Ich kann mich
abarbeiten
wieder aufbauen
dranbleiben
und Akupunkturnadeln ins System stecken
Auszug aus der Performance „Follikeljump“ im Rahmen von LA-BOUR_LAB, THIELEN_TRETAU, 2017
Alisa Tretau
Mittlerweile bin ich froh, dass es nicht „einfach so” passiert ist. Dass ich nicht idealtypisch schwanger geworden bin, sondern die Gelegenheit hatte, meinen Kinderwunsch und seine Prämissen zu reflektieren. Ich bin mit einer ziemlich naiven, heteronormativen Vorstellung davon, wie ich eine Familie gründe, gestartet und habe mir daran die Zähne ausgebissen. Ich arbeite immer noch hart daran, zu akzeptieren, dass gut Ding manchmal Weile bedarf. Und in dieser Weile habe ich dieses Buch herausgegeben! Dabei konnte ich erfahren, dass nicht nur ich mehr Offenheit im Diskurs über Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein brauche. Denn immer, wenn ich mich traute, über „es“ zu sprechen - über Versagensängste, Gefühle des Scheiterns und des Ausgegrenztseins - merkte ich, dass ich nicht alleine bin.
Von all den Geschichten, die ich mittlerweile über das Schwangerwerden gehört habe, ist keine einzige dabei, die der von mir einst angestrebten Norm entspricht. Im Prozess, dieses Buch herauszugeben, eröffnete sich mir nach und nach eine Vielfalt von Geschlechterkonstruktionen und Familienvorstellungen, die nicht in diese Norm passen, und ich erfuhr mehr über die medizinischen Möglichkeiten samt ihrer ungerechten Zugangsvoraussetzungen, die mit ihr zusammenhängen.
Die hier versammelten Geschichten sind voller Leben: in ihnen existieren Tragik und Witz, Hoffnung und Enttäuschung neben- und miteinander. Ich bin den Menschen sehr dankbar, die bereit waren, ihre unerhörten Erfahrungen rund um Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein, mit mir, und jetzt auch mit euch, zu teilen. Schmerzvolle Erfahrungen aufzuschreiben, ist ein verletzlicher Prozess. Auch deswegen hat sich die Mehrheit der Autor*innen in diesem Buch dafür entschieden, hier nicht unter Klarnamen zu veröffentlichen.
Wir am Buch Beteiligten vertreten nicht geschlossen eine Meinung. Jeder Text steht für sich. Manch eine Perspektive wird von anderen hinterfragt und herausgefordert. Dass die Texte trotzdem nebeneinander stehen dürfen, ist für uns Teil des solidarischen Möglichkeitsraums, den dieses Buch eröffnen möchte.
Eine besondere Herausforderung bei der Arbeit an dem Buch war die Frage nach dem Umgang mit Geschlechterbezeichnungen in der Sprache. Das Thema Schwangerschaft ist so körperlich, ständig geht es um die Frage, wer gebären kann oder können sollte und wer nicht, und welche diskriminierenden Normvorstellungen existierenden. Während des Lektorats tauchte immer wieder die Frage auf: Um wen geht es hier und wie lässt sich das am besten darstellen? Jeder Text löst dies unterschiedlich. Es ist uns wichtig, dass in jedem Beitrag deutlich wird, aus welcher Position er geschrieben ist, und wer gemeint ist, wenn von Müttern, Vätern, Eltern gesprochen wird. Oder von Frauen und Männern. In dem Prozess sind uns einmal mehr die Unzulänglichkeiten und Fallstricke deutlich geworden, über die wir stolpern, wenn wir probieren, persönliche Erfahrungen mit Geschlecht und Sexualität in einer diskriminierenden Gesellschaft zu erzählen, ohne diese Diskriminierungen zu reproduzieren.
Uns ist wichtig, euch als Leser_innen zu informieren, warum in diesem Buch bestimmte Dinge so stehen, wie sie geschrieben wurden – bzw. warum wir uns an einigen Stellen gegen eine Korrektur entschieden haben. Die zentrale Diskussion drehte sich um die sprachliche Nähe einiger Artikel an die Rhetorik von abtreibungsfeindlichen Lebenschützer_innen. So sprechen manche Autor_innen von Babys oder Leben in ihrem Bauch oder nennen sich etwa in der Schwangerschaft Mütter. Uns ist bewusst, dass Anknüpfpotential für rechte Diskurse gegeben ist. Jedoch geht es in diesem Buch immer wieder um die individuelle Aufarbeitung von traumatischen Erlebnissen mit Schwangerschaft. Die Autor_innen befinden sich oft eher in einem Reflektionsprozess mit sich selbst, als ein politisches Statement machen zu wollen. Deshalb möchten wir an dieser Stelle nochmal klar betonen, dass wir uns von der abtreibungsfeindlichen Lebenschützer_innenbewegungen abgrenzen. Wir als Autor_innenkollektiv positionieren uns als pro choice und gegen ein Weiterbestehen der Paragraphen 218/219, auch trotz der benutzten Sprache.
Wir treten für einen selbstbestimmten Umgang mit dem eigenen Körper für jede Person ein. Dazu gehört immer, sich für oder gegen eine Abtreibung entscheiden zu können. Und dazu gehört, die diskriminierenden Strukturen, die schwangeren Personen nötige medizinische und psychische Hilfe vorenthalten, sowie die systematische Benachteiligung von behinderten Personen, zu verurteilen und anzugehen. In diesem Sinne distanzieren wir uns von jedem Versuch, das Recht auf behindertes Leben gegen das Recht auf freie Entscheidung über den eigenen, schwangeren Körper auszuspielen. Und genauso, die strukturelle Behindertenfeindlichkeit im Punkto Selektive Pränataldiagnostik anzuprangern, und eine antiableistische Beratung von schwangeren Personen auf institutioneller Ebene zu fordern.
Der Sammelband ist in die drei Teile “Wünsche”, “Katastrophen” und “Umgänge”gegliedert, die grob die Situationen Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein widerspiegeln. Die Trennlinien sind jedoch unscharf. Auch Wünsche erzählen von Schmerz, Katastrophen von Hoffnung und im Umgang steckt Zweifel und Mut zugleich. Das Buch endet mit einem lose kollektiv verfassten Manifest, für das alle Autor*innen die Möglichkeit hatten, ein paar Sätze beizusteuern. Die Texte werden begleitet von Zeichnungen und Collagen der Künstlerin Pia Eisenträger.
Bevor es richtig losgeht, möchte ich euch versichern: Die hier versammelten Geschichten sind keine außergewöhnlichen Spezialfälle! Sie passieren ständig! Ich möchte euch auffordern: fragt nach und erzählt selbst! Der Wunsch, Eltern zu werden, ist genauso gewöhnlich wie der, kinderlos zu bleiben. Erst die Vielfalt der Erfahrungen und Gefühle ermöglicht uns, solidarisch miteinander zu handeln und unseren Schmerzen zärtlich zu begegnen.
TEIL 1:
Für immer scheinschwanger
Just do it geht nicht immer
Alisa Tretau
Seit über drei Jahren bin ich scheinschwanger. Das ist echt anstrengend. Nicht nur wegen der körperlichen Zustände, der Übelkeit und Bauchschmerzen, ich mache mir auch ständig Sorgen, dass ich etwas falsch mache und mein Körper nicht schwanger werden will. Jedes Mal, wenn sich mein Zyklus seinem Ende nähert, bin ich heimlich sicher: es hat geklappt! Mein Körper hilft mir fleißig, an diesem Glauben festzuhalten. Schon eine Woche vor der Regel ziehen meine Brüste, ist mir schlecht und fühle ich mich schwach. Ich schwindele. Mein Körper schwindelt mir Schwangerschaft vor, denn er weiß, dass ich dieses Gefühl liebe und brauche. Und dann, jedes Mal, wenn die Regelblutung kommt, bin ich tief enttäuscht von mir im Allgemeinen und meinem Körper ganz speziell. Der Loop aus Hoffnung und Scham, in dem ich gefangen bin, fängt von vorne an.
„Warum greift der Fakt, dass ich nicht ‘einfach so’ schwanger werde, mich derart an?”, frage ich mich, während ich einmal mehr im Wartezimmer meiner Gynaäkologin sitze, um mich beraten zu lassen, was „man tun kann“. Dabei ist mir das Schwangerwerden quasi in die Wiege gelegt worden: ich bin als cis-Frau geboren, bin weiß , Mittelschicht, und lebe in einer Hetero-Beziehung. Mittlerweile sind wir sogar verheiratet! Alle Türen stehen mir offen, eine gute Mutter zu werden. Sie sind so weit aufgerissen, dass sie auf mich wie dunkle Mundlöcher wirken, die mich anschreien: “Mach schon! Warum wird es bei dir nichts? Leg los mit den Kindern!” Und das will ich ja auch.
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