Einer Person gegenüber, die eine höhere Position einnimmt oder der gegenüber man besondere Hochachtung zum Ausdruck bringen will, bezeichnet man sich als Diener/Dienerin, Knecht/Magd usw.: Nach Gen 18 kommen drei Männer bei dem in seinem Zelte sitzenden Abraham vorbei. Wohl der nomadischen Gastfreundschaft entsprechend, lädt er diese mit den Worten ein: „Mein Herr, wenn ich dein Wohlwollen gefunden habe, geh doch an deinem Knecht nicht vorbei!“ (Gen 18,3) Diese floskelhafte Formulierung impliziert – dem Akteur Abraham zuerst nicht bewusst, vom Autor ab dem Einleitungssatz Gen 18,1 aber beabsichtigt – das richtige und demütige Verhalten JHWH gegenüber. – Ohne das Stichwort Knecht wieder aufzunehmen, zeigt der nachfolgende weisheitliche Disput in Gen 18,22–33, dass es sich beim „Knechtsein“ einerseits um eine Einstellung und andererseits um eine äußerliche Gegebenheit handelt.
David verband eine besonders enge, durch einen → Bundbesiegelte Freundschaft mit Jonatan, dem Sohn des Königs Saul. Saul aber richtete sich mehr und mehr gegen David. Um die Bedrohung durch Saul zu erkunden, versprach Jonatan, mit dem Vater ein einschlägiges Gespräch zu führen und David darüber mit einem Zeichen zu informieren. Während dieser Unterhaltung bezeichnet sich David als Knecht Jonatans (1 Sam 20,7f.), womit er – da er ja beim Vater beschäftigt und somit nicht Jonatans Diener ist – die Hochachtung für Jonatan und zugleich dessen Vorrang zum Ausdruck bringt. Auch im diplomatischen Verkehr wird mit der Titulierung bzw. Selbsttitulierung als „Knecht“ oder „Magd“ in gehobener Ausdrucksweise „Selbsterniedrigung“ signalisiert. In Erinnerung an seinen toten Freund Jonatan sandte David aus seinem Gefolge Ziba, der sich in 2 Sam 9,11 im Sinne eines königlichen Beamten als Knecht bezeichnet, zur Nachforschung aus, um einen Überlebenden aus Jonatans Familie zu finden. Jonatans Sohn Merib-Baal bekam daraufhin das Privileg, nicht nur selbst an der königlichen Tafel zu essen, sondern er erhielt von David auch alle Knechte Zibas zu seinen Diensten (2 Sam 9,10). Bei der ersten Begegnung mit David hatte sich Merib-Baal huldigend niedergeworfen und auf Davids Anrede geantwortet: „Hier ist dein Knecht“ (2 Sam 9,6); und nach den folgenden gnadevollen Worten Davids stellte er die Frage: „Was ist dein Knecht, dass du dich einem toten Hund zuwendest, wie ich es bin?“ (2 Sam 9,8). Der im Krieg besiegte Aramäerkönig wendet sich nach 1 Kön 20,26 mittels Boten an Ahab, den siegreichen König von Israel: „Dein Knecht Ben-Hadad bittet dich, ihm das Leben zu schenken.“ Diese Diktion wird mitunter auch hinterlistig oder unehrlich gebraucht. So z.B., wenn Batseba – um ihrem Sohn Salomo das Königtum gegen dessen älteren Bruder Adonija zu sichern – bei ihrem Gatten David mit der Redeeinleitung „Mein Herr, du selbst hast doch deiner Magd [= Gattin Batseba] bei JHWH, deinem Gott, geschworen (…)“ interveniert, um sich dann darüber zu beschweren, dass sich Adonija als König gebärde. Dieser habe nämlich „eine Menge Rinder, Mastkälber und Schafe geschlachtet und alle Söhne des Königs, den Priester Abjatar und den Feldherrn Joab dazu eingeladen. Doch deinen Knecht Salomo hat er nicht eingeladen“ (1 Kön 1,19, vgl. V. 26 u. 51). Natürlich ist der Sohn und Koregent „Knecht Salomo“ bei seinem Vater kein Hausdiener.
3.3 Knecht im Vertrauensverhältnis
Der Knecht Abrahams organisierte, obwohl Isaak schon im heiratsfähigen Alter war, den ganzen Besitz des Clans ( hammôšel bəḵål ʾăšær lô , Gen 24,2). Ihm vertraute Abraham, verbunden mit einem Schwur, auch die Zukunft seines Stammes an, da er ihn aussandte, um für Isaak eine Frau aus der Verwandtschaft zu finden. Bei den Verwandten angekommen, stellte er sich Laban mit folgenden Worten vor: „Ein Knecht Abrahams bin ich“ (Gen 24,34; vgl. 24,4–66). Auf der Flucht vor Saul begab sich David zu den Philistern und wurde von Achisch, dem König von Gat, aufgenommen. Es entwickelte sich sogar (auch wenn Berechnung mitspielte) ein Vertrauensverhältnis, in dem David jedoch Knecht blieb: „Achisch vertraute David (wajjaʾămen/episteuthē) (…) er wird gewiss für immer mein Knecht sein“ (1 Sam 27,12). Als David vor seinem Sohn fliehen musste, riet er seinem ihm treu ergebenen Sklaven Ittai, einem Ausländer – Ausländer standen öfters in israelitischen Diensten (vgl. u.a. 1 Sam 21,8) –, nicht bei ihm zu bleiben, sondern zu den Seinen zurückzukehren, woraufhin dieser seine Treue beschwor: „Nur an dem Ort, wo mein Herr, der König, ist, dort wird auch dein Diener sein, sei es um zu leben oder um zu sterben“ (2 Sam 15,21). Der Diener repräsentiert sich nicht selbst, sondern den, der ihn sendet. Deshalb ist es verständlich, dass derjenige, der sich an den Dienern vergreift, den Herrn damit trifft. Als David nach dem Tod des Ammoniterkönigs eine Gesandtschaft zur Beileidsbekundung schickte, misstraute man dieser und nahm Diener Davids ( ʿaḇdî dāwîd) fest. Zur Demütigung wurde ihnen die Hälfte des Bartes abrasiert und wurden die Kleider bis zu den Geschlechtsorganen hin abgeschnitten. Als „David davon erfuhr, schickte er Joab mit dem ganzen Heer, allen kriegstüchtigen Männern“ , um sich für diese Schande zu rächen (2 Sam 10,7). Wer den Diener demütigt, demütigt in ihm dessen Herrn (vgl. Mk 12,2–4; Mt 21,34–36; Lk 20,10–13).
4 Große Einzelgestalten als Knecht
Unterschiedliche, aber nur positive Aussagen liest man, wenn eine zentrale Persönlichkeit der Frühzeit als Knecht bezeichnet wird.
4.1 Knecht Abraham, Knecht Israel, Knecht Jakob
Bei Abraham geht es vor allem darum, welche Wirkungen davon ausgehen, dass Gott mit ihm, seinem Knecht, einen Bund geschlossen hat (Gen 17,9; 1 Chr 16,16; Ps 105,9; Apg 7,8). Das Verhältnis von Gott zu Abraham wird eng-innig und herz lich dargestellt, heißt er doch geliebter Freund ( ʾôhăḇî/hon ēgapēsa , Jes 41,8; ton ēgapēmenon , Dan 3,34). Verschiedene Zuwendungen gründen für die Nachkommen in dieser Knechtsverbindung, wie die des Segens, der Landzusage (Ex 32,13, Dan 3,34), der Erwählung (Jes 44,1.8; 1 Chr 16,13), der großen Vermehrung, gerichtet an Isaak (Gen 26,24; Ex 32,13) und Israel/Jakob (Ex 32,13; Ps 105,6; Lk 1,54). Darüber hinaus begründet das Knechtsverhältnis die Hoffnung, Gott werde seinen Bund nicht annullieren (Dan 3,34) und trotz der zahlreichen Vergehen des Volkes die Rettung angesichts der Bedrohung durchführen (Dtn 9,27; Jer 30,10; 46,27; Jes 44,21).
4.2 Mose, Knecht des Herrn
Gegenüber solchen Propheten, mit denen Gott „nur“ in Visionen und im Traum verkehrt, ist Mose nach Num 12,7–8 (vgl. Ex 33,11) ausgezeichnet, „denn bei meinem Knecht Mose ist es anders. Mein ganzes Haus ist ihm anvertraut. Mit ihm rede ich von Mund zu Mund, von Angesicht zu Angesicht, nicht in Rätseln. Er schaut die Gestalt JHWHs (təmunaṯ JHWH).“ Infolge dieser Sonderrolle fällt dem Knecht Mose die Aufgabe zu, jene Regeln, Anleitungen und Gesetze zu vermitteln, die das Volk so zu leben befähigen, wie es dem Willen Gottes entspricht. Denn „am Horeb (…) [hat er] ihm Satzung und Recht übergeben, die für ganz Israel gelten“ (Mal 3,22), und der Knecht Mose verkündet die Tora JHWHs ( tôraṯ môšæh ʿaḇdî , Mal 3,22; vgl. Jos 1,7; 8,31; 22,5; 2 Kön 21,8; Neh 9,14; 10,30; Dan 9,11). Dies bedeutet eine Auszeichnung für das Gottesvolk, denn JHWH „verkündet Jakob sein Wort, Israel seine Gesetze und Rechte. An keinem anderen Volk hat er so gehandelt, keinem sonst seine Rechte verkündet“ (Ps 147,19–20). Befolgt Israel das elitäre Angebot Gottes – nämlich „die Gebote, die Mose, der Knecht des Herrn, verkündet hatte“ (2 Kön 18,12) – nicht, riskiert es seine Existenz – würde es hingegen das „ganze Gesetz einhalten, das ihnen mein Knecht Mose gegeben hat“ (2 Kön 21,8), fände es Ruhe.
Читать дальше