Pinho Brancate hob seinen Becher. „Auf die Freundschaft zwischen Spanien, Portugal und Irland, Senores!“
„Ja“, sagten die Seewölfe. „Auf gute Freundschaft!“
Sie tranken den Riojo, dann lehnte sich Brancate zu Hasard hinüber und sagte jovial: „Sagen Sie, Capitán Drummond, haben Sie denn tatsächlich Getreide geladen? Keine Waffen, wie?“
„Waffen für Irland? Nein, die geraten auf anderem Weg in unser Land“, erwiderte Hasard. „Außerdem haben wir Korn genauso dringend nötig wie Flinten und Schwarzpulver, das dürfen Sie mir glauben, mein Freund. Ich meine, der Hunger ist Irlands ärgster Feind.“
„Ja, Hunger ist schlimm“, murmelte Emilia.
Hasard packte aus, was er außer dem Wein in seiner Ledertasche mitgebracht hatte – Speckseiten, Mehl, Zucker, Salz und ein frisches Huhn aus der Vorratskammer des Kutschers. Seit der letzten Proviantübernahme waren die Seewölfe mit Eßwaren recht gut eingedeckt. Sie konnten diese Kleinigkeiten erübrigen. Hasard wollte das Spiel auf die Spitze treiben und die Brancates menschlich herausfordern. Er wollte einfach sehen, wie weit das Spiel ging.
„Segura und Franca haben mir erzählt, daß Ihre Familie früher einmal großen Hunger gelitten hat“, sagte er. „Das hat mich zutiefst beeindruckt, und ich wollte auf meine Art zur Besiegelung dieser Freundschaft beitragen.“ Er schob die Lebensmittel auf Emilia zu, aber die lehnte es sofort gestenreich ab, anzunehmen.
„Das können wir nicht akzeptieren!“ rief nun auch Pinho Brancate. „Auf gar keinen Fall! Sie beschämen uns, Capitán Drummond!“
„Ach wo“, antwortete der Seewolf. „Nun nehmen Sie schon hin, Senor. Sie können sich dafür mit etwas Trinkwasser revanchieren, das wir gern in unsere mitgebrachten Fässer füllen würden.“
„Gut“, sagte Brancate. „Aber Sie kriegen noch mehr von uns, nicht nur Wasser.“
„Ja, das glaube ich“, brummte der Profos schläfrig. Er wollte noch etwas hinzufügen, bevor Hasard, Ben, Shane oder Ferris ihn daran hindern konnten, aber dann verschlug es ihm doch die Sprache, denn die restlichen Mitglieder der Brancate-Familie waren eingetreten.
Charutao, Iporá – und Josea.
Den Söhnen des Herbergswirts schenkten die Seewölfe kaum Beachtung, wohl aber der schönen Josea. Sie grüßte freundlich, wechselte ein paar Worte mit ihren Schwestern und half dann der Mutter, Schinken und Wurst zu schneiden und den Besuchern das einfache Mahl auf Tellern vorzusetzen.
Segura stellte eifersüchtig fest, daß ihre ältere Schwester dem Seewolf immer wieder Blicke zuwarf. Hasard merkte das auch, und ein belustigter Ausdruck spielte um seine Mundwinkel. Er stand plötzlich auf.
„Danke, Senor Brancate“, sagte er. „Aber bevor wir etwas zu uns nehmen, erledigen wir die Sache mit dem Wasser. Sie wissen schon: erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“
„Wirklich?“ Brancate zuckte mit den Schultern, dann grinste er breit und zufrieden. „Also schön, wie Sie meinen, Capitán Drummond. Aber ich möchte Ihnen einen dieser wirklich vorzüglichen Schinken schenken, die wir in Eigenproduktion herstellen. Josea kann Sie nach oben in den Speicher begleiten, wo die Schinken und Würste aufgehängt sind, während einer meiner Söhne und ich Ihren Kameraden dabei helfen, Wasser aus dem Brunnen heraufzuziehen.“
„Eine gute Idee“, erwiderte Hasard. „Ich schlage Ihr Angebot nicht ab, Senor, weil ich weiß, daß Sie dann wirklich gekränkt wären.“
„So ist es.“
„Senor“, sagte Emilia zu Ben Brighton. „Gehen Sie mit Charutao in den Keller hinunter. Ich möchte, daß Sie etwas von unserer vorzüglichen Kuhmilich in eins Ihrer Fäßchen abzapfen. Die Männer an Bord Ihres Schiffes werden dankbar für diese Abwechslung sein.“
„Ben, das geht in Ordnung“, sagte Hasard.
Carberry gähnte und erinnerte sich zu spät daran, daß man in der Gegenwart von Ladys am besten die Hand vor den Mund hielt.
„Sir, ich komme natürlich mit“, sagte er in seiner Muttersprache, weil Spanisch jetzt viel zu anstrengend war. „Ich mache mich auch nützlich, aye, Sir, so wahr ich hier stehe.“
„Sitze“, brummte Ferris Tucker. „Ed, es wäre besser, wenn du dich irgendwo hinlegen könntest. Du bist ja völlig fertig. Vierundzwanzig Stunden ununterbrochen auf den Beinen – das setzt einem früher oder später eben doch zu.“
„Was, ich? Vierundzwanzig Stunden?“ Carberry verstand die Welt nicht mehr. Nach seiner Rechnung waren höchstens fünfzehn oder sechzehn Stunden vergangen, seit er seinen Achtersteven aus der Koje im Logis der „Isabella“ gewuchtet hatte – und warum waren die anderen auf einmal so besorgt um ihn?
„Im Nebenzimmer steht eine Liege, Senor“, sagte Pinho Brancate, „dort können Sie sich ausruhen. Bitte keine falsche Bescheidenheit. Segura und Franca, ihr begleitet unseren Freund in das Hinterzimmer hinüber, anschließend geht ihr nach oben und zieht euch trockenes Zeug an. Es nutzt doch nichts, daß ihr vor dem Kamin hockt, ihr holt euch ja noch den Tod nach dem vielen Regen, den ihr abgekriegt habt.“
„Ja, das meine ich auch“, entgegnete Hasard. „Aber jetzt brauchen die Mädchen ja nicht mehr Wache bei der Bucht zu halten. Meine Männer besorgen das. Falls irgend jemand Ungebetenes mit hinterhältigen Absichten auftaucht, geben sie uns Bescheid.“
Segura und Franca verließen mit dem wankenden Carberry den Raum – nicht, ohne noch einen mißgünstigen Blick auf Josea abgeschossen zu haben.
Der Profos seinerseits sandte der schönen Josea einen sehnsüchtigen Blick nach. Er wünschte sich, jetzt an Hasards Stelle sein zu können und mit dem bezaubernden Mädchen die Treppe hinaufzusteigen.
Statt dessen ließ er sich im Nebenraum auf einer Art Pritsche nieder und schlief sofort ein.
Es stimmte: Vom Obergeschoß des Hauses führte eine kurze Stiege bis unter das Dach, und dort baumelten von dicken Balken die Schinken und Würste, von denen Pinho Brancate so schwärmerisch gesprochen hatte. Hasard kletterte hinter Josea die Sprossen der Stiege hinauf und hatte Gelegenheit, ihre schwingenden Hüften zu bewundern. Er hätte einigermaßen beruhigt sein können, als sie jetzt auf dem Dachboden-Speicher verharrte und im Schein eines Talglichtes, das das Mädchen hielt, zu der Pracht schauten, die da aufgehängt worden war. Aber er wurde das dumpfe Gefühl nicht los, daß man sie überwältigen wollte.
„Suchen Sie sich den schönsten aus“, sagte Josea, als sie auf die Schinken zutraten. „Mein Vater will, daß Sie aufs beste bedient werden.“
„Und Sie, Senorita?“
Ihr Blick traf seine eisblauen Augen. Ihre Züge waren weich, unbeschreiblich weich und ebenmäßig – und voller Verheißung. „Ich tue, was der Padre sagt.“
„Dann beraten Sie mich.“
„Man muß ein Geschenk kosten, um zu wissen, wie es schmeckt“, erwiderte sie leise. „Ist Ihnen das nicht bekannt – Capitán?“
„Ich heiße Philip mit Vornamen.“
Sie blieb dicht vor ihm stehen und wandte sich ganz zu ihm um. „Vater würde mich schlagen, wenn er wüßte, daß Sie Josea zu mir sagen.“
„Noch habe ich es nicht getan.“
„Sind alle Iren so – so zurückhaltend?“
Verdammte Koketterie, dachte Hasard, raffiniertes Biest, aber ich lasse mich von dir nicht einwickeln.
„Iren sind Hitzköpfe voller Temperament“, antwortete er verhalten. „Hat dir noch keiner gesagt, daß sie den Portugiesen ähneln, Josea?“
„Nein. Von dir könnte ich viel lernen, oder?“
„Das kommt ganz darauf an.“
„Du bist ein kluger Mann, Philip.“ Sie legte ihm die Hände auf die Schultern. „Es spricht aus deinen Worten, aus deiner Art, dich zu bewegen, daß du weit herumgereist bist und viele Erfahrungen gesammelt hast.‘“
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