Eugen Szatmari - BERLIN

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Eugen Szatmaris schwelgerisch-feuilletonistischer Reiseführer entführt uns in das Berlin von 1927 und ermöglicht uns wertvolle Einblicke in die damalige Zeit. Als E.T.A. Hoffmann und Heinrich Heine bei Lutter und Wegner täglich ihren Wein tranken. Als Richard Tauber mit Rudolfo Valentino und Charlie Chaplin noch einen Schlummertrunk an der Bar im Adlon kippte. Als sich Alt und Jung im Jänner beim großen Bockbierfest trafen.
Im Jahr 1927 erschien in der Buchreihe Was nicht im Baedeker steht ein beredter Berlin-Reiseführer. Der Journalist und Autor Eugen Szatmari beschreibt in eloquentem Stil die Stadt, in der er jahrelang lebte. In 23 Kapiteln wird uns das damalige Berlin nähergebracht: Essen und Trinken, die angesagtesten Lokale und Hotels, Kunst & Kultur. Szatmari widmete sein Interesse aber auch abgelegeneren Orten wie der Berliner Unterwelt. Oder den Berliner Redensarten. Der «Nacht der Zwanzigtausend». Und das Kapitel «Das Volk von Berlin» ist eine Liebeserklärung an die 4 Millionen Berliner, die «obwohl sie auf die Stadt schimpfen, neben manchen Eigenheiten der Herkunft ihre Sprache, die Denkart und den Mutterwitz von ihr, und nur von ihr haben».
Das Buch beinhaltet alles, was der Tourist und Einheimische über die damals drittgrößte Stadt der Welt wissen musste.
Apropos, wussten Sie:
… dass man im Restaurant Horcher abends Elisabeth Bergner Austern schlürfen sah?
… dass man zum Hundegustav ging, wenn man echte Verbrecher sehen wollte?
… dass das alljährliche Sechstagerennen eine Woche lang Berlins größtes Ereignis war, und Conrad Veidt, Emil Jannings und Käthe Dorsch treue Fans?
… dass im Augustkeller erst nach der Polizeistunde der eigentliche Betrieb begann?
Der beliebteste Reiseführer der späten 1920er Jahre. Mit einem interessanten Nachwort von Magnus Klaue.
"Und das ist auch ein klein wenig Berliner Poesie, wie sie da in den Gärten an den Ufern sitzen, auf die Ruderboote gucken, deren Lichter auf dem Wasser hin- und herschwanken, wie sie auf harten Stühlen lange Stunden sitzen bleiben, weil sie doch auch etwas vom Sommer haben wollen, wie sie dann ganz langsam aufstehen, um sich wieder hineinrütteln zu lassen in die dumpfen Straßen bis zu den Mietskasernen. Das Volk ist ja gar nicht so unbescheiden und schlimm, wie die von ihm sagen, die es nicht kennen. Es ist laut, weil die Stadt laut ist, aber es kann ganz leise und andächtig sein, wenn ein Stück vom Sommerabend sich über die Ufer der Spree senkt."

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EUGEN SZATMARI (1892–1952)

Geboren am 23. Januar 1892 in Budapest, war ein in deutscher und ungarischer Sprache schreibender Journalist, Übersetzer sowie Buch- und Drehbuchautor. Er schrieb in den frühen 1920er-Jahren Deutschland-Reportagen für das deutschsprachige Prager Tagblatt in Böhmen und arbeitete auch als Redakteur für das Berliner Tageblatt . Für den Piper Verlag verfasste er 1927 den Auftaktband der 16-bändigen Reihe Was nicht im »Baedeker« steht für Berlin, wo er von 1925 bis 1933 lebte. Auch für mehrere Drehbücher deutscher und ungarischer Spielfilme zeichnete er allein oder im Autorenkollektiv verantwortlich. 1934 kehrte er nach Ungarn zurück.

Nach 1945 journalistische Tätigkeit für die Basler Nachrichten und die Hearst Newspapers . 1950 wurde Szatmari aus politischen Gründen verhaftet, er starb 1952 im Gefängnis.

Der beliebteste Reiseführer

der 1920er Jahre

Berlin

VON EUGEN SZATMARI

Mit Originalzeichnungen von

Rudolf Großmann, Erich Godal,

Dolbin, Derso, Conny, Adalbert

Sipos und Heinrich Zille

Mit einem Nachwort von

Magnus Klaue

картинка 1

INHALT

Ankunft in Berlin

Tipps für den Automobilisten

Wo wohnt man in Berlin?

Vormittagsspaziergang durch Berlin

Zwischen Wilhelmstraße und Platz der Republik

Wo isst man in Berlin?

Um fünf Uhr nachmittags …

Wenn der Vorhang sich hebt

Die flimmernde Leinwand

Das Romanische Café

Das Künstlervölkchen

Berliner Nächte

Die Unterwelt Berlins

Der grüne Rasen

Die Nacht der Zwanzigtausend

Berliner Bälle

Das musikalische Berlin

Das Volk von Berlin

Berliner Redensarten

Berliner Wochenende

Will der Herr Graf ein Spielchen wagen?

Potsdam

Nachwort

Sachregister

Personenregister

ANKUNFT IN BERLIN

Erster Eindruck auf dem Bahnhof. –

Berlin lockt zu jeder Saison.

Erster Eindruck

Der Reisende, der in einer fremden Stadt eintrifft, erhält seinen ersten Eindruck auf dem Bahnhof, und mag dieser Eindruck auch noch so falsch, noch so verzeichnet sein – er ist eben der erste und nicht zu unterschätzen. Der erste Berliner, den der Fremde sieht, ist der Gepäckträger, die erste Berliner Einrichtung der Schutzmann, der die Automarken verteilt. Und er wird seinen ersten Eindruck von diesem Gepäckträger herleiten, von diesem Schutzmann, von den vielen Tafeln mit strengen Inschriften, die er auf dem Bahnhof sieht und auch von dem Auto, das ihn in sein Hotel bringen soll.

Träääger!

Der Gepäckträger ist nun ein braver, freundlicher Mann, dem man auch den Gepäckschein gibt, damit er das große Gepäck auslöst. Will man etwas auf dem Bahnhof hinterlassen, so führt der Gepäckträger zur Aufbewahrungsstelle. Die Tafeln mit den strengen Inschriften werden wohl manchem Fremden auffallen, und er wird sich denken, wie der brave Henri Béraud, dass hier alles verboten sei, aber man möge doch nur zwei Minuten lang überlegen, und wird dann wohl einsehen, dass diese Tafeln sehr nützlich sind, denn auf einem Berliner Bahnhof wird sich selbst der unerfahrenste Fremde viel leichter zurechtfinden, als zum Beispiel auf dem Gare de Lyon, wo man stundenlang suchen muss, bis man den Gepäckschalter findet.

In dem Schupomann, der unten steht, die Automarken verteilt und dem Fremden die erste Bekanntschaft mit der oft genannten Berliner Polizei vermittelt, wird der Fremde einen höflichen und freundlichen Beamten finden, der ihm sehr gern eine Auskunft geben wird, und wenn er es nicht tun kann, so wird er den Fremden an das Auskunftsbüro des betreffenden Bahnhofs weisen, wo jede Auskunft erhältlich ist.

Die ersten zwei Berliner die der Fremde kennenlernt Altertümliche Gefährte - фото 2

Die ersten zwei Berliner, die der Fremde kennenlernt

Altertümliche Gefährte

Anders verhält es sich schon mit den Autos. Die Autos, die an den Berliner Bahnhöfen stehen, sind ein Missgriff der Verkehrspolizei. Denn eben infolge des Nummernsystems, das den Reisenden zwingt, jenes Auto zu nehmen, das ihm der Schupomann zugewiesen hat, sammeln sich an den Berliner Bahnhöfen Tag für Tag alle jene altertümlichen und altehrwürdigen Gefährte, die sonst niemals eine Fuhre bekommen würden und eigentlich ins Museum oder auf den Alteisenhaufen gehören. Es ist freilich ein Unsinn, dass der Fremde, der in Berlin ankommt, gezwungen wird, sich in eine Klappermühle zu setzen, die offenbar aus den Kinderjahren des Automobils stammt, aber die hohe Verkehrspolizei hat sich bisher noch nicht überreden lassen, diesen Museumskarren die Umgebung der Berliner Fernbahnhöfe zu verbieten, und so ist es meine Pflicht, dem Fremden zuzurufen, dass die Berliner Bahnhofsautos nicht die besten, sondern die allerältesten Autodroschken der Stadt sind.

Ein zweiter Nachteil dieser Methode ist der, dass man das zugeteilte Auto nicht rasch genug finden kann. Die Reihenfolge, in der die Nummern ausgegeben werden, stimmt nämlich durchaus nicht mit dem Standplatz des Autos überein, sodass man leicht die ganze Reihe von Wagen ablaufen muss, bis man das zugeteilte Fahrzeug findet. Durch diese unverständliche Art der Regelung ist also die Abfahrt vom Bahnhof für den Fremden erschwert.

Wirbelndes Chaos

Mit Ausnahme des Bahnhofs Charlottenburg, des Schlesischen Bahnhofs und vielleicht auch noch des Lehrter Bahnhofes stehen die Berliner Bahnhöfe mitten in der Stadt und ihre Treppen führen mitten in das wirbelnde Chaos des Berliner Verkehrs hinein. Wer am Bahnhof Friedrichstraße ankommt, den setzt der Zug gleich inmitten des heftigsten Verkehrsorkans ab und selbst, wenn er die allerehrwürdigste Autodroschke aufgefischt haben sollte, wird er sogleich ein Bild von dem mörderischen Spektakel bekommen, mit dem Berlin sein Arbeitsjoch zieht – um seine Ohren werden die Schreie der Autohupen gellen, die roten und grünen Lichter der Verkehrssignale in seine Augen blinken.

Aufenthaltsbewilligung

Mit der Polizei wird der Fremde sonst nicht allzu oft in Berührung kommen. Eine Anmeldepflicht besteht, aber die Anmeldung wird durch die Hotels automatisch besorgt. Wer privat absteigt, muss sich anmelden und die Anmeldung abstempeln lassen. Läuft sein Sichtvermerk ab, oder bleibt er so lange, dass er einer Aufenthaltsbewilligung bedarf, so muss er allerdings persönlich zum Revier und von dort auf das Polizeipräsidium gehen, aber diese Prozeduren werden jetzt ziemlich schnell und reibungslos abgewickelt. Die Schlangen , die früher so gefürchtet waren, gehören der Vergangenheit an – das Fremdenbüro des Polizeipräsidiums arbeitet schnell und höflich.

Rundfahrten für Fremde, die sich Berlin kurz und schmerzlos ansehen wollen, gibt es mehrere. Der Hotelportier gibt darüber Auskunft. Dann besteigt der Wissbegierige einen Riesenautobus, fährt hübsch rund um die Stadt und wird durch einen Cicerone über die Sehenswürdigkeiten aufgeklärt.

Die beste Zeit für Berlin

Wann soll man nach Berlin kommen? Zu welcher Zeit, wenn man in der Reichshauptstadt nicht gerade geschäftlich zu tun hat, sondern zu seinem Vergnügen reist? Vor dem Kriege hatte Berlin, wie auch die anderen großen Fremdenstädte Europas, in den Sommermonaten von Mai bis September den stärksten Besuch. Die besten Monate waren die internationalen Reisemonate, Juli und August. Nach dem Kriege hat sich das Bild geändert: Die Monate mit dem stärksten Fremdenverkehr sind jetzt März, Oktober und November, wogegen Mai und Juni, aber auch noch der Juli den schwächsten Besuch aufweisen. Diese Erscheinung hat ihren Grund vielleicht darin, dass Berlin keine »Saison« hat. In den Wintermonaten lockt das heiß pulsierende künstlerische Leben Berlins viele Fremden an: Ist doch Berlin die größte Theaterstadt Europas und vielleicht die größte Musikstadt der Welt – von April bis September glaubt aber der Fremde, dass ihm Berlin im Gegensatz zu Paris und Baden-Baden, zu Rom und London, wo Mai und Juni ausgesprochene Saisonzeiten sind, nichts zu bieten vermag.

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