„Und dann folgen wir der ‚Isabella‘ und zahlen es diesen Dreckskerlen heim!“ Siri-Tongs Augen funkelten, als sie aufstand und das schwarze Haar zurückwarf. „Die größenwahnsinnigen Halunken werden noch einsehen, daß sie den schlimmsten Fehler ihres Lebens begangen haben.“
Federnd wandte sich die Rote Korsarin ab, trat wieder auf den Niedergang und kehrte aufs Achterkastell zurück. Mit einem zufriedenen Blick stellte sie fest, daß bereits drei Mann am Spill standen, bereit, den Treibanker aufzuholen, und daß Brassen und Geitaue zum Laufen klargelegt worden waren.
Minuten später war der Anker oben.
Knatternd entfalteten sich die schwarzen Segel, der Wikinger legte Ruder, und „Eiliger Drache über den Wassern“ segelte dunkel und majestätisch seinem Ziel zu.
Der Capitan der „Santa Monica“ war nicht beunruhigt, sondern verärgert.
Er suchte nicht erst nach einer Erklärung für das lange Ausbleiben seiner Leute, denn nach seiner Meinung lag die Erklärung auf der Hand: Die Kerls hatten angefangen zu bummeln, kaum daß sie außer Sicht gewesen waren. Wahrscheinlich bereiteten sie sich ein paar angenehme Stunden, statt ihren Auftrag auszuführen. Juan de Correggio knirschte vor Wut mit den Zähnen und schwor sich, jedem einzelnen dieser faulen Halunken die Haut vom Rükken peitschen zu lassen.
Der Rest der Mannschaft spähte ziemlich besorgt zu der Insel hinüber, von der sie nur die felsige Landzunge im Westen und die weit geschwungene, palmengesäumte Strandlinie sehen konnten. Die Sonne senkte sich bereits, die Schatten wurden unmerklich länger. In spätestens einer Stunde würde die Dunkelheit hereinbrechen, und dann konnte nur noch ein Verrückter auf die Idee verfallen, die Insel zu durchsuchen.
„Wir sollten etwas unternehmen, Capitan“, sagte Jose Diaz, der Steuermann.
„Sicher. Wenn diese Kerle in einer Stunde nicht zurück sind …“
„In einer Stunde ist es dunkel, Capitan! Dann müssen wir bis zum Morgen hier liegenbleiben.“
Correggio biß sich auf die Lippen. Er war kein Freund von schnellen Entscheidungen, aber immerhin sah er ein, daß der Steuermann recht hatte. Diaz traf ohnehin die meisten Entscheidungen. Jeder an Bord wußte das, nur der Capitan nicht. Denn Diaz war geübt darin, den anderen glauben zu lassen, daß es nach seinem eigenen Kopf ging. Hätte Juan de Correggio geahnt, daß in Wahrheit nicht er, sondern der Steuermann das Schiff führte, hätte er das Kommando sofort wieder an sich gerissen, und das wäre für Schiff und Mannschaft verhängnisvoll gewesen.
„Beiboot klarmachen!“ befahl der Capitan. „Diaz, suchen Sie sechs Mann aus, die an Land pullen! Ein bißchen plötzlich, bevor es dunkel wird!“
Der Steuermann biß sich auf die Lippen.
Er hatte eher daran gedacht, zunächst einmal die Insel zu umsegeln, was auch wesentlich vernünftiger gewesen wäre. Aber er wußte, daß er Correggio nicht dazu bringen konnte; einen einmal gegebenen Befehl wieder zurückzunehmen. Wenn er beschlossen hatte, zum Beispiel in eine Lagune einzulaufen, weil er im Riff eine Durchfahrt sah, die überhaupt nicht existierte, dann versuchte er das eben. Und dann ließ sich die Katastrophe mitunter nur noch durch Tricks abwenden. Zum Beispiel damit, daß der Bootsmann eigenhändig die Tiefe auslotete und dabei – wie Diaz sehr genau mitgekriegt hatte – ein bißchen mogelte, damit der Befehl zum Abfallen noch rechtzeitig erfolgte.
„Jawohl, Capitan“, sagte Jose Diaz nur und sprang auf die Kuhl hinunter, um die Rudergasten einzuteilen.
Sechs Männer enterten ab und kletterten auf die Duchten.
José Diaz schwang sich als letzter über das Schanzkleid, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, daß er den Trupp anführte. Hinterher würde ihn der Capitan zusammenstauchen, aber nicht jetzt, vor versammelter Mannschaft, weil das die Disziplin untergrub, wie Correggio glaubte. Den Steuermann ließ das alles ziemlich kalt, denn er war felsenfest davon überzeugt, daß auf der Insel etwas nicht stimmte.
„Nordkurs!“ befahl er den überraschten Männern. „Wir werfen erst mal einen Blick auf die Rückseite der Insel. Ich habe keine Lust, wie ein Anfänger in irgendeine Falle zu gehen.“
Krachend flog das Schott der Vorpiek auf.
Licht fiel in das finstere Loch. Licht, in dessen Schein die Läufe von zwei Pistolen schimmerten. Die Piraten hatten allmählich offenbar Respekt vor ihren Gefangenen, und sie hatten die Nase voll von unliebsamen Überraschungen.
Diesmal allerdings stürmten ihnen keine rasenden Teufel entgegen.
Dan O’Flynn und Batuti hockten ganz friedlich auf der Gittergräting. Sie hatten sogar auf den Versuch verzichtet, sich gegenseitig von den Fesseln zu befreien. Nicht, weil sie völlig zerschlagen und halb verdurstet waren, sondern weil sie sich über eine neue Taktik geeinigt hatten.
„Na, ihr Helden?“ sagte Pepe le Moco gehässig. „Gefällt’s euch da drinnen? Wollt ihr noch ein bißchen bleiben? Oder seid ihr etwa hungrig und durstig?“
Batuti knurrte nur noch. Dan beherrschte sich mit Mühe.
„Wollt ihr uns etwa hier krepieren lassen?“ fragte er.
Der Pirat grinste. Neben ihm stand der einäugige Esmeraldo und grinste ebenfalls. Lediglich Jacahiro, der Maya, schien kein Vergnügen daran zu finden, die wehrlosen Gefangenen zu verhöhnen.
„Ihr arbeiten, dann essen und trinken“, sagte er ruhig. „Ihr noch einmal Ärger versuchen, dann hier verhungern. Verstanden?“
„Verstanden“, sagte Dan.
„Und verhungern wollt ihr nicht, ihr Bastarde, oder?“ fragte Esmeraldo und kicherte.
„Nein, verhungern wollen wir nicht.“ Dans Gesicht war steinern, und er brauchte seine ganze Beherrschung, um die kalte Wut herunterzuwürgen.
„Na fein! Jacahiro, schneide den Bastarden die Fesseln durch. Erst mal nur die Fußfesseln, damit sie nicht auf dumme Gedanken verfallen.“
Der Maya zog sein Messer aus dem Gürtel und zersäbelte die zähen Riemen an den Fußgelenken der beiden Männer. Batuti schob sich mit einem tiefen Atemzug hoch, Dan wollte aufspringen und merkte, daß er kein Gefühl in den Beinen hatte. Er wäre gestürzt, wenn Jacahiro ihn nicht aufgefangen hätte. Dan fauchte wie eine Katze, schüttelte die Hand ab, die ihn hielt, und stellte dabei widerwillig fest, daß das verhaltene Grinsen des Indianers eigentlich gar nicht höhnisch und niederträchtig wirkte.
Batuti stampfte voran, Dan folgte ihm. Das helle Sonnenlicht an Deck ließ ihn blinzeln, und der frische, salzige Wind war nach dem Mief in der Vorpiek das reinste Paradies. Der hünenhafte Neger und der blonde Junge sahen sich um, dann blickten sie zu dem Bretonen hoch, der an der Schmuckbalustrade des Achterkastells lehnte.
Dan hatte einen Kloß in der Kehle.
„Was habt ihr mit unseren Leuten angestellt?“ fragte er rauh und hatte alle Mühe, kein „ihr verdammten Bastarde“ anzuhängen.
„Die gehen zu Fuß“, sagte der Bretone kalt. „Wir konnten sie hier nicht brauchen. Also was ist? Wollt ihr jetzt Borddienst tun oder lieber an der Rahnock baumeln?“
Dan wurde bleich unter der Sonnenbräune. Batuti sog scharf die Luft ein und schloß die Augen. Zu Fuß gehen – das hieß, daß die Kerle Ben, Stenmark und Shane über Bord geworfen hatten. Einfach so. Ohne Rücksicht darauf, daß sie kaum eine Chance hatten, die Insel zu erreichen – schwimmend durch ein von Haien verseuchtes Gewässer!
Batutis Zähne knirschten.
Dan schwieg und focht einen fürchterlichen Kampf mit sich selbst aus. Alles in ihm drängte danach, dem Bretonen seinen Haß und seine Verachtung ins Gesicht zu schreien. Oder ihm wenigstens an die Kehle zu fahren, sobald er die Hände frei hatte. Aber es war sinnlos, jetzt Selbstmord zu begehen. Solange sie am Leben waren, hatten sie eine Chance. Eine Chance, es diesen Bastarden heimzuzahlen und ihre Kameraden zu rächen.
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