„Na und?“ sagte Hasard unruhig.
„Sie haben einen Plan ausgeheckt, der mir übrigens auch durch den Kopf gegangen war.“
„Was für einen Plan?“
Bedächtig, wie es seine Art war, erwiderte Ben Brighton: „Diese Nacht ist schwarz, kein Mondlicht, kein Sternenlicht. Genug Dunkelheit, um sich an die vier Galeonen draußen auf der Reede zu pirschen und die Ankertrossen zu kappen. Ehe die Kerle an Bord kapieren, was sich abspielt, treiben ihre Schiffe hier auf Land zu. Und da gibt’s dann Kleinholz, möchte ich meinen.“
Hasard und die Männer starrten Ben Brighton an, als sei er der Mann vom Mond oder eine Kuh mit drei Köpfen.
„Ach du meine Fresse“, murmelte Edwin Carberry erschüttert, „wer mit chinesischen Raketen Ratten jagt, der bringt noch ganz was anderes fertig.“ Und dann grinste er.
„Wie bitte?“ fragte Hasard irritiert. „Was ist mit den chinesischen Raketen?“
„Ach, nichts“, sagte Carberry, „ich hab nur so gedacht, Sir.“
„Was war das, Mister Carberry?“ fragte Hasard scharf. „Heraus mit der Sprache!“
„Ja, Sir, äh, das war so“, Carberry trampelte von einem Fuß auf den anderen, „also ganz harmlos, Sir. Wie soll ich sagen, na, die Rübenschweinchen haben eine neue Methode erfunden, Ratten zu jagen. Ja, genau so ist es.“ Carberry versuchte ein Grinsen, das aber danebenging, als er in Hasards eisblaue Augen schaute.
„Weiter!“ forderte Hasard. „Was ist das für eine Methode?“
Carberry räusperte sich die Kehle frei. „Nun, wie war das doch gleich, hm, hm.“ Er kratzte sich im Genick, dann war die Brust dran. „Ferris, weißt du noch, wie die Methode funktionierte? Du fandest das doch genial, oder?“ Carberry blickte sich um, aber da war kein Ferris Tucker, denn der hatte ja Landgang. Dann bemerkte er die grinsenden Gesichter, natürlich verstohlen grinsend, und brummte: „Da gibt’s wieder was zu lachen, was, wie?“
„Mister Carberry!“ mahnte Hasard. „Ich wollte die Geschichte gern zu Ende hören.“
„Die Geschichte, ja so, die Geschichte!“ Erneutes Räuspern. „Ja, die Rübenschweinchen haben also unter der Bilgegräting eine chinesische Rakete gezündet. Genial, was, wie? Und wenn das Ding unter der Gräting hin und her faucht und Sternchen verspritzt, dann kriegen es die Ratten, die ja bekanntlich gern in der Bilge herumturnen, mit der Angst zu tun und reißen aus. Schwuppdiwupp können jetzt die Rübenschweinchen zuschlagen.“ Wider versuchte der Profos, ein fröhliches Gesicht zu zeigen, und wieder erstarrte er, als er in Hasards Augen blickte.
„Und das erfahre ich jetzt erst?“
Carberry blickte sich unbehaglich um. „Also, Sir, ich hätte dir das schon noch mitgeteilt, aber da passierte die Sache mit dem verdammten Baumstamm, der unser Ruder demolierte, ja, und dann hab ich diese Geschichte doch glatt vergessen, weil der Ereignisse so viele waren.“ Unwillkürlich ahmte Carberry den gestelzten Stil des Kutschers nach, weil er das immer für sehr beeindruckend hielt. „Ja, der Ereignisse waren so viele, daß die Zeit dahinfloh und ein Tag dem anderen folgte, ohne daß der Gelegenheiten eine sich ergab, dir die Geschichte …“
Carberry brach ab, als Hasard nur sanft den Kopf schüttelte.
„Schon gut, Ed“, sagte Hasard, und Carberry atmete auf.
Ben Brighton sagte: „Sollten wir mit dem großen Beiboot auf die Reede pullen, Sir? Falls etwas schiefgeht.“
Hasard nickte. „Du bleibst an Bord, Ben. Ich gehe selbst mit.“
Sie hatten gegen den Nord aufkreuzen müssen und sich Schlag um Schlag auf die Höhe der vier ankernden Galeonen gekämpft. Wie Affen hockten sie auf der Luvkante des Bootes und geigten durch die zischende See.
Hasard bediente die Pinne, Philip die Schot zu dem trapezförmigen Segel, das an einer Gaffel ausgespreizt wurde. Natürlich waren sie bereits quitschnaß, aber das kümmerte sie nicht weiter. Außerdem war das Wasser warm.
„Wie packen wir’s?“ brüllte Philip seinem Bruder ins Ohr. „Wir können bei dem Wind unmöglich bei jeder Trosse in den Wind schießen, das haut uns die Gaffel kaputt und den Großbaum um die Ohren!“
„Wir segeln an den Trossen vorbei!“ rief Hasard. „Oder vielmehr drüber weg! Ich nehme dann noch die Schot. Und du haust mit dem Messer vom Kutscher auf die Trosse. Da brauchen nur zwei Kardeele zu brechen, dann reißen die anderen auch. Wenn nicht, kehren wir um, und du haust wieder drauf. Klar?“
„Klar!“
Sie hatten sich im Westen hochgekreuzt. Als sie die Umrisse der ersten Galeone undeutlich querab erkannten, liefen sie noch ein Stück über Backbordbug nach Nordwesten, wendeten dann auf den Steuerbordbug und segelten mit einer Braßfahrt bei halbem Wind ostwärts auf den Bug der ersten Galeone zu.
Hasard übernahm die Schot und hing weit draußen nach Luv, um die Schräglage des Bootes zu vermindern.
Philip lauerte in Lee neben dem Mast.
Hasard peilte voraus und sah die Galeone größer und größer werden. Und dann entdeckte er die Ankertrosse, die schräg aus dem Wasser ragte und zu der Bugklüse hochführte. Die Trosse wirkte so straff gespannt wie die Saite eines Lauteninstruments.
„Achtung!“ rief er Philip zu.
Philip zeigte mit der Linken klar. In der Rechten hatte er das Schlachtermesser – scharf „wie ein Skalpell“. Rittlings saß er auf der Mastducht und hatte die Unterschenkel ineinander verhakt, um einen festen Halt zu haben. Er wußte, daß er nur einen einzigen Schlag hatte, und der mußte sitzen.
Die Galeone wurde riesig.
Das Boot zischte auf die Trosse zu. Hasard luvte etwas an, dann noch mehr, um sie nicht zu unterlaufen. Das wäre das Ende gewesen – zumindest für den Mast.
Als er Philips Arm nach unten sausen sah, preßte er die Zähne zusammen. Und schon waren sie vorbei. Er blickte zurück. Genau in diesem Moment sprang die Kerbe auf, die das Messer geschlagen hatte – und dann brach die Trosse. Wie eine Schlange züngelte sie hoch in die Luft. Einen peitschenartigen Knall hatte es dabei gegeben.
Und schon schien die Galeone auf Fahrt zu gehen, so schnell verschwand sie nach Lee.
Philip grinste zu Hasard zurück. Hasard erwiderte das Grinsen.
Die zweite Galeone schälte sich aus der Dunkelheit. Vier Minuten später trieb sie ebenfalls landwärts. Die dritte Galeone folgte.
Bei der vierten Galeone brauchten sie drei Anläufe und waren inzwischen auch schweißgebadet. Hasard konnte die Schot kaum noch halten, die Innenflächen seiner Hände waren aufgerissen.
Aber sie brüllten Hurra und „Arwenack“, was natürlich keiner hörte, weil der Wind orgelte und pfiff.
Die vier Galeonen befanden sich „auf großer Fahrt“, wie Philip brüllte.
Sie segelten jetzt mit Backstagswind über Backbordbug wieder westwärts und kreuzten das Kielwasser der treibenden Galeonen.
Warum sich da überhaupt nichts tat, war ihnen schleierhaft, zumal die Galeonen zwar zuerst mit dem Heck voran nach Süden trieben – wie sich das gehörte –, aber dann doch allmählich herumtörnten, dem Wind die Breitseite boten und demzufolge völlig anders schlingerten und schaukelten als zuvor, als sie im Wind liegend an der Ankertrosse gehangen hatten.
„Die pennen!“ rief Hasard.
Philip, der die Schot wieder übernommen hatte, nickte.
Und dann tönte über die Reede ein donnernder Krach, weil sich zwei der Galeonen gerammt und ineinander verbissen hatten.
Die beiden Lümmel brüllten sich vor Begeisterung die Kehlen heiser.
Und als sie an dem Beiboot vorbeifegten, in dem kräftige Seewölfe an den Riemen rucksten, lachten sie sich halbtot, weil sie schneller waren.
„Da war Dad an der Pinne!“ rief Hasard.
„Hab’s gesehen!“ Philip feixte. „Sah aus, als hätte er Sir John verschluckt!“
Sie lachten und kicherten. Und als ihnen das Segel wegflog, kicherten sie immer noch, weil das zu ulkig aussah. Dieses verdammte Ding hing jetzt nur noch mit einem Schäkel und Reihleine an der Gaffelnock, wehte ihnen voraus wie eine riesige Fahne, aber zog sie auch weiter auf das Ufer zu.
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