„Ich habe sie wirklich geliebt“, sagte der Sultan schließlich.
„Das weiß ich, o Herr“, erwiderte Mustafa.
„An dem, der sie umgebracht hat, werde ich mich furchtbar rächen.“
„Ich möchte nicht in seiner Haut stecken.“
Quabus bin Said sah seinen engsten Vertrauten voll an. „Hast du keinen Verdacht, wer es gewesen sein könnte?“
„Nein, noch nicht.“
„Eine der Frauen“, sagte der Sultan. „Sie war eifersüchtig auf Lamia.“
„Die Frauen haben zusammengesessen, als es geschah“, erklärte Mustafa. „Und keine von ihnen hat einen Dolch. Wir wissen aber, daß Lamia mit einem Dolch getötet wurde. Der Wundarzt hat sie genau untersucht.“
„Ich traue ihm. Und wenn Zaira es getan hat?“
„Sie hat ebenfalls keinen Dolch und konnte auch aus der Waffenkammer keinen Dolch entwenden“, entgegnete Mustafa. „Wir haben die Waffenkammer kontrolliert. Es fehlt kein einziges Messer.“
„Was ist mit den Eunuchen?“
„Sie schwören, unschuldig zu sein.“
„Wenn ich den Mörder nicht finde, werde ich die Kerle dem peinlichen Verhör unterziehen“, sagte Quabus bin Said. „Und auch das Gesinde.“
„Die Möglichkeit, daß der Täter von außen eingedrungen ist, müssen wir aber auch prüfen, Herr“, sagte Mustafa. „Es ist immerhin denkbar, daß er sich eingeschlichen hat. Vielleicht hat er einen der Wächter bestochen.“
Der Sultan rieb sich nachdenklich das Kinn. „Wir werden es in Erfahrung bringen. In diesem Palast hat es noch nie einen Mord gegeben. Ein Fluch lastet über dem Haus. In Wirklichkeit hat man es auf mich abgesehen. Man will mich vom Thron stürzen, indem man mich verunsichert und mir Angst einzujagen versucht.“
Mustafa sah seinen Herrn entgeistert an. „Aber – das kann ich nicht glauben. Das bildest du dir nur ein, Herr!“
Quabus bin Said schüttelte den Kopf. „Ich ahne, daß sich etwas zusammenbraut. Ein Komplott. Eine Palastrevolution. Aber ich werde meine Gegner vernichten! Ich werde sie eigenhändig in der Luft zerreißen!“ Er sprang auf und schüttelte zornig die Fäuste.
Carberry trat als erster auf den Bärtigen zu.
„Ja, danke“, sagte er. „Wo sind wir hier eigentlich gelandet?“
„In der besten Gegend von Masquat“, erwiderte der andere. Er streckte dem Profos die Hand entgegen. „Ich bin Silvestro Moravia.“
Carberry ergriff die Hand und drückte sie fest. Moravia verzog keine Miene, aber ihm war doch anzusehen, daß er litt.
„Du bist Portugiese, und das hier sind deine Freunde?“ fragte Carberry.
„Richtig. Meine Mitarbeiter. Wir handeln mit so gut wie allem, was du dir vorstellen kannst. Und wer seid ihr?“
„Unser Kapitän ist Philip Hasard Killigrew“, entgegnete der Profos. „Wir sind, gerade erst mit unserem Schiff eingelaufen.“
„Engländer also“, sagte der Portugiese und blickte die Mannen einen nach dem anderen an.
„Der größte Teil“, sagte Carberry. „Aber zur Sache. Wir brauchen Proviant, vor allem frisches Zeug. Wir wollen einkaufen. Ist das hier möglich?“
„Aber natürlich“, erwiderte Moravia lachend. Er breitete die Arme aus. „Unser Lager gehört euch! Sucht euch aus, was ihr haben wollt! Wir haben günstigere Preise als das Araber-Pack, und wir hoffen, daß bald auch die letzten Buden dieser Alis aus der Kasbah verschwunden sind. Dann breiten wir uns auch dort aus!“
Matt Davies stieß einen leisen Pfiff aus. Higgy und Paddy tauschten Blicke. Mac stieß Stenmark mit dem Ellenbogen an.
Don Juan sagte: „Ihr Portugiesen seid also dabei, den einträglichen Handel an euch zu ziehen, wie?“
„So ist es“, erwiderte Moravia. „Wir sitzen seit ein paar Jahren hier und haben bescheiden angefangen. Natürlich können wir das Gesindel nicht gewaltsam vertreiben. Dazu sind wir zu wenige, außerdem würde der Sultan nicht mitspielen. Wir booten die Brüder ganz langsam und heimlich aus.“
„Das sind ja feine Methoden“, sagte Don Juan.
Moravia fixierte ihn. „Hast du was dagegen?“
Don Juan de Alcazar hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Wenn der Sultan keine Einwände hat, was soll ich als Fremder dann beanstanden?“
Carberry, Mac, Matt, Higgy und die anderen taxierten routinemäßig die anderen Männer, die zu der Belegschaft des unterirdischen Warenlagers gehörten. Zehn Portugiesen, drei Araber – und der kleine Dicke, der, wie sich inzwischen herausgestellt hatte, auf den Namen Halef hörte. Mit Moravia waren das also fünfzehn Mann, die man im Falle einer Auseinandersetzung gegen sich hatte. Aber warum sollte man sich streiten? Dazu bestand nicht der geringste Anlaß.
Moravia grinste breit. „Ja, da hast du recht. Na los, Freunde, nun fangt schon an. Womit können wir euch als erstes dienen?“
Der Profos holte wieder seine Liste zum Vorschein. „Mit Maismehl.“
„Wieviel Pfund?“
„Erst mal fünfzig“, erwiderte Carberry. „Dann sehen wir weiter. Habt ihr auch frisches Gemüse und Obst?“
Der bärtige Portugiese lachte und rieb sich die Hände. „Alles, was das Herz begehrt! Das habe ich dir doch gesagt! Schau her!“ Er griff hinter sich und wies zwei große, rote Pfirsiche vor. „Hast du jemals so große Früchte gesehen?“
„Selten“, erwiderte Carberry.
„Willst du mal reinbeißen?“
Der Profos hob abwehrend die Hand. „Nein, ich habe schon gefrühstückt. Wie sieht es mit Fisch aus?“
„Von der Sardine bis zum Seewolf ist alles vorhanden“, erklärte Moravia.
„Wenn das kein gutes Omen ist“, sagte Jack trocken.
„Ihr seid tüchtige Leute“, sagte Mac Pellew zu Silvestro Moravia, doch seiner gallebitteren Miene war abzulesen, daß er nach wie vor argwöhnisch war.
„Wir tun, was wir können“, entgegnete der Portugiese und warf Halef einen bedeutungsvollen Blick zu. Halef kicherte und fügte hinzu: „Und wenn ihr Sklaven, Maultiere oder bunte Vögel wollt, so werden auch die im Handumdrehen beschafft. Und Weiber – Weiber gibt es in Hülle und Fülle, in allen Altersklassen.“
Moravia grinste immer noch. „Halef ist ein alter Lustmolch, er hat nur die Frauenzimmer im Kopf. Hört nicht auf ihn. Er glaubt nicht, daß es verboten ist, Frauen an Bord von Segelschiffen zu holen.“ Völlig übergangslos fragte er: „Wer ist denn dieser Kapitän Killigrew?“
„Ein guter Kapitän“, erwiderte Carberry.
„Das glaube ich, aber ich meine was anderes. Seid ihr Handelsfahrer?“
„Forschungsreisende“, erklärte Carberry allen Ernstes. Seine Kameraden hatten Mühe, ein Grinsen zurückzuhalten.
Moravia zog die Augenbrauen hoch. „Und was erforscht ihr?“
Wieder war der Profos um keine Antwort verlegen. „Ach, die große, weite Welt. Wir sind in China gewesen, auf den Molukken und anderswo. Von überall haben wir ein paar seltene Gewürze und Blumen mitgebracht. Es handelt sich um einen Auftrag des englischen Königshauses.“
„Das ist ja hochinteressant.“
„Ja, ist es.“
„Und ihr habt Geld?“ fragte der Portugiese.
„Genug Geld, um deine Waren zu bezahlen“, entgegnete der Profos. „Du brauchst dir keine Sorgen zu bereiten.“
„Ich habe es gewußt“, sagte Moravia zufrieden lächelnd. „Unter Ehrenmännern versteht man sich auf Anhieb.“
Während sich die beiden unterhielten, hatte Mac Pellew einen kleinen Streifzug durch das Gewölbe unternommen. Er blieb mal hier und mal da stehen, hielt seine Nase in Rosinenkisten und Rübensäcke, schnupperte und inspizierte. Was sich hier dem Auge und dem Riechorgan bot, war wirklich erstklassige Ware. Nichts daran auszusetzen – die Arwenacks waren nur gut beraten, wenn sie sich hier eindeckten.
Plötzlich tauchte einer der Araber neben Mac auf. Er hielt eine Hand an den Mund und zischelte: „Herr, seid vorsichtig. Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu!“
Читать дальше