„Was wir nur von der Hexe wissen! Du kannst dir sicher denken, dass sie uns die Informationen so zurechtgebogen hat, wie es ihr nützt! Meinst du nicht auch?“
„Und zweitens denke ich, sollten wir erst einmal zusehen, dass wir die nächste Herausforderung bestehen. Im Moment ist uns nicht kalt, aber das kann sich auch wieder ändern.“ Er weicht nur aus! , dachte Brenda. Ich werde ihn daher genau beobachten müssen…
*
Bevor sie das Dorf erreichten, mussten sie einen gefrorenen Bach überqueren, der das Tal durchzog.
Ein paar vereinzelte Bäume standen dort – starr und von einem Eispanzer überzogen, wie die Bäume im Wald. Die besonders eigenartigen Verwachsungen ließen auf einen wiederholten Blitzeinschlag schließen.
Nach ihren Erlebnissen mit dem Waldgeist hielten sie instinktiv Abstand von diesen Bäumen, obwohl ihnen klar war, dass es hier vermutlich keinen Waldgeist gab und ihre Furcht daher unbegründet war.
Vorsichtig tasteten sie sich über das Eis.
Es hielt.
Brenda blickte hinab und stieß einen Schrei aus.
Im nächsten Moment bemerkte es auch Robert.
Zahllose Gesichter blickten sie aus dem Eis heraus an. So als ob der Bach voller Leichen gewesen wäre, als er zufror.
Bleich und totenstarr waren sie, die Augen weit aufgerissen, die Züge verzerrt.
„Wir gehen ganz ruhig weiter“, bestimmte Robert. „Ich meine, was erwartest du? Wir haben schließlich das Tor zur Hölle passiert.“
„Trotzdem…“, murmelte Brenda und atmete tief durch.
Schließlich erreichten sie das andere Ufer und stiegen die hart gefrorene Böschung empor.
Brenda streckte die Hand aus und deutete in den Bach.
„Was meinst du – sind das die Leichen derjenigen, die es nicht geschafft haben?“
„Dieses Spiel war brandneu. Es kann vor uns niemand gespielt haben. Das Siegel war noch intakt.“ Sie schluckte. „Ich dachte nur…“
Eine Bewegung ließ beide herumfahren. Hinter dem nächsten Baum sprang eine Gestalt hervor. Es war der Gnom, der sich selbst einen dienenden Dämon genannt hatte. Seine Augen funkelten böse, das tierhafte Maul entblößte die Raubtierzähne.
„Halli, hallo, so schnell sieht man sich wieder.
Unerwarteterweise, wie ich gerne zugebe, und was mich selbst etwas Lebensenergie gekostet hat. Ich habe nämlich mit ein paar anderen Diener-Dämonen gewettet, wie lange ihr am Leben bleiben würdet und ich muss sagen – bislang habt ihr meine kühnsten Erwartungen in dieser Hinsicht übertroffen!“
„Wie wäre es dann mit warmer Kleidung und ein paar zusätzlichen Waffen? Ich denke, die hätten wir uns in der Zwischenzeit redlich verdient!“, glaubte Robert.
„Im Prinzip stimme ich dir in dieser Hinsicht sogar zu.
Und ich kann dir sagen, dass ich beauftragt wurde, dir dies hier zu zeigen!“
Eine Reihe warmer Kleidungstücke schwebten plötzlich in der Luft. Es handelte sich um dicke Wollmäntel, außerdem gab es verschiedene Kopfbedeckungen und Fell gefütterte Handschuhe. Und dazu ein Sortiment von altertümlich wirkenden Steinschlosspistolen und –gewehren.
„Unter Shopping Tour verstehe ich zwar eigentlich was anderes, aber ich schlage vor, wir nehmen uns, was wir kriegen können!“, schlug Brenda vor.
Sie wollte bereits nach einem der Mäntel greifen.
Aber das Kleidungsstück war plötzlich transparent. Ihre Hand glitt hindurch.
„Einen Moment!“, tönte der Gnom. „Ich habe gesagt, dass ich befugt bin, euch diese Gegenstände zu zeigen – nicht, sie euch auch zu geben.“
„Was soll das denn?“, entfuhr es Robert ärgerlich. „Willst du uns zum Narren halten?“
„Keineswegs. Nichts läge mir ferner – und was die Wetten mit meinen Mit-Dämonen betrifft, so trage ich euch nichts nach. Die Verluste gleichen sich schon noch wieder aus. Im Übrigen muss ich meine Fehleinschätzung, was euer Überleben angeht, mit selbst zuschreiben.“ Sein Kopf drehte sich ruckartig um etwa dreißig Grad. Er sah von einem zum anderen.
Ein böses, widerwärtiges Grinsen kennzeichnete seine Züge. Es schien ihm Freude zu machen, andere zu quälen. Schließlich fuhr er fort: „Ich habe nicht erwartet, dass ihr so zäh seid
– dumm, aber zäh. Bei der großen Anzahl von Fehlentscheidungen wären andere schon längst nicht mehr am Leben.“ Er streckte den Arm aus und deutete zum Bach. „Dort sind einige jener Verdammten, die vor euch ihr Glück auf dieser Ebene versucht haben und jämmerlich gescheitert sind.“
„Wir sind die ersten die dieses spielen!“, entfuhr es Robert.
Der Gnom lachte. „Wenn du glaubst, du und deine Begleiterin wären die Ersten, die das Tor zur Hölle hinter sich ließen und die Seele unwiderruflich den Mächten des Bösen überließen, so ist das schlicht und ergreifend falsch.
Der Beweis liegt vor euch unter dem Eis. Ihr könnt ja eure Zeit damit vertun, und das Eis aufbrechen, wenn ihr mir nicht glauben wollt.“ Der Gnom lachte gehässig. „Aber so töricht könnt nicht einmal ihr beide sein!“
„Wie ist das möglich?“, wandte sich Robert an Brenda. „Das Spiel war versiegelt, ich bin mir sicher!“
„Hier gelten die Gesetze der Magie!“, erwiderte Brenda.
„So fern man da tatsächlich von Gesetzen sprechen kann.
Anscheinend teilen all diejenigen, die jemals dieses Spiel gespielt haben, diese Welt.“
„Beziehungsweise teilten“, korrigierte Robert. „Die Vergangenheitsform dürfte nach allem, was wir wissen, wohl angemessener sein.“ Robert wandte sich an den Gnom. „Was ist jetzt mit dieser Kleidung und den Waffen?“
„Nicht so ungeduldig“, mahnte der Gnom. „Zunächst einmal möchte ich euch sagen, dass dieses Dorf da unten nun wahrlich auch kein paradiesischer Ort ist. Vielleicht nicht ganz so ungastlich, wie der Hexenwald, in dem ihr so lange und unnötig herumgeirrt seid, obwohl man mit etwas mehr Intelligenz... Aber lassen wir das! Es dürfte jetzt zu spät sein, noch etwas an eurem Auffassungsvermögen zu verbessern.
Ihr seid nun mal wie ihr seid und ich werde mein Wettverhalten gegenüber den anderen Dienerdämonen in Zukunft darauf einstellen müssen. Das ist das Beste. Akzeptiere immer die Gegebenheiten, hat mal jemand sehr Weises gesagt.“ Der Gnom verzog das Gesicht und kratzte sich an dem gewaltigen Kinn. „Wer war das noch? Der Namenlose Magier vielleicht oder...“
„Was weißt du über den Namenlosen Magier?“, fuhr Robert sofort dazwischen.
Der Gnom lachte triumphierend. „Dachte ich es mir doch.“
„Was?“
„Hast du dir diesen Auftrag aufschwatzen lassen, Jarmila zu befreien?“ Er schüttelte den Kopf. „Jedenfalls ist das der einzig vorstellbare Grund, weshalb du auf dieser Ebene erstens vom Namenlosen Magier wissen kannst und zweitens ihn für so wahnsinnig wichtig hältst, dass du unbedingt mehr über ihn erfahren willst.“ Er zwinkerte Robert zu. „Oder richtet sich dein Interesse vielleicht doch eher auf die schöne Jarmila?“ Der Gnom wandte sich Brenda zu. „Ich fürchte, du wirst dich damit abfinden müssen, dass dein Begleiter dieser Jarmila nun hoffnungslos verfallen ist und sich für dich höchstens noch am Rande interessiert. Aber so ist der Lauf der Dinge. Und leider darf ich nicht mehr darüber verraten.
Weder über Jarmila noch über den Namenlosen Magier.“
„Warum nicht?“, fragte Robert.
„Sie gehören zu einer anderen Ebene. Ich weiß, ich habe bereits ein paar unvorsichtige Bemerkungen zu dem Thema fallen lassen, aber damit soll's auch gut sein. Sonst bekomme ich nicht nur Ärger mit meinen Dienerdämonenkollegen, sondern auch noch mit den höheren Höllenmächten und werde am Ende noch degradiert. Ich könnte euch da Geschichten über Oberdämonen erzählen, die am Ende als Reiniger der Höllenöfen endeten...“ Er schüttelte den Kopf und für einen Augenblick hätte man ihm die Betroffenheit beinahe abnehmen können.
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