„Nur keine Hast“, murmelte Jan. „Und vor allem keine Panik.“ Er grinste Jean Ribault zu und sah dann zu seinem „Komplizen“ Mel. Dann grinsten sie alle drei wie die Teufel.
Jan Ranse als Steuermann der früheren „Le Vengeur“ hatte die nördlichen Bahama-Inseln von den Karten her genau im Kopf. Wo die derzeitige Position der „Goldenen Henne“ und ihrer Bewacher war, konnte er – wie Jean Ribault – ebenfalls nur schätzen. Deshalb war er ziemlich sicher, daß es keine Orientierungsschwierigkeiten geben würde, wenn sie mit der Jolle verschwanden.
Im übrigen war die Jolle mit Bootskompaß, Steckmast und aufgerolltem Gaffelsegel ausgerüstet. Die Spanier hatten nichts entfernt. Das war ein Fehler von Don José de Zavallo. Er hätte entweder die Jolle an Bord hieven oder zumindest den Mast entfernen lassen müssen.
Immerhin mußte er damit rechnen, daß die „Deutschen“ nach ihrer überraschenden Attacke verwegen genug waren, noch einmal den Aufstand zu proben. Nichts schien ihren Widerstand brechen zu können, ständig mußte man auf sie aufpassen.
Aber das taten die Seesoldaten ja auch. Die fünf „Deutschen“, denen de Zavallo gnädigerweise gestattet hatte, an Oberdeck zu bleiben, hatten nicht die geringste Chance, etwas zu unternehmen – so dachte der Teniente. Im Prinzip traf dies, von seiner Warte aus gesehen, auch zu.
Wenn auch nur einer der Gefangenen ins Wasser sprang – was praktisch unmöglich war –, wohin sollte er schwimmen? Die Haie würden ihn zerreißen, bevor er eine der Bahama-Inseln erreichte. Und mit der Jolle konnte er auch nicht viel anfangen. Ganz abgesehen davon war es ausgeschlossen, daß einer dieser Kerle den Soldaten entwischte, die den Befehl hatten, sofort zu feuern, falls auch nur der kleinste Zwischenfall passierte.
De Zavallo durfte sich also sicher fühlen, was die verordneten Maßnahmen betraf. Er ahnte ja auch nicht, daß die „Teutonen“ keine biederen Handelsfahrer waren, sondern dem Bund der Korsaren angehörten. Somit lag ihm auch jegliche Vermutung fern, es könnten sich etwaige Verbündete dieser Kerle in der Umgebung befinden.
Don José de Zavallo hatte sich wieder etwas beruhigt. Die Schmerzen in seinem Unterkiefer hatten nachgelassen. Seine Wut war zum größten Teil verraucht. Nicht etwa, weil er dem verrückten deutschen Kapitän und dessen Kerlen verzieh – o nein!
Es war vielmehr der Aufenthalt in der Kapitänskammer, der ihn ablenkte und ihm ein neues Gefühl der Überlegenheit und Selbstherrlichkeit verlieh. Zudem hatte er ein Fläschchen Portwein entdeckt, von dem er jetzt ein Glas zu sich nahm.
Er war kein Trinker, er verachtete eher Alkohol. Aber seinen Sieg mußte er jetzt feiern, für sich allein. Zum Wohl, dachte er, hob das Glas an den Mund und nahm einen Schluck von dem süffigen Wein.
Vorzüglich, dachte er und grinste. Er spürte die Wirkung sofort. Die Schmerzen ließen noch mehr nach, das Hochgefühl wuchs. Fast war er versucht, ein Liedchen zu trällern, aber das erschien ihm denn doch etwas zu übertrieben.
Hätte er geahnt, was sich an Oberdeck zusammenbraute, dann hätte er schleunigst die Kapitänskammer verlassen und persönlich die Leitung der Nachtwache übernommen. Aber nicht die Spur von einem Verdacht keimte in ihm. Alles friedlich, dachte er, eine ruhige Nacht.
Mel Ferrow war es unterdessen gelungen, heimlich das Vordeck aufzusuchen. Daß die Deckswachen es nicht bemerkten, hing bereits mit dem Ablenkungsmanöver zusammen, das Hein Ropers und Hanno Harms vorn auf der Back begonnen hatten.
Jean Ribault hatte sich vor einer halben Stunde mit ihnen abgestimmt – auf Deutsch. Es hatte nur weniger Worte bedurft. Sie hatten sofort begriffen und wußten, was sie zu tun hatten.
Als Hein Ropers registrierte, daß Mel sich anschickte, die Kuhl zu verlassen, deutete er auf einen der Soldaten, die bei ihnen auf der Back standen und sie bewachten.
„Sieh mal, Hanno“, sagte er. „Findest du nicht auch, daß er eine reichlich dicke Nase hat?“
Hanno Harms, der Mann aus Hinterpommern, betrachtete den Spanier auf seine bedächtige Art. „Stimmt schon. Ich schätze, er hat eine feine Knollennase.“
„Nee“, sagte Hein Ropers, „’ne Rübennase.“
Der Soldat verstand zwar kein Wort, begriff aber natürlich, daß sie über ihn redeten. Seine Augen wurden schmal, und er senkte etwas seinen behelmten Kopf.
„He“, brummte er. „Was ist los?“
Hanno musterte ihn und schüttelte den Kopf. „Ob Knollen- oder Rübennase, ist doch egal. Ich finde, es ist eine Zumutung, mit so ’ner Nase durch die Gegend zu laufen.“
„Ja, wirklich, ein starkes Stück“, pflichtete Hein Ropers ihm grinsend bei.
„Verdammt“, sagte der Soldat und rückte ein Stück auf sie zu. „Was habt ihr da zu grinsen?“ Der Schein der Bordlaterne fiel jetzt direkt auf sein Gesicht.
Hanno lachte. „O Mann, was für ein Zinken. So was sollte verboten werden, finde ich.“
„Was reden die?“ fragte der Soldat einen seiner Kameraden.
„Bin ich Hellseher?“ fragte ein anderer Soldat zurück. „Wer versteht das Kauderwelsch schon?“
„Du da“, sagte der erste Soldat zu Hanno. „Red gefälligst Spanisch.“
„Was sagt er?“ fragte Hanno Hein Ropers.
„Du sollst Spanisch sprechen“, erwiderte Hein Ropers.
„Kann doch kein Spanisch“, sagte Hanno. „Nicht ein einziges Wort. Mann, was für ’ne dicke, dicke Nase.“
Der Soldat mit der großen Nase wurde wütend. Aber sein Kamerad trat zu ihm und hielt ihn am Arm fest.
„Laß dich doch nicht verulken“, sagte er. „Merkst du nicht, daß die dich bloß herausfordern wollen?“
„Ich laß mich nicht auslachen.“
„Darauf legen sie es ja nur an.“
„Wenn sie nicht aufhören, melde ich sie dem Teniente“, sagte der Soldat mit der großen Nase aufgebracht.
Mel Ferrow war inzwischen in die Kombüse eingedrungen. Es war stockdunkel, aber er kannte sich gut genug aus. Oft besuchte er Eric Winlow, den Koch, und schaute aus reiner Neugier bei ihm in die Töpfe. Deshalb wußte Mel auch, wo die Messer waren.
Im Handumdrehen hatte er sich zwei Fleischermesser zugesteckt, verließ die Kombüse wieder und kehrte auf die Kuhl zurück. Keiner der Spanier schien sein kurzes Verschwinden bemerkt zu haben. Die Soldaten richteten ihr Augenmerk auf die Back.
„Ha“, sagte dort gerade Hanno Harms. „Wenn ich so eine Gurke im Gesicht hätte, würde ich mich verstecken.“
„Er zieht mich wegen meiner Nase auf!“ stieß der Soldat erbost hervor.
„Ach, hör auf“, sagte sein Kamerad beschwichtigend. „Das bildest du dir nur ein.“
Jean Ribault war mit wenigen Schritten neben Mel Ferrow.
„Hast du die Messer?“ fragte er gedämpft.
„Ja, alles klar.“
„Dann los. Setzt euch nach achtern ab.“
Mel warf Jan Ranse einen Blick zu. Jan wich unmerklich weiter noch achtern zurück und näherte sich dem Backbordniedergang des Achterdecks. Mel bewegte sich auch – mehr wie zufällig – nach achtern.
Jean Ribault verharrte auf seinem bisherigen Platz am Großmast und blickte wie die Spanier zur Back hoch, wo sich der schönste Streit zu entwickeln schien.
„Hanno“, sagte Hein Ropers in diesem Moment. „Ich glaube, der Don will, daß du deine Klappe hältst.“
Hanno grinste breit. „Wer so einen Mordszinken hat, hat gar nichts zu wollen.“
Der Soldat traf Anstalten, sich auf ihn zu stürzen.
„Don? Wer ist ein Don?“ schrie er. „Halt dein Maul, Kerl!“
Inzwischen steuerte auch die Kriegskaravelle von achtern etwas näher heran und segelte zwischen der „Goldenen Henne“ und der Kriegsgaleone an Backbord auf.
„Was ist da los?“ rief der Mann, der das Kommando über die Deckswache hatte.
„Ach, nichts“, erwiderte einer der Wachtposten auf der Kriegsgaleone. „Die Deutschen quatschen nur blöd herum!“
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