Fortgeschrittene Phase 
Zu diesen Problemen der fortschreitenden Erkrankung zählen die sog. Wirkschwankungen oder Wirkfluktuationen. Dieses Phänomen ist in der Medizin einzigartig und kommt ausschließlich bei der idiopathischen Parkinson-Krankheit vor. Aufgrund seiner großen Bedeutung für Betroffene der Erkrankung wird im Rahmen dieses Buch mehrfach aus verschiedenen Blickwinkeln auf das Thema Wirkschwankungen eingegangen. Hier soll daher eine kurze Skizzierung ausreichen:
Zunehmende Schwankungen der Wirkung von L-Dopa als dem wirksamsten Parkinson-Medikament führen zu einem zunehmenden Wechsel in der Ausprägung der motorischen aber auch der nicht-motorischen Symptome. Mit dem Ende der »Honeymoon-Phase« hält die Wirkung einer einzelnen L-Dosis immer kürzer an, was zu einer erneuten Zunahme der Symptome noch vor der nächsten Medikamenteneinnahme führen kann – dieses Abflauen des Medikamenteneffektes wird als »Wearing-OFF« bezeichnet. Die Betroffenen erleben einen zunehmenden Wechsel zwischen Phasen mit guter Symptomkontrolle (auch als ON-Phasen bezeichnet) und Episoden, in denen sich die Beweglichkeit verschlechtert oder Tremor bzw. andere alltagsrelevante Symptome auftreten (OFF-Phasen). Da diese Phasen sehr schnell und abrupt aufeinander folgen können, spricht man in Analogie zum An- und Ausschalten eines Lichtschalters von ON-/OFF-Schwankungen.
Etwa die Hälfte aller Parkinson-Betroffenen entwickelt zusätzlich zu diesen Wirkschwankungen Unruhebewegungen, die meist in den Phasen der maximalen L-Dopa-Wirkung auftreten und als Dyskinesien oder Hyperkinesien bezeichnet werden. Bei der Beobachtung der Betroffenen fallen unwillkürliche ruckartige oder drehende, tänzelnde Unruhe- oder Überbewegungen (»Dyskinesien« – griechisch: falsche Bewegungen) auf.
Ursächlich liegt den Wirkschwankungen eine Veränderung im Bereich der Nervenzellen in der Substantia nigra zugrunde. Zu Beginn der Erkrankung sind diese noch in der Lage, das als Tablette zugeführte L-Dopa für einen gewissen Zeitraum zu speichern und es freizusetzen, sobald der Wirkstoffspiegel sinkt. Im Erkrankungsverlauf geht diese Fähigkeit verloren und der Wirkstoffspiegel im Gehirn kann nicht mehr gleichmäßig aufrechterhalten werden. Aus diesem Grund kann es bei Betroffenen mit schweren Wirkschwankungen zu drastischen Veränderungen des körperlichen Zustandes innerhalb von wenigen Minuten kommen – ist ein Betroffener in einem Moment wohlauf, mobil und gut beweglich, so kann sich die Beweglichkeit innerhalb von Minuten soweit verschlechtern, dass der gleiche Betroffene auf einen Rollstuhl angewiesen ist. In diesem Zusammenhang spricht man von einem sich verkleinernden therapeutischen Fenster, d. h., die Medikamente wirken nicht mehr gleichmäßig und langandauernd wie zuvor – bzw. der Bereich des L-Dopa-Wirkstoffspiegels, der zu einer ausreichend guten Beweglichkeit nötig ist (=therapeutisches Fenster) wird immer kleiner und ist immer schwieriger langfristig aufrecht zu erhalten (
Abb. 5).
Späte Phase 
Weitere Langzeitkomplikation treten in Form von Symptomen auf, die meist erst nach einem Zeitraum von etwa 10–15 Jahren beobachtet werden und die oft nur gering oder gar nicht auf die Parkinson-Medikamente ansprechen, wie z. B. Haltungs- und Gleichgewichtsstörungen, Stürze oder Schluckstörungen. Auch psychiatrische Komplikationen wie eine dementielle Entwicklung und Halluzinationen treten häufig im späteren Krankheitsverlauf auf.
Abb. 5: Veränderung des therapeutischen Fensters im Krankheitsverlauf. Dargestellt ist jeweils der L-Dopa-Serumspiegel nach Einnahme einer Einzeldosis im frühen (links), mittleren (Mitte) und späten Krankheitsstadium (rechts).
Hoehn-und-Yahr-Skala 
Zur schnellen Erfassung und Einordnung der Erkrankungsschwere wird im klinischen Alltag die sog. Hoehn-und-Yahr-Skala verwendet, welche die Krankheit in fünf Schweregrade von 1–5 unterteilt (
Tab. 1). Das Spektrum reicht von Stadium 1 (leicht ausgeprägte, einseitige Symptomatik) bis Stadium 5 (weit fortgeschrittenen Erkrankung mit bettlägerigem oder auf den Rollstuhl angewiesenen Betroffenen). Bei der Interpretation des Hoehn-und-Yahr-Stadiums ist zu beachten, dass ausschließlich motorische Symptome erfasst werden und die Beurteilung dadurch verzerrt sein kann. Ein Betroffener im Hoehn-und-Yahr-Stadium 1 hat zwar nur leichte motorische Symptome, kann aber durch nicht in der Skala abgebildete Symptome (z. B. eine gestörte Blasenfunktion oder Depressionen) in der Lebensqualität schwer beeinträchtigt sein. Weiterhin muss beachtet werden, dass die Hoehn-und-Yahr-Skala immer nur die Gegenwart widerspiegelt und keine Aussage über die Prognose ermöglicht.
Tab. 1: Hoehn-und-Yahr-Skala
GradBeschreibung
Prognose 
Als Arzt aber auch als Pflegekraft von Menschen mit Parkinson wird man häufig mit der Frage nach der Prognose der Erkrankung konfrontiert. Meistens ist hiermit nicht wie z. B. bei Krebserkrankungen die Frage nach der verbleibenden Lebenszeit gemeint, sondern die Zeit bis zu einer dauerhaften Pflegebedürftigkeit oder der Abhängigkeit von einem Rollstuhl.
Naturgemäß sind bei dieser Frage erhebliche individuelle Unterschiede möglich, aber prinzipiell sollte den Betroffenen vermittelt werden, dass es sich bei der Parkinson-Krankheit um eine langsam fortschreitende Erkrankung handelt. Auch wenn zum aktuellen Zeitpunkt keine Heilung möglich ist, kann ein Großteil der Betroffenen viele Jahre oder sogar Jahrzehnte vollständig oder weitgehend selbständig und unabhängig leben und auch normal einer Berufstätigkeit nachgehen.
Im Gegensatz zu anderen chronischen neurologischen Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose sind schubförmigen Verschlechterungen bei einer Parkinson-Erkrankung ungewöhnlich – äußere Faktoren (z. B. schwere Infekte oder Operationen) können jedoch v. a. im späteren Erkrankungsstadium auch zu abrupten Verschlechterungen der Symptome führen.
Die Mortalität (Sterblichkeit) von Parkinson-Betroffenen ist im Vergleich zu einer gleichaltrigen, gesunden Vergleichsgruppe erhöht – Parkinson-Betroffene versterben im Mittel etwa drei Jahre früher als Gesunde. Viele Faktoren spielen hierbei eine Rolle, insbesondere die Schwere der motorischen Einschränkungen sowie das Auftreten von Schluckstörungen und Demenz. Eine häufige parkinson-assoziierte Todesursache ist die Aspirationspneumonie.
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