Erfleht sie Hilfe von dir? Du würdest es nicht übers Herz bringen, das abzulehnen!“
„Nein“, flüsterte Robert.
Sie trat an ihn heran.
Brenda wollte einschreiten, aber sie konnte nicht. Wie angewurzelt stand sie da – gelähmt von der unheimlichen Hexenkraft.
Die Hexe berührte Robert an der Schläfe.
„Ich werde dir etwas von der Lebenskraft des Waldgeistes abgeben“, sagte sie. „Dann kannst du ausdauernder kämpfen und bist schwerer zu töten. Deine Chancen, die Schattenkreaturen des Schlossherrn zu besiegen und schließlich Jarmila aus der Gewalt des Namenlosen Magiers zu befreien steigen damit. Aber bedenke eines…“
„Was?“
„Wenn du das Versprechen brichst und Jarmila nicht befreist, wird diese Kraft von einem Augenblick zum nächsten aus dem deinem Körper fliehen. Und das kann lebensgefährlich sein.“ Sie kicherte in sich hinein.
Im nächsten Moment durchströmte Robert ein Gefühl der Kraft, das er bisher auf ähnliche Weise noch nie zuvor gespürt hatte. Die Kälte, die zuvor seinen Körper bereits wieder ins Mark durchdrungen hatte, war wie weggeblasen.
Die Hexe wich zurück.
„Leb wohl, mein Sohn. Und halte dein Versprechen. Sonst wird es dein Ende sein.“
Diese Teufelin! , durchfuhr es Brenda.
Anschließend trat sie an Brenda heran. „Dir werde ich nur so viel zusätzliche Kraft geben, dass du nicht zu einer Belastung wirst und du die Reisegeschwindigkeit zu sehr verminderst!“
Sie streckte die Hand aus und berührte Brenda an den Schläfen, woraufhin ein prickelnder Kraftschauer das Mädchen durchfuhr. Immerhin spürte sie jetzt die Kälte nicht mehr.
Die Hexe entfernte sich wieder. Der Bann, mit dem sie Brenda belegt hatte, war nun gebrochen. Sie hatte die Kontrolle über ihren Körper zurück und fühlte sich ausgeschlafen.
Die Hexe schnippste mit den knorrigen Fingern ihrer rechten Hand. Dann deutete sie mit dem Stock, dessen Knauf aus dem Rattenschädel gefertigt worden war, auf den größten unter den Albino-Welpen.
„Er wird euch jetzt zum Dorf führen. Da der Baumgeist jetzt nicht mehr auf euch lauert, ist das keine allzu gefahrvolle Aufgabe mehr.“ Noch einmal wandte sie sich Robert. „Enttäusch mich nicht, mein Sohn. Oder du wirst es bereuen.“
Dann verblasste ihre Gestalt plötzlich.
Sie wirkte nun wie eine schwache, durchscheinende Diaprojektion und verschwand wenige Augenblicke später völlig.
Kapitel 7: Gefrorene Gesichter
Robert und Brenda folgten dem Wolfswelpen und gelangten schließlich in eine Region des Waldes, die weniger vom Nebel betroffen war.
Der huskiegroße Albino-Wolf trottete vor ihnen her und wartete gegebenenfalls ab, wenn die beiden Jugendlichen ihm nicht schnell genug folgten.
Aber das war nicht oft der Fall, denn sowohl Robert als auch Brenda fühlten sich deutlich gekräftigt.
„Ich spüre die Kälte nicht mehr“, sagte Brenda. „Ist das jetzt nur ein Zeichen der zusätzlichen Lebenskraft, die uns die Hexe verabreicht hat?“
„Was sollte es sonst sein?“, erwiderte Robert.
„Vielleicht werden wir einfach immer mehr ein Teil dieser Welt. Lara Croft kämpft doch auch in einem hautengen, dünnen Suit in sibirischer Kälte, was normalerweise niemand auch nur eine halbe Stunde überleben würde.“
„Du meinst, dass wir uns nach und nach an die Welt von Hellgate anpassen?“
„Ja.“
„Ich fürchte, du könntest Recht haben.“
„Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass wir irgendwann – vorausgesetzt wir überleben lange genug –
vielleicht gar nicht in die Realität zurückkehren können?“ Dieser Gedanke war Robert durchaus schon gekommen, aber bislang hatte er ihn erfolgreich verdrängt. Schließlich war es in erster Linie darum gegangen, das nackte Überleben zu sichern. „Das ist doch alles Spekulation, Brenda!“
„Wir sollen der Wahrheit ins Gesicht sehen, Robert. In deinem Innersten spürst du doch auch, dass es so ist, wie ich sage. Gehen wir am besten davon aus, dass diese Welt mit ihren verqueren Regeln für uns so real ist wie unsere eigene Realität.“ Eine Pause entstand. Schließlich fragte sie vorsichtig: „Robert?“
„Ja?“
„Ich habe Angst.“
Es dauerte einen Augenblick, bis er antwortete.
„Ich auch.“ Robert sah sie an. „Aber wir schaffen es, Brenda. Auch wenn es im Moment vielleicht nicht gut aussieht.
Aber die Zuversicht sollten wir trotz all dem nicht verlieren, denn dann können wir uns gleich den Nachtkreaturen zum Fraß anbieten.“
Brenda schien weniger davon überzeugt zu sein, dass sie tatsächlich eine Chance hatten. Dennoch nickte sie.
„Wir haben wohl keine andere Wahl, als uns den Aufgaben zu stellen, die hier auf uns warten.“
„So sehe ich das auch.“
„Ich frage mich, was geschieht, wenn jetzt jemand in dein Zimmer kommt und uns da so vor dem Bildschirm sitzen sieht.“ Robert hob die Augenbrauen. „Bist du dir sicher, dass wir dort überhaupt noch sitzen?“
Sie zuckte die Schultern. „Als ich in die Zimmer kam und dich aus deinem tranceartigen Zustand herausgeholt habe, ist das Programm abgestürzt. Das wäre doch auch eine Hoffnung für uns. Deine Mutter wird doch sicher genau registrieren, dass ich euer Haus noch nicht verlassen habe und uns irgendwann mal was zu trinken anbieten, um zu kontrollieren, ob wir auch wirklich lernen…“ Sie grinste und Robert musste auch unwillkürlich schmunzeln.
„Aber das hätte doch längst geschehen müssen.“
„Die Zeit könnte in dieser Spielwelt in einem ganz anderen Tempo voranschreiten“, gab Brenda zu bedenken.
„Oder gar nicht!“ Robert deutete auf seine stehen gebliebene Uhr, deren Zeiger sich nicht bewegt hatten, seit sie das Tor zur Hölle passiert hatten.
*
Schließlich erreichten sie den Rand des Waldes.
Der Albino-Wolf wollte Robert und Brenda ganz offensichtlich nicht weiter begleiten. Er winselte und setzte sich. Eine grüne Wiese schloss sich an, auf der es nur vereinzelt noch Nebelschwaden gab. Am Himmel stand der bereits vertraute fahle Mond und in der Ferne war auf einer Anhöhe als dunkler Schattenriss die Silhouette des Schlosses zu sehen, in dem die Blutsaugenden Nachtkreaturen residierten.
Der Albino-Wolf zog sich in den Wald zurück. Nach wenigen Augenblicken war er verschwunden.
„Jetzt haben wir unser Ziel wieder klar vor Augen!“, stellte Robert fest.
„Ein einladender Ort scheint auch dieses Dorf nicht zu sein!“, glaubte Brenda mit Blick auf die düsteren Steinhäuser, die um eine verwitterte Kirche mit angrenzendem Friedhof gruppiert waren.
„Lass uns keine Zeit verlieren“, schlug Robert vor und wollte gerade losgehen, aber Brenda hielt ihn am Arm.
„Stehst du noch immer unter dem Einfluss der Hexe?“
„Brenda…“
„Ich habe Augen im Kopf. Sie hat dich auf irgendeine Weise verhext, damit du treu und brav diese Jarmila befreist! Das ist alles, worum es ihr geht.“
„Aber ich treffe meine eigenen Entscheidungen.“
„Dann sag mir, dass es dir gleichgültig ist, ob diese Jarmila im Verlies des Namenlosen Magiers verschimmelt!“
„Was soll das denn jetzt?“
„Sag es! Und versprich mir, dass wir die erste Gelegenheit nutzen, dieses Spiel zu verlassen!“
Ihre Blicke begegneten sich.
Er atmete tief durch und schluckte.
„Es ist so wie ich vermutet habe“, stellte sie fest. „Du kannst es nicht sagen, weil die Alte dich noch immer in ihrem Bann hat. Da brauchst du mir nichts zu erzählen, ein wenig habe ich schließlich auch ihre Kraft zu spüren bekommen!“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, es ist nicht so wie du denkst“, behauptete er. „Erstens wird es nach allem, was wir wissen für uns kein Zurück in die Realität geben, wenn wir nicht auf die Ebene des Namenlosen Magiers gelangen und ihn vernichten…“
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