„Ganz sicher“, erwiderte Carberry grimmig. „Sonst hätten wir jetzt eine Horde von Kerlen am Hals.“
„Ja“, sagte der Seewolf. „Allerdings schätze ich, daß Moravia zu einem Gegenschlag ausholen wird. Die Schmach der Niederlage läßt er bestimmt nicht auf sich sitzen.“
„Soll er doch kommen“, sagte Ferris Tucker. „Wir bereiten ihm und seinen Hundesöhnen einen heißen Empfang.“
„Warum gehen wir nicht mit zwanzig Mann an Land und räumen bei den Portugiesen kräftig auf?“ erklärte Blacky. „Meiner Ansicht nach könnte ein weiterer Denkzettel nichts schaden. Danach lassen die Bastarde bestimmt die Finger von uns.“
„Oder wir hauen aus Masquat ab“, sagte Old O’Flynn. „Mir schwant, daß hier noch mehr böse Überraschungen auf uns warten. Ich halte zwar nichts davon, den Schwanz einzuziehen, aber was nützt es, wenn wir uns für nichts und wieder nichts mit diesen Kerlen herumschlagen? Es bringt uns nichts ein.“
„Das stimmt“, pflichtete Hasard ihm bei. „Aber eins wissen wir. In Masquat gibt es die Waren, die wir brauchen. Also werde ich einen Vorstoß auf dem diplomatischen Weg unternehmen.“
„Auf dem was?“ fragte Paddy Rogers.
„Ich erkläre es dir nachher“, entgegnete sein Freund Jack Finnegan – und wieder mal grinste die Crew.
„Ihr wißt doch, wie Arne das in Havanna macht“, sagte der Seewolf. „Er geht zum Gouverneur, übergibt ihm ein Geschenk und erreicht meistens das, was er bezweckt. Genauso will ich vorgehen. Ich statte dem Sultan einen Besuch ab und kläre ihn ein wenig über das auf, was in seinem Reich geschieht. Mal sehen, vielleicht fällt er ja aus allen Wolken.“
Natürlich hatte Mac dem Profos längst erzählt, was Osman ihm in der unterirdischen Lagerhalle verraten hatte. Carberry hatte es daraufhin in seinen Bericht eingeflochten. Nun wußte man Bescheid, was in Masquat gespielt wurde – die Portugiesen wollten auf raffinierte Weise das Ruder an sich reißen.
„Ganz allein willst du das tun?“ fragte Ben Brighton.
„Nein, ich nehme meine Söhne mit“, erklärte der Seewolf. „Vielleicht kommen wir mit ein bißchen Türkisch weiter, falls der Sultan uns nicht versteht.“
„Wir haben aber keine Ahnung, wo der Sultan wohnt“, gab der Profos zu bedenken.
Hasard deutete zu dem weißen Palast, der sich majestätisch auf den Hügeln über dem Hafen erhob. „Was hältst du von dem Prunkbau, Ed?“
„Eine Menge, aber ich traue dem Sultan nicht. Was ist, wenn der euch einfach verhaftet?“
„Wir nehmen Plymmie als Melderin mit“, erwiderte Hasard lächelnd.
Sultan Quabus bin Said blickte seinen Berater Mustafa an, als handle es sich um einen Fremden. Soeben war Mustafa eingetreten. Der Sultan schloß die Augen und öffnete sie wieder. Es schien, als sei er aus einem tiefen Schlaf erwacht.
„Es tut mir leid, dich stören zu müssen, o Herr“, sagte der hagere Mann.
„Du störst mich nie. Was gibt es?“
„Fremde begehren dich zu sprechen.“
„Ich will jetzt niemanden sehen.“
„Sie kommen von weit her. Sie sagen, es sei sehr wichtig, was sie dir zu berichten haben“, erklärte Mustafa. „Sie sind Engländer. Kapitän Philip Hasard Killigrew und seine beiden Söhne.“
„Du kannst sie also verstehen, nicht wahr?“ murmelte Quabus bin Said.
„Du weißt, daß ich Spanisch, Portugiesisch, Englisch und Französisch kann, Herr“, erwiderte Mustafa bescheiden.
Tatsächlich war er auch in diesem Punkt der wichtigste Mitarbeiter des Sultans. Nie gab es Schwierigkeiten, wenn der Sultan mit Europäern über Geschäfte verhandelte, denn Mustafa diente als Dolmetscher. Er hatte die besten Schulen besucht und war hochintelligent.
„Schick sie weg“, sagte der Sultan.
„Herr, verzeih“, sagte Mustafa. „Es scheint mir wirklich von Bedeutung zu sein, was sie auf dem Herzen haben. Es geht um Masquat, sagt der Kapitän. Er ist ein großer, aufrichtiger Mann.“
„Du hast einen guten Eindruck von ihm gewonnen?“
„Ja.“
Quabus bin Said konnte sich auf die Menschenkenntnis und den Instinkt seines Helfers voll verlassen. Deshalb fuhr er sich jetzt noch einmal mit der Hand übers Kinn und überlegte. Obwohl ihm nicht danach zumute war, mit anderen Menschen zu sprechen, entschloß er sich nun doch anders.
„Gut, führe sie herein“, sagte der Sultan.
Kurz darauf betraten Hasard und seine Söhne das Allerheiligste des Sultans. Plymmie hatte draußen bleiben müssen – vor dem Tor des Palastes. Der Seewolf und die Zwillinge konnten aber sicher sein, daß die Hündin auf der Hut war. Sollte irgend etwas Unvorhergesehenes geschehen, dann witterte sie es garantiert.
Zwei Wächter begleiteten Hasard, Philip junior und Hasard junior. Mustafa ging vor ihnen her und kündigte den Besuch der Fremden formell bei seinem Herrn an. Dann standen die drei von der „Santa Barbara“ vor Quabus bin Said.
Hasard taxierte den Mann, während Mustafa ihnen bedeutete, auf Kissen Platz zu nehmen. Irgendwie erschien es dem Seewolf so, als würde er sich mit dem Sultan gut verstehen. Allerdings hing das ganz davon ab, wie das Gespräch geführt wurde und verlief.
Hasard erhob sich und überreichte Mustafa das Geschenk, das er für den Sultan mitgebracht hatte – einen goldenen Ring mit einem funkelnden Smaragd. Mustafa gab den Ring an seinen Herrn weiter.
Quabus bin Said betrachtete den Edelstein. Seine Miene hellte sich ein wenig auf, dann wurde sie wieder ernst.
„Frage den Kapitän, warum er mich beschenkt“, sagte er zu Mustafa.
Mustafa übersetzte die Worte ins Englische.
Hasard antwortete: „Es ist ein Zeichen der Ehrerbietung und der Hochachtung. Wir ankern im Hafen von Masquat. Man hat mir berichtet, der Sultan sei ein guter Herrscher. Ich wollte ihn unbedingt kennenlernen.
Quabus bin Said musterte den Seewolf. Schließlich nickte er. „Es ist selten, daß Männer aus der fernen Alten Welt sich in orientalischer Höflichkeit üben. Du, Kapitän Killigrew, scheinst dich darauf zu verstehen. Welche Gegenleistung erwartest du?“
„Für ein Geschenk gibt es keine Gegenleistung“, erwiderte der Seewolf.
„Ich nehme den Ring an“, sagte der Sultan und händigte das Juwel Mustafa aus. Der Berater plazierte es auf einem kleinen roten Kissen. Quabus bin Said richtete seinen Blick wieder auf Hasard. „Leider kommt ihr in ein Trauerhaus“, fuhr er fort. „Heute nacht ist Lamia, eine meiner liebsten Frauen, gestorben.“
„Das tut mir aufrichtig leid, Hoheit“, sagte Hasard. „War sie krank?“
„Sie ist getötet worden.“
„Vom wem?“ wollte der Seewolf wissen.
Quabus bin Said hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Keiner von uns hat auch nur den geringsten Verdacht. Es ist eine fatale Lage. Ein Gespenst scheint sich eingeschlichen und Lamia erdolcht zu haben.“ Er stellte die Fingerkuppen pyramidenförmig zusammen, fast wie zum Gebet, dann fügte er hinzu: „Dieser Mord richtet sich gegen mich. Der Mörder weiß, wie sehr ich Lamia geliebt habe. Seine Klinge hat in Wirklichkeit mich getroffen.“
„Ist Lamia bestattet worden?“ erkundigte sich Hasard.
„Ja“, erwiderte der Herr von Masquat. „Warum fragst du?“
„Mein Arzt, der Kutscher, hätte sie untersuchen können.“
„Du weißt, daß wir euch Ungläubige nennen, und daß der Koran die Berührung von Haremsfrauen durch Unbefugte und Ungläubige verbietet“, entgegnete Quabus bin Said.
„Das ist mir bekannt“, sagte Hasard. „Aber mein Bordarzt könnte auf Spuren stoßen, die deinen Leuten verborgen geblieben sind.“
Fast sah es aus, als wolle der Sultan aufbrausen. Dann aber erwiderte er nur: „Das geht nun nicht mehr. Lamia liegt unter der Erde. Außerdem wäre ich dagegen gewesen.“
„Verzeih meinen Vorschlag, Hoheit“, sagte der Seewolf. „Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich versuche nur, dir zu helfen. Hast du Feinde?“
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