„Eine bestechende Logik, Brenda!“, erwiderte Robert ironisch.
Er hielt offenbar nichts von dem Gedanken.
Brenda glaubte auch zu wissen, warum das so war.
Er will möglichst schnell zur Burg, um den Schlossherrn zu besiegen, damit er in eine der höheren Ebenen gelangen kann.
Dorthin, wo der Namenlose Magier regiert und diese Jarmila gefangen hält…
Brenda wurde ganz schlecht, wenn sie nur daran dachte.
Widerwille kam unwillkürlich in ihr auf, wenn sie vor ihrem inneren Auge das Gesicht dieses Mädchens sah. Weshalb das so war, konnte sie nicht sagen. Aber sie wusste ganz genau, dass sie Jarmila nicht mochte.
Warum gibst du ihr nicht wenigstens eine Chance? , meldete sich eine Stimme in ihrem Hinterkopf. Bist du etwa eifersüchtig auf sie? Denkst du, dass sich Roberts Interesse vollkommen von dir abwendet und er nur noch diese Jarmila im Kopf hat – ein Phantom aus dem Computer?
Brenda spürte, wie ihr der Puls bis zum Hals schlug.
Eifersucht - genau das war der Grund! , musste sie zugeben, wenn sie wirklich ehrlich zu sich selbst war. Eifersucht auf ein Avatar – ein Geschöpf, das letztlich aus nichts anderem, als ein paar clever zusammen gefügten Datensätzen besteht –
das ist doch vollkommen absurd!
Aber diese Stimme der Vernunft hatte es schwer, in Brendas Kopf die Oberhand zu gewinnen.
Andererseits – waren in dieser computergenerierten magischen Welt nicht diese irrealen, der kranken Fantasie eines Story-Liners entsprungenen Geschöpfe ebenso real wie sie selbst? Real genug um zu töten sind sie jedenfalls! , rief sie sich ins Gedächtnis.
Robert trat an die Tür des Gasthauses.
„Okay, ich werde den Wirt mal aus den Federn klopfen. Aber ich prophezeie dir, dass das nicht gerade für einen warmen Empfang sorgen wird!“
„Trotzdem, wir sollten es versuchen. Es ist nämlich besser als…“ Sie stockte, riss plötzlich ihren Bogen empor, legte einen Pfeil ein und schoss ihn ab. Er surrte durch die Luft und etwas Großes, Schattenhaftes fiel wie ein Stein zu Boden.
„Ein Blutsauger!“, entfuhr es Robert.
Noch ehe das Mischwesen aus Mensch und Fledermaus den Boden erreicht hatte, war dessen Fleisch zu Staub zerfallen.
Die Knochen zerbröselten wenig später durch den Aufprall zu einer ascheartigen Substanz. Der Schädel war das Letzte, was noch greifbar war. Er rollte mehrere Umdrehungen über den Boden, ehe er zerfiel.
„Ein guter Schuss!“, staunte Robert. „Du wirst immer besser!“
„Ich bin selbst erstaunt.“
„Nein, das ist doch ganz logisch!“
„Wieso!“
„Jeder Spiel-Charakter wird besser, wenn man mit ihm übt.
Außerdem hast du von der Hexe zusätzliche Lebenskraft bekommen.“
„Logik nennst du so etwas?“
„Hier gilt sie. Und das ist das einzige, was uns interessieren sollte!“
„Wenn wir hier jemals herauskommen, sollte ich überlegen, ob ich das nicht als Leistungssport betreibe!“
„Ich fürchte, Bogenschießen in der Welt von Hellgate und in der Realität sind zwei verschiedene Paar Schuhe!“ In der Ferne tauchten jetzt weitere Nachtkreaturen auf.
Aber die Blutsauger sahen sich vor und griffen nicht so ungestüm an, wie jener, den Brenda bereits zur Strecke gebracht hatte. Sie hielten sich in einer Entfernung die es kaum möglich erscheinen ließ, mit Pfeil und Bogen etwas auszurichten.
„Das ist eher ein Fall für die Armbrust!“, glaubte Brenda.
„Nur fürchte ich, habe ich nicht genug Zielwasser getrunken, um auf die Entfernung einen der Blutsauger zu erwischen! Und dann noch im Flug!“
„Probier’ doch einfach! Wahrscheinlich haben sich ja auch deine Fähigkeiten verbessert!“
„Ich will die Pflöcke nicht verschwenden, also warte ich bis das Biest näher heran ist.“
Sie zuckte die Achseln.
„Wie du meinst.“
Auf jeden Fall war die die Frage, ob man den Wirt jetzt aus dem Schlaf klopfen sollte oder nicht, endgültig entschieden. Weder Robert noch Brenda stand der Sinn danach, den Rest der Nacht – wie lange auch immer sie dauern mochte –
draußen im Freien zu verbringen, wo sie zweifellos ständig den Angriffen der gierigen Blutsauger aus dem Schloss ausgesetzt waren.
Robert klopfte.
Es erfolgte keine Reaktion.
„Versuch es noch mal!“, forderte Brenda.
Robert klopfte diesmal etwas kräftiger. „Aufmachen! Wir brauchen Schutz vor den Blutsaugern!“, rief er.
In diesem Augenblick stürzte sich eine der Bestien förmlich vom Himmel.
Sie raste mit unglaublicher Geschwindigkeit geradewegs auf Robert zu.
Dieser riss seine geladene Armbrust empor und schoss den eingelegten Holzpflock ab. Allerdings verfehlte er sein Ziel in der Hast. Auch Brendas Pfeil ging daneben. Die Bestien schienen aus ihren Fehlern zu lernen – und zwar sehr schnell.
Durch die enorme Angriffsgeschwindigkeit boten sie kaum ein Ziel.
Robert spürte, wie ihn die Krallen bewehrten Hände des Monstrums am Oberkörper berührten und mit unglaublicher Wucht zu Boden stießen.
Der Blutsauger legte bereits die Vampirzähne an Roberts Kehle, als genau diese Zähne aus dem lemurenartigen Maul heraus fielen und zu Staub zerbröselten. Robert musste niesen. Innerhalb weniger Sekunden zerfiel der Körper des Angreifers vollständig.
Danach wurde auch Brenda ersichtlich, was geschehen war.
Robert hatte in die Tasche mit den Holzpflöcken gegriffen und der Bestie einen davon mit aller Gewalt in den Leib gerammt. Offenbar akzeptierte das Programm diese Aktion als Pfählung.
Robert stand auf und streifte sich den Staub von den Sachen.
Brenda hämmerte nun gegen die Tür.
„Aufmachen!“
Währenddessen griff bereits der nächste Blutsauger an.
Er verfolgte eine andere Strategie. Seine Flugbahn war ähnlich chaotisch wie die einer Motte, die ihre Feinde damit zu verwirren pflegte, sich zwischenzeitlich ein Stück fallen zu lassen – eine Kampftaktik, die auch moderne Kampfjets anwendeten, um gegnerischer Radarpeilung zu entgehen, wie Robert aus seiner Erfahrung als Pilot in verschiedenen Games wusste, die diesem Thema gewidmet waren.
Brenda legte einen Pfeil ein und schoss.
Aber der Pfeil verfehlte den chaotisch dahinsegelnden Blutsauger. Um einen neuen Bolzen in die Armbrust einzulegen, war es zu spät.
Robert griff zum Schwert und riss die zweischneidige Klinge heraus. Mit einem wuchtigen Hieb schlug er der Bestie im Moment des eigentlichen Angriffs den Kopf ab, woraufhin der Körper innerhalb von Sekunden in sich zusammenfiel.
„Das war knapp!“, meinte Brenda, die bereits den nächsten Pfeil eingelegt hatte und misstrauisch den Nachthimmel betrachtete.
Robert klopfte noch einmal gegen die Tür des Gasthauses, obwohl er eigentlich schon gar nicht mehr damit rechnete, dass er Antwort erhielt.
Die Menschen dieses Dorfes schlossen sich offenbar in der Nacht in ihre Häuser ein, was auch mehr als verständlich war, wenn man bedachte, dass dann offenbar die Jagdsaison der Schattenkreaturen war.
Aber diesmal gab es gegen alle Erwartung eine Reaktion.
In der Tür öffnete sich eine winzige Klappe.
Aber anstatt einer Antwort, wurde Robert etwas Glitschiges entgegen geworfen, das ihn voll im Gesicht traf.
Er fuhr sich abwehrend über das Gesicht.
Die Klappe wurde mit einer heftigen Bewegung geschlossen.
„Was war das?“, fragte Brenda.
„Zerriebener Knoblauch, würde ich sagen.“ Als sie sich ihm näherte und etwas schnupperte, fand sie Roberts Annahme bestätigt.
„Ja, das würde ich auch sagen, Robert.“
„Das bedeutet, die Leute hier glauben wohl, dass jeder, der sich jetzt noch draußen im Freien aufhält eine Nachtkreatur ist.“
„An deren Stelle wäre ich wahrscheinlich auch vorsichtig“, bekannte Brenda.
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