Auch „Roter Drache“ wies einige Schäden auf, auch der große Viermaster war noch in die Ausläufer des Unwetters geraten.
Nur wenig später befand sich auch die Rote Korsarin auf der Schlangeninsel, denn Araua hatte nicht lockergelassen. Der Schlangengott hatte ihr aufgetragen, Siri-Tong sofort nach ihrer Ankunft zu ihm zu bringen, und die Rote Korsarin widersetzte sich dem nicht. Ihren Viermaster würde der Boston-Mann durch den Felsendom segeln. Der Wikinger hatte ihn Siri-Tong mitgegeben, weil er mit dem alten Ramsgate die Überholung des Schwarzen Seglers vorbereiten sollte, nachdem alle notwendigen Materialien nunmehr vorhanden waren.
Karl von Hutten empfing die beiden in der Schlangenbucht. Er trat auf die Rote Korsarin zu.
„Wieso bist du allein zurückgesegelt, Siri-Tong“, fragte er. „War es nicht ausgemacht, daß ihr alle im Konvoi zurückkehren würdet?“
Die Rote Korsarin nickte.
„Das schon, aber Diego hatte einige Schwierigkeiten, alles das, was wir benötigen, rasch genug zu besorgen. Deshalb sind der Wikinger, Jean Ribault und Jerry Reves mit ihren Schiffen noch im Hafen von Tortuga geblieben. Sie werden zurückkehren, sobald Diego alles das aufgetrieben hat, was wir hier brauchen. Tauwerk, Segeltuch und andere Dinge habe ich an Bord von ‚Roter Drache‘. Der Boston-Mann hat Anweisung, das Schiff bis zur Werft von Ramsgate zu verholen und dort zu löschen.“
Die Rote Korsarin schwieg, während Araua bereits ungeduldig die Hand Siri-Tongs nahm, um sie zum Eingang des Schlangentempels hinüberzuziehen. Araua wußte nur zu gut, wie schnell man sich den Zorn des Schlangengottes zuziehen konnte, wenn man seine Anweisungen nicht so befolgte, wie er das wollte.
Siri-Tong griff jedoch nach Arauas Hand und hielt sie fest.
„Araua hat mir berichtet, was inzwischen geschehen ist und was ihr der Schlangengott für einen Auftrag erteilt hat, Araua und mir. Ich werde mit ‚Roter Drache‘ segeln, sobald das Schiff entladen ist. Aber da ist noch etwas, was du und was alle hier auf der, Schlangeninsel wissen sollten: Auf Tortuga hat sich eine Piratin eingenistet. Sie scheint schon seit einiger Zeit ihr Unwesen in der Karibik zu treiben, und man nennt sie die ‚Black Queen‘. Sie ist eine Schwarze, und sie scheint verdammt gefährlich zu sein, wenn das stimmt, was wir bei Diego gehört haben. Zu Gesicht bekommen haben wir sie nicht, aber sie beansprucht die Herrschaft über Tortuga.“
Ein hartes Lächeln kerbte die Züge der Roten Korsarin.
„Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie Thorfin darauf reagiert hat. Ich denke, wir werden mit dieser ‚Black Queen‘ noch einen harten Strauß auszufechten haben, sobald sie sich auf Tortuga wieder blicken läßt.“
Wieder schwieg Siri-Tong, während Araua an ihrer Seite immer ungeduldiger wurde. Aber das störte die Rote Korsarin im Moment überhaupt nicht.
„Was mich beunruhigt, ist, Karl, daß diese ‚Black Queen‘ irgendwo noch einen geheimen Stützpunkt haben soll und daß sie versucht, alle anderen Schnapphähne der Karibik, sofern sie Farbige sind, unter ihr Kommando zu bringen. Weiße scheint sie nicht bei sich zu dulden. Das ist auch der Grund, warum ich schon früher zurückgesegelt bin. Ich wollte die Schlangeninsel nicht so lange alleine und ohne Schutz auch zur See wissen. Aber jetzt ist wieder alles anders geworden. Es wird gut sein, Karl, wenn sich sofort eine Schaluppe auf den Weg nach Tortuga begibt, um Thorfin und Jean zu informieren. Ich habe so eine dunkle Ahnung, als ob ihre Anwesenheit hier schon sehr bald dringend notwendig sein wird.“
Siri-Tong ahnte in diesem Moment gar nicht, wie recht sie mit dieser Voraussage behalten sollte.
Karl von Huttens Gesicht hatte sich verdüstert.
„Ich wollte mit dir segeln, mit dir und Araua, Siri-Tong. Aber daraus wird jetzt nichts. Ich selbst werde mit einer Schaluppe nach Tortuga hinübersegeln, denn ich glaube, daß du recht hast. Außerdem hat mich das, was ich von Araua erfahren habe, auch nicht ruhiger werden lassen. Über unserer Schlangeninsel braut sich etwas zusammen, das spüre ich. Ich werde sofort die notwendigen Vorbereitungen treffen. Aber wer kümmert sich um die Schlangeninsel, solange auch ich noch fort bin?“
Siri-Tong sah Araua an.
„Ich werde den Boston-Mann auf unserer Insel zurücklassen. Araua wird mit Tomota, dem Häuptling der Schlangenkrieger sprechen. Außerdem ist auch noch Arne von Manteuffel da mit seinem Kapitän O’Brien und der alte Ramsgate mit seinen Männern. Das reicht, um die Insel gegen jeden Angreifer eine Weile zu verteidigen. Der Boston-Mann kennt alle Befestigungen dieser Insel so gut wie ich, außerdem kommt er mit allen Araukanern sehr gut aus.“
Sie wandte sich ab.
„Araua hat recht – wir sollten den Schlangengott jetzt nicht mehr länger warten lassen. Wir sehen uns nachher noch.“
Araua und die Rote Korsarin gingen über das Plateau des Ratsfelsens in Richtung Schlangentempel davon. Dann verschwanden sie in dem dunkel gähnenden Eingang, der von Araua nicht wieder verschlossen worden war. Die Rote Korsarin war gespannt darauf, was der Schlangengott ihr zu sagen haben würde. Denn es war das erstemal, daß er sich mit ihr direkt in Verbindung setzte.
Das Unwetter hatte sich gelegt. Zwar fuhren immer noch vereinzelt heftige Böen durch die Bucht jener Caicos-Insel, an deren Klippen die „Mocha II.“ ihr Ende gefunden hatte, aber als es hell wurde, als ein neuer Tag über der Karibik emporstieg, rissen die schweren Wolken auf. Erste Sonnenstrahlen tasteten sich über das Bild der Verwüstungen, die das Unwetter hinterlassen hatte.
Arkana hatte sich zwischen den Felsen erhoben, und auch ihre Kriegerinnen blickten auf die Bucht hinab. Sie erkannten das Wrack ihres Schiffes, das zwischen den Klippen steckte und einen traurigen Anblick bot.
Bis auf den Besan, an dem noch die Fetzen des Gaffelsegels flatterten, war die Galeone entmastet. Der Haupt- und der Fockmast hingen über Bord. Tauwerk, laufendes und stehendes Gut, Rahen wie Spieren und auch zerfetztes Segeltuch verwandelten das Hauptdeck der „Mocha II.“ in ein einziges Chaos.
Als Arkanas scharfe Augen die Galeone weiter abtasteten, und als die Erinnerungen an jene Riesenwoge wieder lebendig wurden, die sie auf die Klippen geworfen hatte, wußte sie, daß sie mit diesem Schiff niemals mehr von dieser Insel fortsegeln konnten. Denn auch der Rumpf der „Mocha II.“ war geborsten, wie die Rippen eines Skeletts standen zum Teil die Spanten heraus.
Tatona berührte Arkana am Arm.
„Man wird nach uns suchen. Karl von Hutten weiß, daß wir in Richtung Caicos-Inseln gesegelt sind, und auch Araua weiß es. Wir werden warten müssen, Arkana. Überleben können wir auf dieser Insel …“
Tatona unterbrach sich in diesem Augenblick. Und auch durch Arkanas hochgewachsenen, schlanken Körper ging ein Ruck. Gleichzeitig fuhren die Köpfe der Schlangenkriegerinnen in die Richtung, in die Tatona jetzt voller Erregung deutete.
Im hinteren Teil der Bucht, dort, wo eben noch dichte Nebelschleier die Küste verdeckt hatten, wuchs aus den Nebeln plötzlich wie von Geisterhand gezeichnet ein großer Dreimaster hervor. Ein düster wirkendes, unheimliches Schiff. Weit größer als ihre „Mocha II.“, größer auch als die „Isabella IX.“ des Seewolfs, zumindest wirkte sie so. Ihr Rumpf ragte hoch aus dem Wasser, und irgendwie wirkte er fast so mächtig wie „Eiliger Drache über den Wassern“, wie der Schwarze Segler Thorfin Njals, des Wikingers.
Arkana stand wie erstarrt. Wo kam dieses Schiff her? Wahrscheinlich hatte es diese Insel schon vor ihnen angelaufen, um vor dem Unwetter Schutz zu suchen. Und natürlich war es völlig unmöglich gewesen, es während der zuckenden Blitze, des sintflutartigen Regens und ihrem verbissenen Kampf ums nackte Überleben zu entdecken.
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