Edwin Carberry, der bullige Profos, rappelte sich von einer Taurolle auf und stemmte seine mächtigen Pranken in die Hüften. Im Gegensatz zur übrigen Crew spähte er nicht in die Richtung, die der Moses angegeben hatte. Statt dessen warf Carberry den Kopf in den Nacken und starrte zum Großmars hoch. In der wilden Narbenlandschaft seines Gesichts lag ein Ausdruck von Fassungslosigkeit.
„He, du Stint!“ brüllte er mit Donnerstimme. „Was habe ich da eben gehört, was, wie?“
„Sir?“ tönte es zurück. Bills schwarzer Haarschopf wehte in der lauen Brise, als er sich herabbeugte.
Die Männer, die am Steuerbordschanzkleid lehnten und außer der platten Linie der Kimm noch nichts erkennen konnten, drehten sich um und mußten grinsen.
„Wiederhole das, du Hering!“ rief der Profos grollend. „Will doch mal sehen, ob ich mich verhört hab oder so was!“
„Sir“, antwortete Bill gehorsam, „ich meldete ein Wasserfahrzeug Steuerbord voraus.“
„Ein was?“ schnappte Carberry, und wie er sein Rammkinn dabei vorschob, erinnerte er an einen verdutzten Fisch, der sich plötzlich auf dem Trockenen findet.
Einige der Männer begannen verstohlen zu kichern und mußten sich abwenden.
Bill bemühte sich, nicht hinzuschauen, denn er wußte, daß es ihm dann schwerfallen würde, seine respektvolle Miene beizubehalten.
„Ein Wasserfahrzeug, Sir.“
Edwin Carberry explodierte. Der erste willkommene Anlaß an diesem Tag, daß er sich auf diese Weise die Luft verschaffen konnte, die ihm am liebsten war.
„Wo, zum Teufel, bin ich hier gelandet, was, wie? Ist das die gottverdammte alte ‚Isabella‘, oder haben sie mich in einen Debattierclub piekfeiner Affenärsche aufgenommen? Kannst du mir das mal erklären, Stint?“
„Ich verstehe nicht, Sir“, entgegnete Bill konsterniert, „ich habe doch nur …“
„Du salbaderst so geschraubt daher“, brüllte Carberry, „daß ich glauben muß, ich bin nicht mehr ich selbst! Eins schreibe dir hinter die Ohren, du grüner Hering! Solange der Profos auf diesem Schiff Carberry heißt, so lange wird hier an Bord die Sprache geredet, die jeder versteht!“ Er preßte die Lippen aufeinander, schüttelte den Kopf und äffte den Moses nach: „Wasserfahrzeug! Ein Wasserfahrzeug Steuerbord voraus! Was, in drei Teufels Namen, kann das sein, das auf dem Wasser fährt?“
Der Kutscher, der seine brütendheiße Kombüse an diesem Tag frühzeitig verlassen hatte, trat vorsichtig auf den Profos zu.
„Mit Verlaub, Mister Carberry“, sagte er in vornehmer Höflichkeit. „Du solltest dich nicht dazu hinreißen lassen, den jungen Mann wegen seiner untadeligen Ausdrucksweise zu rügen.“
Der Profos ruckte herum, schnappte nach Luft und suchte nach Worten. Dabei fixierte er den Kutscher, als handele es sich bei ihm um ein fremdartiges Wesen.
„Ja, du hast richtig gehört, Profos“, sagte der Kutscher mit ernsthaftem Nikken. „Ich persönlich halte es für sehr lobenswert, wenn junge Menschen sich einer gepflegten Sprache befleißigen. Ich selbst habe Bill dazu ermutigt und ihm mit Hilfe der an Bord vorhandenen Literatur erklärt, wie man auch in der seemännischen Umgangssprache ein gewisses Niveau erreichen kann und …“
„Schluß damit!“ schnitt ihm der Profos schnaubend das Wort ab. Er hatte seine Fassung halbwegs wiedergewonnen. „Das sieht dir ähnlich, du Kombüsenratte! Wenn du über deinen Kochtöpfen brütest, hast du nichts Besseres zu tun, als krause Gedanken zu wälzen! Und dann auch noch unsere jungen Leute verderben! Ich werde dafür sorgen, daß dieser Schwachsinn aufhört! Ich werde …“
Eine energische Stimme fuhr dazwischen.
„Profos! Ihr werdet eure Debatte später fortsetzen! Im Augenblick interessiert es mich mehr, um was für ein Wasserfahrzeug es sich handelt. Eure Sprachprobleme könnt ihr bei anderer Gelegenheit lösen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?“
Der Kutscher, der unwillkürlich zwei Schritte zurückgewichen war, atmete erleichtert auf.
„Aye, aye, Sir“, sagte Edwin Carberry dumpf und nickte in Richtung Achterkastell. „Ich meine ja nur, daß ein Fahrzeug immer ein Ding ist, das Räder hat. Und wie soll ein Ding mit Rädern auf dem Wasser fahren können? Will sagen, man kann es doch nicht zulassen, daß der Kutscher den Leuten mit irgendwelchen Bücherweisheiten den Kopf verdreht. Nachher führt das noch so weit, daß wir eine spanische Kriegsgaleone auf Kollisionskurs haben, und der Ausguck meldet einen Kutschwagen!“
Brüllendes Gelächter ertönte. Die Männer wollten sich ausschütten.
Der Seewolf, der sich an Steuerbord der Schmuckbalustrade aufgebaut hatte, brachte sie mit einer Handbewegung zum Verstummen. In der Rechten hielt er das Spektiv, und er hatte das besagte Wasserfahrzeug bereits gesichtet und war deshalb nicht in Unruhe geraten. Siri-Tong, die neben ihm stand, verfolgte lächelnd den Wortwechsel der Männer.
„Profos!“ rief Philip Hasard Killigrew schneidend, und er hoffte, daß das unterdrückte Lächeln in seinen Mundwinkeln dort unten auf der Kuhl nicht zu erkennen war.
„Sir?“ Edwin Carberry straffte seine Haltung.
„Wir erledigen die Angelegenheit folgendermaßen, Profos. Sobald der Ausguck abgelöst worden ist, wirst du ihm und dem Kutscher erklären, was ein Fahrzeug ist und was nicht. Über das Ergebnis dieser Unterrichtsstunde möchte ich informiert werden. Noch Fragen?“
Edwin Carberry schluckte trocken.
„Nein, Sir. Aye, aye, Sir.“ Während er sich abwandte, kratzte er sich ausgiebig am Hinterkopf, was ein Zeichen heftigen Nachdenkens war.
Die Männer, die am Schanzkleid standen, spähten angestrengt zur Kimm, damit der Profos ihre Gesichter nicht sehen konnte.
Der Seewolf wechselte einen Blick mit Siri-Tong. Die mandelförmigen, fast schwarzen Augen der Roten Korsarin sprühten belustigte Blitze. Ihrer Gewohnheit entsprechend, waren die beiden oberen Knöpfe ihrer roten Bluse geöffnet. Das schwarze Haar floß seidig schimmernd bis auf ihre Schultern, und ihre samtene Pfirsichhaut hatte einen stärkeren Braunton angenommen, seit sie das paradiesische Klima der Südsee genossen. Siri-Tong trug blaue Schifferhosen und leichte Stulpenstiefel aus butterweichem Leder, die die atemberaubenden Formen ihres schlanken Körpers mit einem augenfälligen Akzent unterstrichen.
Hasard hatte die Ärmel seines hellen Leinenhemds bis über die Ellenbogen hochgekrempelt. Vom Ledergurt aufwärts stand das Hemd offen, und es folgte der Linie, die sein Oberkörper von den schmalen Hüften bis zu den imposanten breiten Schultern vorzeichnete. Unter der leichten Kleidung zeichneten sich die mächtigen Muskeln des mehr als sechs Fuß großen Mannes ab, der sich als Seewolf einen wohlklingenden Namen auf den Weltmeeren erworben hatte. Der handige Nordwest, der die frühe Sonnenglut milderte, fächerte in Hasards scharzem Haar. Seine klaren eisblauen Augen spiegelten die Unbestechlichkeit und Geradlinigkeit seines Wesens.
„Ausguck!“ rief er mit metallisch klingender Stimme.
„Sir?“ Bill reckte seinen schmalen Körper im Großmars. Hinter ihm turnte Arwenack keckernd von einer Seite des Mastkorbs zur anderen.
„Würdest du jetzt so freundlich sein, uns zu erklären, mit welcher Art von Wasserfahrzeug wir es zu tun haben?“
Wieder stimmten die Männer Gelächter an, und diesmal grinste auch der Profos, der sich bis zum Kombüsenschott zurückgezogen hatte. Dank Hasards diplomatischen Geschicks verteilte sich der Spott nun gleichmäßig auf beide Seiten, und auch Edwin Carberry erhielt seinen Anteil an Schadenfreude.
Denn der Kutscher wandte sich zur Seite und beschäftigte sich hingebungsvoll mit dem Aufkrempeln seiner Hemdsärmel, die ihm offenbar urplötzlich zu warm geworden waren.
Und hoch oben lief Bill puterrot an.
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