicht wehrlos von der Prakriti durch die Unwissenheit getrieben; vielmehr wird die Prakriti erfüllt vom Licht und Willen des Purusha. Darum ist bei der normalen Geburt das, was von der Gottheit nach außen hin ausgelöst wird – erschaffen, wie wir sagen –, die Menge von Geschöpfen oder Werde-Gestaltungen, bhūtagrāmam. Bei der göttlichen Geburt ist das, was nach außen hin ausgelöst wird, selbst-erschaffen, das des Selbsts bewusste, aus dem Selbst seiende Wesen, ātmānam. Denn die vedantische Unterscheidung zwischen ātmā und bhūtāni ist dieselbe, wie sie in der europäischen Philosophie zwischen dem Sein und seinen Werdeformen getroffen wird. In beiden Fällen ist Maya das Mittel zur Erschaffung oder Manifestation. Aber in der göttlichen Geburt wird durch Selbst- Maya, ātmamāyayā, erschaffen, nicht durch Involution in die niedere Maja der Unwissenheit. Hier handelt die selbst-seiende Gottheit bewusst in ihrer in die Erscheinung hervortretenden Selbst-Darstellung. Sie ist sich dabei ihres Handelns und ihrer Absicht wohl bewusst –, das, was die Gita anderswo Yogamaya nennt. Bei der gewöhnlichen Geburt wird Yogamaya vom Göttlichen benutzt, um sich zu verhüllen und vor dem niederen Bewusstsein zu verbergen, so dass es für uns das Mittel der Unwissenheit wird, avidyā-māyā. Durch diese gleiche Yogamaya wird aber auch die Erkenntnis des Selbsts geoffenbart bei der Rückkehr unseres Bewusstsein zum Göttlichen; sie ist das Mittel des Wissens, vidyā-māyā. Und in der göttlichen Geburt übt sie diese Wirkung aus – als das Wissen, das die Werke beherrscht und erleuchtet, die gewöhnlich in der Unwissenheit getan werden. (150-56)
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