Im nächsten Schritt wurden Männer und Frauen wieder mehr getrennt, Landherren schwangen sich auf. Unser Verstand bekam die Fähigkeit, den Geschehnissen Bedeutung zu geben und über den Sinn nachzudenken. Irgendwann kam die Industriegesellschaft und heute die Hightech-Gesellschaft. Unser rationales Denken hat sich tatsächlich extrem verfeinert.
Aber was kommt als nächstes? Der nächste Schritt wurde vor etwa 3000 Jahren vorbereitet durch die Entdeckung der Archetypen. Wir können liebend und gut sein, Liebe ist ein Archetyp in dem Sinne, dass wir nicht wirklich wissen, was sie ist. Doch gibt er uns den besten Zusammenhang für das Denken oder Fühlen. Es ist ein wundervolles Gefühl, so dass jeder, mit Ausnahme vielleicht von Soziopathen, nach Liebe strebt. Die Archetypen, obwohl wir nicht genau wissen was sie sind, führen unsere Zivilisation. Archetypen fühlen sich richtig an, wenn wir sie verkörpern. Das ist unser Weg zur Perfektion. Je mehr wir die Archetypen verkörpern, umso näher gelangen wir an die Perfektion.
JNM: Kann ich das so zusammenfassen: Das Bewusstsein nimmt die Herausforderung an, eine perfekte Welt zu schaffen, und es gibt nicht auf, bis das erreicht ist?
AG: Ja, und das kann Millionen von Jahren dauern. Es werden andere Planeten und Erden da sein, auf denen das Bewusstsein es weiter versucht. Nun haben wir die Dunkle Materie entdeckt, eine weitere große materielle Welt, wo das Sein sogar noch subtiler ist als das menschliche Sein. Es gibt unglaubliche Möglichkeiten für das Bewusstsein, Perfektion anzustreben.
JNM: Glauben Sie, dass es ein ultimatives Konzept, einen Plan gibt, wo das Leben hingeht?
AG: Ich denke, das ultimative Ziel des Universums führt zurück ins Nichts. Aber es ist beinahe unvorstellbar. Doch sehen wir uns die Weltanschauung der Quantenphysik an. Die Grundlage des Seins ist Bewusstsein. In der Wissenschaft sollte jedes Konzept überprüfbar sein. Wie überprüfen wir, dass das Bewusstsein die Grundlage allen Seins ist? Meine eigene Suche ist ein sehr gutes Beispiel dafür, denn wenn ich nicht diese zwei Ebenen der Realität erfahren hätte, dieses Eins-Sein wäre es für mich nicht nachvollziehbar. Es ist wichtig zu überprüfen, dass die Metaphysik real ist, aber das werden wir nicht mit Instrumenten messen können. Nur ein Mensch kann es erfahren. Nur ein Mensch kann das Eins-Sein mit der Grundlage allen Seins erfahren. In der spirituellen Literatur wird dieser Zustand Einheit ohne Trennung genannt. Die Einheit, die ich erfahren habe, war die Einheit mit Erfahrung. Einheit ohne Erfahrung kann sowohl geschehen als auch nicht geschehen; wir sprechen von Potentialität.
In der Quantenphysik gibt es das Konzept der „Delayed Choice“. Wir sind eins, dann wachen wir auf und sind manifestiert, getrennt. Man kann sich an das Eins-Sein erinnern, dabei geht man zurück in der Zeit. Spirituelle Lehrer wie Jesus und Buddha haben darüber nachgedacht und indirekte Andeutungen gemacht. Buddha vor allem beim Konzept des Nirwana.
Was bedeutet das? Es bedeutet, es ist das ultimative Ziel, dass jedes menschliche Wesen in der Lage sein wird, sich mit dem höheren Bewusstsein selbst zu verbinden. Und dass es dann zurückkommen kann und sagen kann „Schaut, ich habe es getan“.
JNM: Wenn das jeder getan hat, gibt es keinen Grund mehr, zurückzukommen.
AG: Das ist das ultimative Ziel.
JNM: Eine Frage zur Definition: Was ist Bewusstsein? Was ist das Quantenbewusstsein?
AG: Der Verstand ist das Vehikel, durch das das Bewusstsein denkt, das Bewusstsein ist die Grundlage. Das Problem ist, dass die Leute zwar das Bewusstsein und die Möglichkeiten haben, aber manche Möglichkeiten leben wir, die persönlichen Möglichkeiten. Dann gibt es noch die kollektiven Möglichkeiten im kollektiven Bewusstsein. Alle Möglichkeiten sind potentiell im Bewusstsein angelegt. Diesen Teil nennen wir das Quantenbewusstsein. Das Quantenbewusstsein ist ein neuer Teil der Möglichkeiten, die noch keiner verwirklicht hat. Noch nicht verwirklichte Potentialitäten. Ich nenne es Quantenbewusstsein, aber man könnte es auch anders interpretieren. Das Wort Quantum selbst hatte ursprünglich nur die Bedeutung einer begrenzten Menge von Energie. Heute benutzen wir das Wort Quantum, um ein Objekt zu bezeichnen, das auf zwei Ebenen existiert. Als Potentialität und als Manifestation.
Ein Quantenbewusstsein ist also ein Bewusstsein, das fähig ist, sowohl eine Potentialität als auch eine Verwirklichung zu sein.
JNM: Würden Sie es einfacher finden, Ihre Konzepte in Sanskrit zu erklären?
AG: So gut kann ich Sanskrit gar nicht. Ich habe es drei Jahre in der Schule gelernt, habe es aber seitdem kaum benutzt. Manche der Sanskrit-Sutras handeln von ähnlichen Themen, so nutze ich auch manchmal Ausdrücke aus dem Sanskrit, wenn die englische Sprache nicht subtil genug ist. „Somati“ zum Beispiel; im Christentum gibt es den Heiligen Geist, der dem Somati nahe kommt. Im Japanischen gibt es das Wort „Satori“, das ihm ähnelt, im Deutschen „Das Sein“. Somati beschreibt es am besten, denn es beinhaltet, dass Subjekt und Objekt aufeinander liegen. Normalerweise ist die Trennung zwischen Subjekt und Objekt groß, doch in diesem Zustand fühlt man sich, als ob alles eins wäre. Ich habe mich gefühlt, als ob das Gras ich wäre, als ob das Gebäude ich wäre, Dinge und Leute sind ich, alles verschmolz zu einem.
Wenn man ein falsches Wort benutzt, verstehen die Leute einen nicht richtig. Das Sein trifft es nicht ganz, denn Trennung ist ein Teil der Erfahrung. Es gibt ein Subjekt, das auf die Einheit blickt. Wenn Subjekt und Objekt aufeinander liegen, gibt es noch eine minimale Trennung.
JNM: Die letzte Frage. Ist der Tod nur eine Illusion?
AG: Warum soll man Angst vor dem Tod haben, wenn er doch nur ein tiefer Schlaf ist, nach dem wir zurückkehren in einem neuen Körper? Wir sollten uns auf den Tod freuen. Ja, die Angst vor dem Tod ist eine Illusion.
Ist der Tod selbst eine Illusion? Nein. In einer Illusion steckt keine Ordnung. Bei Leuten, die einen sehr bewussten Tod erlebten, beschrieben ihre Angehörigen es als sehr friedlich. Man kann es auch als Beweis sehen für die Quanten-Nichtlokalität. Ich frage mich bei Hospizmitarbeitern, ob sie bei so vielen Todesstunden dabei sind, weil sie diese speziellen Momente genießen, vielleicht auch nur unbewusst. Sie können wundervoll sein und einem Frieden geben.
Sieht man sich ein Trugbild an, steckt keine Ordnung darin. Doch der Tod ist friedvoll und ruhig. Viele Menschen machen dieselben Erfahrungen bei Nahtod-Erlebnissen. Der Zustand Tod scheint sehr geordnet und klar zu sein.
Nicht der Tod ist eine Illusion, sondern die Angst vor dem Tod. Die Angst vor der Getrenntheit, dass wir getrennt leben für alle Ewigkeit. Diese Angst ist die Illusion. Man lebt nicht lange in Getrenntheit.
Wenn wir sterben, gehen wir zurück zur Einheit. Wenn wir dann wiedergeboren werden, werden wir wiedergeboren in ein Leben bestehend aus Getrenntheit und Einheit. Der Wachanteil ist getrennt, der Traumanteil ist getrennt. Der Schlafanteil ist Einheit. Von dort gehen wir eine Weile zurück zur kompletten Einheit. Nach einem langen Schlaf kehren wir zurück zu einem neuen Leben, mit einem neuen Körper und neuen Lernaufgaben. Ich finde, das ist wundervoll.
JNM: Besten Dank Herr Dr. Amit Goswami für das aufschlussreiche und sehr ausführliche Gespräch.
Das Film-Interview und das weiterführende Gespräch liefen bestens und Dr. Goswami und ich beschlossen, mit einem echt „knuddeligen“ Selfie das Treffen zu beenden. Wir vereinbarten auch noch, dass er unbedingt in naher Zukunft wieder einmal nach Deutschland zu einem Kongress kommen soll und ich mich für ihn einmal schlau mache, was Sache ist und wie dies organisiert werden könnte. Wir bestellten uns also diesmal ein UBER-Taxi und keine zwei Minuten später waren wir auf dem Weg zu Dr. Rupert Sheldrake.
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