„Was sagen die?“ wollte Hanno von Ropers wissen.
„Daß wir nur blödes Zeug quatschen.“
Hanno tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe. „Ihr seid ja selber blöd.“ Dabei sah er wieder provozierend den Soldaten mit der großen Nase an. Eigentlich hatte er nichts gegen ihn, aber jemand mußte ja das Ablenkungsmanöver durchführen.
„Dir stopf ich das Maul!“ schrie der Soldat.
„He“, sagte sein Kamerad. „Jetzt hör aber endlich auf.“
Zwei andere rückten näher.
„Deutscher, halt die Klappe, oder du fliegst zu den anderen in die Vorpiek“, sagte der eine.
„Was heißt das jetzt wieder?“ fragte Hanno, obwohl er selbst genug Spanisch verstand.
„Daß es gleich losgeht“, brummte Hein Ropers.
Unmerklich warf er einen Blick nach achtern. Mel und Jan hatten das Achterdeck erreicht, aber auch auf dem Achterdeck waren vier Seesoldaten.
Hanno beschloß, den Ablauf der Dinge zu beschleunigen.
„Da“, sagte er und trat direkt vor den Soldaten mit der großen Nase hin. Sein Zeigefinger richtete sich auf die Nase und schien ein Loch hineinbohren zu wollen. „Hast du dich schon mal im Spiegel gesehen?“
„Was sagt er?“ brüllte der Soldat Hein Ropers an.
Der zuckte nur mit den Schultern. „Ach, ich verstehe ihn selber nicht recht. Er spricht Plattdeutsch.“
Der Soldat war im Gesicht hochrot angelaufen. „Was für’n Ding?“
„Es ist ’ne Steckrübennase“, brummte Hanno. Dann grinste er wieder derart frech, daß der Spanier nicht mehr länger an sich halten konnte.
Der Soldat hob seine Muskete, drehte sie um und wollte Hanno den Kolben gegen die Schulter rammen. Darauf hatte Hanno nur gewartet. Er duckte sich und wich dem Stoß um Haaresbreite aus.
„Du Dreckskerl!“ schrie der Soldat.
Hanno unterlief ihn und warf sich gegen seinen Brustpanzer. Der Soldat stieß einen Laut aus, der wie eine Mischung aus Verblüffung und Entsetzen klang, dann verlor er das Gleichgewicht. Er kippte um, krachte auf die Planken und verlor seinen Helm. Hanno beugte sich über ihn und knallte ihm die Faust unters Kinn.
Der zweite Soldat wollte seinem Kameraden zu Hilfe eilen, achtete aber nicht auf Hein Ropers. Der riß ihm den Helm vom Kopf und hieb damit zu. Es gab einen dröhnenden Laut, der Soldat sank besinnungslos zusammen.
Auch der erste sank aufseufzend zurück und rührte sich nicht mehr. Hannos Hieb hatte gesessen. Doch jetzt stürmten die anderen Seesoldaten heran und stürzten sich fluchend auf die beiden Deutschen.
„Hanno!“ rief Hein Ropers. „Nichts wie ’ran!“
Hanno richtete sich von dem außer Gefecht gesetzten Gegner auf und fuhr zu Hein Ropers herum. Die Soldaten waren heran und hoben die Musketen, um damit auf die Aufsässigen einzuschlagen. Hein Ropers donnerte dem ersten, der in seine Reichweite geriet, den erbeuteten Helm auf den Schädel.
Das gab wieder einen scheppernden Laut, und der Helm rutschte dem Soldaten bis über die Augen. Hein Ropers setzte ihm die Faust gegen die Kinnlade, und der Mann taumelte zurück. Er ruderte mit den Armen und nahm zwei seiner Kameraden mit. Sie kämpften fluchend um ihr Gleichgewicht.
Aber immer mehr Soldaten rannten die Niedergänge zur Back hinauf. Eine Riesenkeilerei begann – mit Hein Ropers und Hanno Harms im Zentrum.
Jean Ribault wäre den beiden gern zu Hilfe geeilt, doch sie hatten abgesprochen, daß er sich zurückhielt. Er schirmte Jans und Mels Flucht sozusagen als Posten ab – und sollte alles so klappen, wie sie es sich ausrechneten, mußte zumindest er als letzter „Deutscher“ an Oberdeck der „Goldenen Henne“ zurückbleiben.
Hein und Hanno schlugen sich wie die Berserker. Die Soldaten brauchten immer mehr Nachschub. Mit polternden Schritten näherten sich die Spanier auch von achtern und stürmten nach vorn.
Keiner beachtete mehr Ribault, Jan Ranse und Mel Ferrow, auch nicht die Wachen an Bord der beiden Kriegsgaleonen und der Kriegskaravelle. Auf der Back der „Goldenen Henne“ war der Teufel los.
Der Radau schwoll derart an, daß selbst Don José de Zavallo, der sich inzwischen in der Koje der Kapitänskammer zur Ruhe begeben hatte, hochschreckte und aufsprang. Er stieß ein paar üble Verwünschungen aus, kleidete sich eilig an und hastete nach draußen.
Jan Ranse und Mel Ferrow nahmen die günstige Gelegenheit wahr. Sie huschten zum Heckschanzkleid, kletterten hinüber und enterten zur Galerie ab. Von hier aus gelangten sie über das Hennegat und das Ruder in die Jolle. Blitzschnell kappte Jan mit dem einen der beiden Fleischermesser, das Mel ihm inzwischen zugesteckt hatte, die Schleppleine. Mel kauerte bereits hinter ihm im Boot. Die Leine brach, die Jolle blieb hinter der „Goldenen Henne“ im Kielwasser zurück.
Spätestens jetzt hätten zumindest die Deckswachen der spanischen Kriegskaravelle Alarm schlagen müssen. Aber sie hatten nur Augen für die Kämpfer auf der Back der „Goldenen Henne“. Mit gutem Grund: Dort ging es zu, als sei der Teufel in eigener Person aufgeentert. Hein Ropers und Hanno Harms schlugen mit Fäusten, Helmen und erbeuteten Musketen um sich. Sie standen Rücken an Rücken und schickten einen Gegner nach dem anderen auf die Planken.
Jean Ribault registrierte, daß Jan Ranse und Mel Ferrow verschwunden waren. Er grinste, dann sah er, wie das Schott des Achterkastells aufflog und gegen die Querwand knallte. Don José de Zavallo stürmte aus dem Gang hervor, sein Gesicht war wild verzerrt.
„Was geht hier vor?“ schrie er.
„Krawall!“ brüllte einer der Soldaten.
De Zavallo raste an Jean Ribault vorbei, ohne ihn zu bemerken. Unwillkürlich überlegte Jean Ribault, ob er nach unten laufen und das Schott zur Vorpiek öffnen sollte. Er bewegte sich auf das Vordeck zu.
Doch das Steuerbordschott des Vordecks wurde von innen aufgestoßen. Der Sargento sprang auf die Kuhl und richtete seine Muskete auf Jean Ribault.
„Keine Bewegung!“ herrschte er ihn an. „Hände hoch!“
Jean Ribault hob die Hände. Mit dem Sargento war nicht zu scherzen. Der hatte ohnehin einen Haß auf ihn, weil er ihn niedergeschlagen hatte.
Soldaten stürmten aus dem Vordeck auf die Kuhl.
„Auf die Back!“ rief der Sargento ihnen zu.
Er selbst blieb jedoch vor Jean Ribault stehen, hielt ihn mit der Muskete in Schach und ließ ihn nicht aus den Augen.
Don José de Zavallo kämpfte sich auf der Back durch das wüste Getümmel der Leiber auf Hein Ropers und Hanno Harms zu. Er wollte Hein Ropers packen. Der aber rammte ihm die Faust bretthart gegen das Kinn.
De Zavallo flog zurück und stürzte nur deshalb nicht auf die Planken, weil seine Soldaten ihn auffingen. Die Kinnlade schmerzte wieder wie wahnsinnig, glühende Nadeln schienen darin zu stecken. De Zavallo stieß die wüstesten Flüche aus, die er kannte.
Selbst der Verbandsführer war inzwischen aufmerksam geworden. Er stand auf dem Achterdeck der Führungsgaleone und verfolgte mit fassungsloser Miene, was auf der Back der „Goldenen Henne“ passierte.
„Recht so!“ schrie Hanno. „Wir schmeißen sie alle über Bord!“
Daraus wurde dann aber doch nichts. Hein Ropers und Hanno Harms schenkten den Spaniern nichts – und sie hatten einen wilden Spaß daran, endlich ihre Fäuste einsetzen zu können. In diesen Fäusten schien Eisen zu stecken. Sie setzten ihren Gegnern wüst zu, aber letzten Endes war die Übermacht doch zu groß.
Aber der Zweck der Übung war erreicht. Jan Ranse und Mel Ferrow waren entwischt. Die Kriegskaravelle war immer weiter nach Backbord aufgesegelt, die Deckswache konnte gar nicht genug von dem tobenden Handgemenge mitkriegen, das sich auf der beschlagnahmten Karavelle abspielte.
So fiel keinem der Spanier auf, daß sich die Jolle vom Heck der „Goldenen Henne“ löste und nach Steuerbord, also ostwärts, in der Dunkelheit verschwand.
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