"Und jetzt versucht also jemand eine Rebellion?"
"Ja. Aranjuez ist ein absolut loyaler Gefolgsmann von El Columbiano. Deswegen musste er aus dem Weg geräumt werden, was ihr G-men ja hervorragend erledigt habt. Ich nehme an, dass er in den bisherigen Verhören auch noch nicht sehr viel mehr als seine Personalien genannt hat."
"Leider wahr", nickte ich.
"Er würde eher sterben, als Montalban zu verraten."
Ich blieb skeptisch. "Wer steckt hinter der Rebellion? Dieser Carillo etwa?"
Raquino schüttelte den Kopf. "Nein, Carillo ist viel zu alt, um selbst die Führung übernehmen zu können. Außerdem würde er auch kaum von den anderen Unterführern akzeptiert. Dahinter steht jemand anderes."
"Wer?"
"José Montalban."
"Der Sohn?"
"Er ist jung genug und man traut ihm den nötigen Geschäftssinn zu. Auch wenn er nach außen hin so sauber tut, José hat mehr drauf, als sein Vater glaubt. Verstehen Sie mich nicht falsch. Die wollen Dirty Rick nicht umbringen, sondern nur ins Abseits stellen. Der geplatzte Kokain-Deal hat sehr dazu beigetragen. Nicht nur, weil mit Aranjuez ein Vertrauensmann von Rick Montalban aus dem Verkehr gezogen wurde, sondern auch weil sich jetzt die schon lange gärende Unzufriedenheit endlich Bahn brechen könnte."
"Der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt", murmelte ich.
Raquino drehte sich um. Er wirkte wie ein ängstliches Wiesel. Schließlich fuhr er fort: "Carillo wurde vor ein paar Stunden umgebracht. Wahrscheinlich wird man seine Leiche erst in ein paar Tagen finden.."
"Woher wissen Sie das alles?"
"Es wird überall auf der Straße herumerzählt. Sie haben Carillo in einem Hinterhof fertig gemacht und ausgequetscht wie eine Zitrone, bevor sie ihn umbrachten. Ich kenne ein paar Leute, die es gesehen haben, aber eher sterben würden, als darüber zu reden. Offenbar ist El Columbiano hinter das falsche Spiel seines Beraters gekommen und hat nach langer Zeit mal wieder Zähne gezeigt."
"Und jetzt sorgt er dafür, dass davon alle erfahren."
"Genau. Aber für mich bedeutet das höchste Gefahr. Ich nehme an, dass Dirty Ricks Killer aus Carillo noch herausquetschen konnten, wer für das Scheitern des Koks-Deals an Pier 41 verantwortlich ist. Verstehen Sie jetzt, warum ich mich an Sie wende?"
"So langsam", nickte ich.
"Hören Sie, ich möchte ins Zeugenschutzprogramm. Eine neue Identität und so weiter. Sie kennen das ja."
"Darüber kann man sicher reden..."
Ich blickte an Raquino vorbei. Ein breitschultriger Mann mit kurzgeschorenen blonden Haaren betrat den Wagen. Er trug einen leichten Regenmantel. Die rechte Hand war in der Seitentasche verborgen. Er sah sich um, schien jemanden zu suchen.
Raquino drehte sich um, folgte meinem Blick.
Der Blonde starrte ihn an.
Er riss eine Waffe mit Schalldämpfer hervor.
Milo riss Raquino den Kopf herunter. Sie duckten sich. Der Schuss ging ins Leere. Im selben Augenblick zog ich die SIG und feuerte zurück. Ich traf den Kerl am Oberkörper. Er taumelte zurück. Mein Schuss hatte seine seine Kleidung aufgerissen. Das graue Kevlar einer kugelsicheren Weste wurde darunter sichtbar.
Der Killer prallte gegen die Schiebetüren, die sich zwischen den einzelnen Subway-Waggons befanden. Die Türen teilten sich automatisch. Der Blonde hob seine Waffe erneut, ballerte wild in unsere Richtung. Mit der anderen Hand holte er eine zweite Waffe unter dem Mantel hervor. Auch sie besaß einen aufgeschraubten Schalldämpfer. Mit zur Maske verzerrtem Gesicht feuerte der Blonde in rascher Folge beide Waffen ab, zog die Stecher immer wieder durch. Ich warf mich zur Seite, suchte Deckung. Glücklicherweise waren zurzeit keine weiteren Fahrgäste im Waggon, die in Mitleidenschaft gezogen werden konnten.
Die Kugeln durchschlugen die Sitzbänke.
Milo drückte Raquino zu Boden.
Aber auch mein Kollege musste sich in Deckung halten. Einen Schuss gab er in Richtung unseres Gegners ab, der aber nicht traf.
Der Geschosshagel verebbte schließlich.
Der Killer floh in den Nachbarwaggon.
Ich rappelte mich auf. "Den Kerl kaufe ich mir!", knurrte ich. Im nächsten Moment konnte ich schon nicht mehr auf den Beinen halten. Ein Ruck ging durch den Waggon. Mit einem ohrenbetäubenden Quietschen der Bremsen kam der Zug zum Stehen. Der Killer hatte offenbar die Notbremse gezogen.
Ich taumelte nach vorn, landete schließlich auf einem der Sitze. Sofort stand ich wieder auf, die SIG in der Faust.
Ich hörte, wie im Nachbarwaggon die Tür geöffnet wurde.
Ein paar Schritte und ich hatte ebenfalls eine Außentür erreicht und öffnete sie. Ich sprang hinaus. Etwa zwei Meter weiter verliefen die Gleise der Gegenspur. Außer dem Licht, das aus den Waggons drang, erhellte eine schwache Notbeleuchtung den Subway-Tunnel.
Der Killer lief davon, direkt in den Tunnel hinein.
"Halt, stehen bleiben! FBI!", rief ich.
Meine Worte hallten in dem Gewölbe wieder.
Ich feuerte einen Warnschuss ab.
Der Killer drehte sich herum, feuerte gleichzeitig mit seinen zwei Pistolen. Vier- oder fünfmal machte es plop.
Ich presste mich gegen den Zug, duckte mich.
Im Gegensatz zu meinem Gegner trug ich keine kugelsichere Weste. Schließlich gehörte das Treffen mit einem Informanten nicht unbedingt zu den Situationen, in denen man so etwas anlegt.
Wie wild feuerte der Killer um sich.
Dann kamen keine Kugeln mehr aus seinen Waffen.
Er hatte die Magazine offenbar leergeschossen.
Ich setzte zu einem Spurt an. Der Killer schaffte es bis zu einer Nische im Mauerwerk. Dort befand sich ein Nottelefon. Vermutlich wollte er die Deckung nutzen, um seine Magazine auszuwechseln.
Bis auf dreißig Yards war ich an ihn herangekommen, da tauchte er aus der Nische hervor, feuerte.
Doch ich reagierte blitzschnell und kam ihm um den Bruchteil einer Sekunde zuvor.
Mein erster Schuss erwischte ihn an der Schulter. Ich feuerte immer wieder. Fünf, sechs Geschosse trafen ihn am Oberkörper. Sie konnten das Kevlar nicht durchdringen, die Aufprallwucht der Geschosse war dennoch immens und stellte jeden Faustschlag mühelos in den Schatten.
Er zuckte. Seine eigenen Schüsse gingen ins Leere. Er war nicht mehr in der Lage zu zielen.
Ächzend sank er zurück.
Der Blonde rutschte an der Betonwand hinab und rang nach Atem.
Mit ein paar schnellen Sätzen war ich bei ihm.
Er wollte seine Waffen erneut hochreißen und auf mich feuern, erstarrte dann aber mitten in der Bewegung, als er in die Mündung meiner SIG blickte.
"Sie sollten nicht denken, dass ich Ihren Kopf nicht auch treffen könnte, Mister!", zischte ich. Einen Augenblick lang zögerte er noch. Schließlich gewann die Vernunft die Oberhand. Er sah ein, dass er in seinem Zustand einfach nicht schnell genug gewesen wäre, um mich erledigen zu können. Jedenfalls nicht, bevor ich nicht meinerseits abgedrückt hatte.
Diesmal wäre es sein sicherer Tod gewesen.
Er ließ die Waffen sinken.
"Das Spiel ist aus", stellte ich fest.
Es dauerte fast zwanzig Minuten ehe Verstärkung durch die City Police und unsere Kollegen eintraf. Jay Kronburg und Leslie Morell waren vom Chef aus dem Schlaf geholt worden.
Der Killer hatte einiges abbekommen.
Die Diagnose des Notarztes lautete später auf mehrere Rippenbrüche. Ein Aufenthalt in einer Klinik war unausweichlich. Aber es würde eine Gefängnisklinik sein. Wir durchsuchten seine Sachen. Der Führerschein, den er bei sich trug lautete auf den Namen Gordon Laws.
Dem ersten Anschein nach war er echt.
"Warum wollten Sie Raquino töten?", fragte ich an Laws gerichtet.
Er stöhnte nur auf.
"Sie haben einen Mordversuch begangen", belehrte ich ihn. "Und dafür wird man Sie zweifellos verurteilen. Wollen Sie wirklich die ganze Schuld auf sich nehmen?"
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