Der sportliche Charakter des Lawn Tennis war zunächst noch gering. Vielmehr diente es für Damen wie Herren als „Zeitvertreib, mit dem sich der auf der Insel unumgängliche Fünfuhrtee unterhaltsamer gestalten ließ“, wie Sporthistoriker Gillmeister berichtet. „Obendrein bot es die Gelegenheit, die Tochter aus gutem Hause mit dem vermögenden und vielleicht sogar gutaussehenden jungen Mann aus der Nachbarschaft zu verbandeln. Im Kaiserreich sprach man später vom Verlobungstennis.“
Wer sich heute fragt, weshalb im Englischen der Spielstand 0 (null) nicht etwa mit dem gängigen Wort „Zero“ bezeichnet wird, sondern mit „Love“ (Liebe) – hier hat er die Antwort erhalten.
Mehr sportlicher Charakter hielt erst Einzug durch Henry Jones, einen Londoner Mediziner und Mitglied des All England Croquet Clubs in Wimbledon. Auf Jones’ Initiative wurde das neue Spiel ins Vereinsprogramm aufgenommen und der Name in All England Croquet and Lawn Tennis Club umbenannt. Weil der Verein im Sommer 1877 dringend Geld für die Reparatur einer gebrochenen Achse seiner einzigen Rasenwalze benötigte, kam Jones auf die Idee, ein Turnier zu veranstalten – es war die Geburtsstunde des heutigen Grand-Slam-Turniers im Süden Londons.
Hierfür entwickelte der Mediziner gemeinsam mit Julian Marshall und John Moyer Heathcote, einem Kunstsammler und einem Rechtsanwalt, die Wingfieldschen Regeln weiter. Unter anderem wurde das bis dahin sanduhrförmige Spielfeld, das an der Grundlinie breiter war als am Netz, einem Rechteck angepasst. Die Gummibälle wurden mit einer Flannelschicht überzogen.
Das erste Wimbledonturnier spülte dem damals klammen Club durch die Startgebühren der Teilnehmer und die Eintrittsgelder der Zuschauer umgerechnet 350 Euro in die Kasse. Die defekte Rasenwalze konnte repariert werden. Und Jones blieb bis 1885 Oberschiedsrichter des Turniers.
Rasch verbreitete sich Lawn Tennis in den 1870er-Jahren auch in den britischen Überseegebieten, etwa auf Bermuda. Dort fand die junge New Yorkerin Mary Outerbridge während eines Verwandtenbesuchs Gefallen an der Sportart, als sie englischen Soldaten beim Spielen zusah. Zurück in der Heimat überredete sie ihren älteren Bruder August Emilius Outerbridge, den Präsidenten des Staten Island Cricket Clubs, auf dem Vereinsgelände ein Tennisfeld abzustecken. 1880 wurde hier das erste Turnier in den USA ausgerichtet.
In Windeseile verbreitete sich Tennis an der Ostküste, bereits im Mai 1881 wurde im Fifth Avenue Hotel in New York der Verband United States National Lawn Tennis Association (USNLTA) gegründet. Der amerikanische Verband, der seinen Namen im Laufe der Jahre in United States Tennis Association (USTA) verschlankt hat, ist damit der älteste der Welt. Nur drei Monate nach seiner Gründung führte er auf den Rasenplätzen des Newport Casinos auf Rhode Island die ersten US National Singles Championships for Men durch, den Vorläufer der heutigen US Open.
1.3 DIE ENTWICKLUNG IN DEUTSCHLAND
Englische Kurgäste brachten Lawn Tennis in den 1870er-Jahren auch nach Deutschland. In Bad Homburg spielten sie „auf provisorisch abgesteckten Spielfeldern auf den Rasenanlagen im Kurpark in langen weißen Kleidern und Hosen. Durch die im Sommer in Bad Homburg verweilende Kaiserfamilie mit ihrem Gefolge erlebte die neue Attraktion schnell einen Boom und führte 1876 zur Gründung des ersten Tennisvereins auf dem Kontinent“, wie in der Chronik des TC Bad Homburg, dem ältesten deutschen Tennisverein, nachzulesen ist.
Im Laufe der Jahre entstanden weitere Clubs und Anlagen in Baden-Baden (1881), in Freiburg (1883), in Kassel (1883) und in Essen (1884). In Frankfurt/Main wurde 1884 die „Spielplatzgesellschaft im Palmengarten“ gegründet, die man heute wohl als kommerzielle Sportanlage bezeichnen würde.
Das erste internationale Turnier in Deutschland reklamieren gleich drei Vereine und Städte für sich. Der TC Rot-Weiss Baden-Baden schreibt in seiner Chronik, dass er bereits 1883 und damit lange vor allen anderen – damals noch unter der Bezeichnung International Lawn Tennis Club firmierend – ein großes Turnier durchgeführt habe unter fast ausschließlich britischer Beteiligung. Star der Veranstaltung war demnach der Prince of Wales. Doch erst ab 1901 wurde das Turnier jährlich ausgetragen.
Ab 1892 fand auf der Hamburger Uhlenhorst ein internationales Turnier statt, zunächst nur für die Herren, ab 1896 auch für die Damen. Initiator war Carl August von der Meden, der spätere Präsident des Deutschen Lawn Tennis Bundes. Der Sohn einer wohlhabenden Hamburger Kaufmanns- und Maklerfamilie hatte sich nach dem Ende einer mehrjährigen Weltreise in den 1870er-Jahren in London niedergelassen, wo er mit Lawn Tennis in Berührung kam.
Auf seinem Arbeitsweg mit der Eisenbahn von seinem Wohnort im Süden der Millionenmetropole zu seinem Büro in der Innenstadt (von der Meden betrieb dort einen Wollhandel) passierte er tagtäglich die damalige Anlage des All England Croquet and Lawn Tennis Clubs an der Worple Road. Aus dem Zugfenster heraus beobachtete er das Treiben auf den Plätzen.
Nach dem Konkurs seiner Firma kehrte von der Meden in seine Heimatstadt zurück. Dort erhielt er 1889 von der Vorstandschaft des Eisbahnvereins auf der Uhlenhorst die Aufgabe, die Wiesenfläche, die im Winter geflutet und zum Schlittschuhlaufen genutzt wurde, auch in den Sommermonaten zu bewirtschaften. Und was lag da näher als die Durchführung eines Rasentennisturniers? Der Vereinsvorsitzende Carl Laeisz, ein vermögender Reeder, lobte dafür einen Siegerpokal aus.
Die erste Auflage der Internationalen Tennismeisterschaften von Deutschland litt 1892 unter der Choleraepidemie, die in diesem Jahr die Hansestadt heimsuchte. Ausländische Spieler blieben aus Furcht vor einer Infektion dem Turnier fern, neben den Deutschen waren nur noch einige Österreicher am Start.
In Bad Homburg notieren Chronisten das erste internationale Turnier im Jahr 1894. Die Strippen in der Kurstadt zog Charles Adolph Voigt, ein gebürtiger Kalifornier, der fließend Englisch, Deutsch und Französisch sprach und im Hotel Metropole residierte. Beim Homburg Cup lockte Voigt die englischen Stars auf den Rasen und den europäischen Adel sowie schwerreiche Industrielle auf die Tribünen. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde das Turnier eingestellt.
Bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Rufe nach einem Verband laut, der die Tennisspieler im Lande bündeln solle. Nach langen Verhandlungen gründeten schließlich zwölf Vereinsvertreter, fünf davon im Hauptberuf Juristen, am 19. Mai 1902 im Berliner Palasthotel am Leipziger Platz den Deutschen Lawn Tennis Bund (DLTB).
Von der Meden wurde zum ersten Präsidenten gewählt. Der Hamburger übte das Amt bis zu seinem Tod im Alter von 69 Jahren anno 1911 aus – ihm zu Ehren werden die Mannschaftswettbewerbe der Vereine bei Damen, Herren und Jugendlichen noch heute Medenspiele genannt.
1.4 DAS PROFITUM HÄLT EINZUG
Einer der Gründerväter des professionellen Tennis war der US-Amerikaner Charles C. Pyle. Bereits 1926 stellte der findige Theaterbesitzer aus Illinois, der sich nebenher auch als Berater diverser Sportler verdingte, eine Profitour auf die Beine. Nachdem Pyle – Spitzname „Cash and Carry Pyle“, in Anlehnung an die Initialen seiner Vornamen – einige der besten Tennisspieler der damaligen Zeit unter seine Fittiche genommen hatte, unter anderem die sechsmalige Wimbledongewinnerin Suzanne Lenglen (Frankreich) und den amtierenden Olympiasieger Vincent Richards (USA), reiste er mit diesen vier Monate lang für Showkämpfe durch die USA und Kanada.
Die Tour wurde zu einem großen Erfolg: 13 000 Zuschauer kamen zur Premiere in den Madison Square Garden in New York, die Ticketpreise betrugen 1,50 bis 5,50 US-Dollar. 39 weitere Stopps folgten. Das Problem bei der Sache: Sobald Spieler bei Pyle unter Vertrag standen, verloren sie ihren Amateurstatus und waren von den Majorturnieren in Australien, Paris, Wimbledon und New York ausgeschlossen.
Читать дальше