„Ruhig, Plymmie, ruhig!“ mahnte Hasard junior, und gemeinsam mit seinem Bruder streichelte er die Wolfshündin, die sich jedoch nur dazu bewegen ließ, das Bellen einzustellen. Ihr Knurren hielt an.
„Als ob ich mir das nicht gedacht hätte“, brummte Ed Carberry kopfschüttelnd. „Wenn das Vieh nicht zu jeder Sache seinen Senf dazugeben kann, ist es nicht zufrieden.“
„Sir, du tust ihr wieder mal unrecht“, sagte Philip junior empört. „Plymmie bellt den Spanier an. Sie merkt eben, daß da drüben an Bord unsympathische Leute sind.“
„Womit sie den richtigen Riecher hat“, sagte Old Donegal Daniel O’Flynn. „Hunde haben in der Beziehung einen sehr feinen Instinkt. Da hat es schon Ereignisse gegeben, die hinterher kein Mensch für möglich gehalten hat. Ich erinnere mich an eine bestimmte Geschichte in …“
„Schon gut, Donegal, schon gut“, fiel ihm Smoky eilig ins Wort, und die anderen nickten beifällig. Im Augenblick hatten sie keine Neigung, eine der endlosen Garne des alten O’Flynn anzuhören. Denn was die spanische Galeone dort drüben an der Pier betraf, war jeder mit seinen eigenen Überlegungen hinreichend beschäftigt.
Auch auf dem Achterdeck der „Santissima Madre“ schimmerten Spektive im trüben Tageslicht. Den Señores war die „Isabella“ offenbar ebenso aufgefallen wie den meisten anderen Leuten im Hafen von Kolberg.
Ben Brighton ließ den Kieker kopfschüttelnd sinken.
„Die sehen allesamt aus, als ob sie einer piekfeinen Gesellschaft entsprungen seien.“
„Wundert dich das?“ Hasard grinste, setzte das Spektiv aber nicht ab. „Tu bloß nicht so, als ob du die erste spanische Galeone deines Lebens siehst.“
„Hm.“ Auch Ben mußte grinsen. „Vielleicht liegt es daran, daß die Dons hier in der Ostsee so selten sind.“
„Ben, dies ist jetzt schon der zweite. Und das sind genau zwei zuviel.“
Der Seewolf ließ seinen Blick wandern. Die Optik des Spektivs lieferte ein klares Bild, so nah, als könnte er hinübergucken. Ben Brighton hatte mit seiner Bemerkung den Nagel auf den Kopf getroffen. Die Offiziere der „Santissima Madre“ waren herausgeputzt wie Gecken. Da blitzten Knöpfe, Schnallen und Paspelierungen, als veranstalteten sie gerade einen Wettbewerb um die schönste Uniform. Selbst das wäre vielleicht weniger aufgefallen, wenn es sich um eine allgemein geltende Linie auf der spanischen Galeone gehandelt hätte.
Aber zwischen dem Achterdeck und den übrigen Decks des Spaniers lag eine Grenze wie zwischen zwei Welten. Die übertriebene Eleganz der Offiziere war wie ein schriller Mißklang angesichts der erbärmlichen Kleidung des normalen Schiffsvolks. Es war die übliche Distanz zwischen Achterdeck und Vordeck. Bei den Spaniern galt das als normal. So normal, wie es für sie immer noch war, im Mittelmeerraum Galeeren mit Rudersklaven einzusetzen. Methoden, an die englische Seeleute nur mit Abscheu denken konnten.
Diese verschnörkelte „Santissima Madre“ mit ihren herausgeputzten Offizieren war wieder einmal ein Beispiel dafür, wie sehr bei den Spaniern der Unterschied zwischen Knechten und Herren gepflegt wurde.
Hasard wollte seinen Kieker bereits absetzen, als ihm einer der Spanier auf dem Achterdeck auffiel. Der Mann ließ eben sein Spektiv sinken, ein hagerer, älterer Geck mit verlebten Gesichtszügen. Deutlich waren die Ränder unter den Augen und die tiefen Furchen seiner Haut zu erkennen. Über dem faltigen dünnen Hals hob sich ein schwarzer Knebelbart ab. Dazu trug der Mann eine schwarze Lockenperücke.
Nachdenklich betrachtete der Seewolf dieses Gesicht, das ihm ganz und gar nicht gefallen wollte. Nach der besonders prunkvollen Uniform zu urteilen, konnte es sich um den Kapitän der „Santissima Madre“ handeln.
Abrupt drehte sich der Spanier um, als spürte er, daß er beobachtet wurde.
Hasard zuckte mit den Schultern. Irgendwie hatte er das Gefühl, diese verlebten Gesichtszüge zu kennen. Aber so angestrengt er auch nachdachte, es gelang ihm nicht, sie einzuordnen.
Lautere Stimmen waren jetzt vom Kai zu hören – Lachen und freudige Rufe in deutscher Sprache. Dies war der Heimathafen der von-Manteuffel-Crew, das zeigte sich jetzt. Hasard und Ben Brighton gingen zur anderen Seite und blickten auf den Kai hinunter.
Eine große Schar von winkenden Menschen hatte sich dort gebildet. Kein Zweifel, man hatte Arne von Manteuffel und seine Männer erkannt, was nicht selbstverständlich war. Denn die altvertraute „Wappen von Kolberg“ gab es nicht mehr. Jenes Schiff, das Arne und seine Männer jetzt ihr eigen nannten, war noch bis vor kurzem das Flaggschiff des polnischen Generalkapitäns Witold Woyda gewesen. Jetzt betrachteten sie es als ihr rechtmäßiges Eigentum. Denn Woyda und seine Schergen hatten die alte „Wappen von Kolberg“ versenkt.
Also konnte es sich nur so verhalten, daß dieser Liegeplatz am Kai den von Manteuffels vorbehalten war.
Hasards Vermutung bestätigte sich kurz darauf. Vor einem der Kontor- und Lagerhäuser bildete die Schar der lachenden und winkenden Menschen eine Gasse. Aus einem mehrstöckigen Giebelhaus, das aus schwerem Backstein gebaut und ganz oben mit einem Kranbalken versehen war, trat ein hochgewachsener Mann.
Der Mann hatte weißes Haar und ein scharfgeschnittenes Gesicht. Einen Moment stutzte er beim Anblick des Schiffes, das jetzt den Namen „Wappen von Kolberg“ trug. Dann jedoch eilte er freudestrahlend auf die Galeone zu.
Ein schmerzliches Gefühl beschlich doch den Seewolf, und es drängten sich Bilder aus der Vergangenheit in sein Bewußtsein. Bilder, die sich jetzt, in diesem Moment, nicht wegwischen ließen. Denn es war offenkundig: Die Ähnlichkeit dieses hochgewachsenen weißhaarigen Mannes mit seinem Vater war schon auf den ersten Blick überdeutlich. Bei dem Gebäude, das er soeben verlassen hatte, mußte es sich um das Handelshaus der von Manteuffels handeln.
Arne lief die Stelling hinunter zum Kai. Der weißhaarige Mann, der niemand anders als sein Vater war, umarmte ihn und lächelte dabei voller Freude. Die Menschen, die die Szene miterlebten, stimmten erneute Willkommensrufe an.
Ben Brighton stand schweigend neben seinem Kapitän. Er spürte, welche Empfindungen Hasard jetzt bewegten. Auch auf dem Hauptdeck waren die Männer ruhiger geworden und hatten sich fürs erste mit dem Anblick des Spaniers abgefunden.
Philip Hasard Killigrew empfand eine Wehmut, die sein Innerstes aufwühlte. Er selbst hatte seinen Vater nur ein einziges Mal in seinem Leben begrüßen können. Und zu jener Zeit war Godefroy von Manteuffel bereits ein Sterbender gewesen.
Es widerstrebte dem Seewolf, jetzt sein Schiff zu verlassen und sich zu den Männern zu begeben, die seine Verwandten waren. Das Gefühl, nicht dazuzugehören, ließ sich nicht verscheuchen. Für sich selbst fand er den Vorwand, daß er Sohn und Vater in ihrer Begrüßung nicht stören wollte.
Dann jedoch sah er an Arnes Gesten, wie dieser berichtete. Die Wiedersehensfreude des Weißhaarigen erlosch jäh. Betroffenheit grub sich in sein Gesicht. Arne sprach weiter, und Sekunden darauf deutete er zur „Isabella“. Er wandte sich um, sah seinen Vetter und winkte.
Auch der Weißhaarige blickte jetzt herüber. Überdeutlich war die Überraschung in seinen Zügen zu erkennen. Das Staunen, das sich dazugesellte, wich sehr schnell der Freude.
Arne winkte abermals.
Hasard schalt sich einen Narren, daß er zögerte. Er gab sich einen Ruck und verständigte sich durch ein Handzeichen mit seinem Vetter. Dann wandte er sich seinem Ersten Offizier zu.
„Ben, übernimm das Kommando an Bord.“
Ben Brighton nickte, und damit war alles gesagt.
„Aye, aye, Sir.“
Gemeinsam mit seinen beiden Söhnen enterte der Seewolf über die Stelling ab. Nils Larsen folgte ihnen, ohne daß Hasard ihn ausdrücklich aufforderte. Nils wußte, daß seine Dolmetscherdienste wieder gebraucht wurden. Und Hasard vergaß unterdessen die Standpauke, die er den Junioren wegen ihrer Bemerkung über den Spanier hatte halten wollen.
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