„Red nicht so lange um den heißen Brei herum, Gnom!“, verlangte Robert. „Bring die Sache auf den Punkt!“
„Ich habe die Sache schon mal auf den Punkt gebracht – das war da draußen am Bach. Aber mir scheint, ihr habt mir vorhin nicht wirklich zugehört und die Konsequenzen verstanden…“
„Dann erkläre sie uns jetzt!“, verlangte Robert.
„Ich sprach schon einmal davon, dass es ein unverzeihlicher Fehler war, mit der Hexe einen Handel einzugehen, anstatt sie zu erschlagen, wie es eigentlich vorgesehen war!“
„Was hat diese Kirche mit der Hexe zu tun?“
„Ganz einfach. Seit die Hexe euch einen Teil der Lebenskraft des getöteten Waldgeistes eingeimpft hat, ist in euch selbst die Macht des Bösen vertreten. Nicht stark, aber stark genug, um euch den Zutritt zu gewissen Orten zu verwehren – und dazu gehört leider auch die Kirche. Und was die Häuser in diesem Dorf betrifft, so kommt es jeweils darauf an, wie stark sie gesichert sind!“
„Den Knoblauch, mit dem man mich beworfen hat, habe ich ganz gut vertragen“, erwiderte Robert.
Der Gnom lachte schallend.
Was ihn gerade in diesem Augenblick dermaßen amüsierte, war weder für Robert noch für Brenda im Moment richtig nachzuvollziehen.
Schließlich beruhigte er sich wieder.
„Der Knoblauch hat nur eine sehr begrenzte Wirkung, wie ihr feststellen werdet. Die Leute hier im Dorf überschätzen ihn maßlos….“
In diesem Augenblick fiel einer der Grabsteine um.
„Was war das?“, fragte Brenda.
„Tja, das ist ein anderes Problem, mit dem ihr noch zu kämpfen haben werdet.“
„Von welchem Problem sprichst du?“, fragte Robert.
„Nun, es gibt einige wenige, die von den Schattenkreaturen gebissen und durch das Einflößen von Vampirblut selbst zu Nachtgeschöpfen gemacht werden. Die Blutsauger nehmen sie mit auf das Schloss und zapfen sie ab und zu an. Aber die Verwandlung geht recht schell voran und wenn sie erst abgeschlossen ist, taugen die Betreffenden nicht mehr als Blutlieferanten. Bei den meisten Opfern verfahren die Nachtkreaturen jedoch anders. Sie zerreißen ihnen die Halsschlagader und saugen sie aus. Aus den Toten wird niemals ein Vampir – aber untot sind sie dennoch. Die Menschen im Dorf begraben sie, aber es ist unsicher sie in den Gräbern zu halten. Kreuze haben eine schwache Wirkung und Holzpflöcke gar keine. Übrigens ist das auch ein Grund dafür, weshalb hier im Dorf niemand nach Anbruch der Dunkelheit jemandem die Tür aufmachen würde!“
Der Gnom vollführte mehrere Saltos über Hecken und Gräber hinweg.
Schließlich sahen Robert und Brenda ihn auf einem der äußeren Grabsteine hocken.
„Lebt wohl! Und gebt euch etwas mehr Mühe, nicht so schnell getötet zu werden!“
Der Stein fiel um. Der Gnom schrie.
Einen Augenblick lang war nichts von ihm zu sehen, weil die Hecken und die anderen Grabsteine ihn überragten. Doch wenig später tauchte er auf der äußeren Friedhofsmauer wieder auf, die das Gelände mit einer Höhe von ungefähr einem Meter fünfzig umfriedete.
„Das mit dem Grabstein gerade war ich – und kein Untoter!
Also kein Grund zur Besorgnis. Übrigens ist es besser, ihr verlasst den Friedhof so schnell wie möglich. Der Geruch von lebendem Menschenfleisch lockt die Biester an. Tja, so sind sie nun mal.“
Und damit war der Gnom verschwunden.
*
„Wirklich nett von dem Kerl, dass er uns gewarnt hat!“, meinte Robert ironisch, als ein weiterer Grabstein plötzlich niederstürzte.
„Dieser Diener-Dämon will doch nur seine Wette gewinnen!“, war Brenda überzeugt.
Überall auf dem Friedhof kippten nun die Steine. Die Gräber machten alle den Eindruck, als wären sie erst vor kurzem angelegt worden. Hände, Arme, Beine und Köpfe kämpften sich aus dem Erdreich hervor. Das Geräusch von berstendem Holz war zu hören. Offenbar hatten die Untoten Kräfte, die weit über das menschliche Maß hinausgingen und problemlos in der Lage waren, auch Särge zu sprengen.
Brocken mit Erde, Steine und Pflanzen wurden in die Höhe geschleudert. Gleichzeitig erfüllten stöhnende Laute die unheimliche Stille.
„Besser, wir befolgen den Rat des Gnoms“, meinte Robert.
„Damit uns dann auf der Straße die Nachtkreaturen in aller Ruhe anvisieren und angreifen können.“ Robert seufzte.
Er blickte sich um. Die Untoten würden wohl etwas brauchen, bis sich die ersten von ihnen wirklich endgültig aus dem Erdreich heraus gegraben hatten. Hier und da waren Köpfe zu sehen. Die Betreffenden hatten furchtbare Wunden, vor allem im Halsbereich davongetragen. Wunden, die sehr wahrscheinlich durch Angriffe der Nachtkreaturen verursacht worden waren.
Brenda und Robert verließen den Friedhof.
Die schauerlichen, stöhnenden Laute, der zu einem neuen, unheimlichen Leben erwachten Toten jagte ihnen eiskalte Schauer über den Rücken.
„Was für eine perverse Welt“, murmelte Robert.
„Normalerweise dein Spielplatz, Robert!“
„Es ist ein Unterschied, ob etwas wirklich nur ein Spiel ist, aus dem jeder Beteiligte jederzeit aussteigen kann, oder so etwas wie das hier!“
Sie traten auf den Dorfplatz, der sich in unmittelbarer Nähe der Kirche und des Friedhofs befand.
Roberts besorgter Blick glitt hinauf zum Schloss. Die Schattenwesen hatten sich zu einer Formation versammelt, die einem V glich.
„Sie kommen“, flüsterte er. „Mach dich auf einiges gefasst, Brenda!“
Kapitel 9: Der Kampf gegen die Schattengeschöpfe
Schon waren die ersten von ihnen herangekommen. Robert schoss sofort seine Armbrust ab. Eine der Nachtkreaturen wurde getroffen und fiel zu Boden. Wie die anderen zuvor löste sie sich in Staub auf. Ein weiterer Blutsauger wurde von einem Pfeil getroffen. Brenda schaffte es gerade noch, einen zweiten Pfeil einzulegen und abzuschießen, der sein Ziel ebenfalls nicht verfehlte. Doch nun änderten die Bestien ihre Taktik. Sie griffen vollkommen gleichzeitig an. Je fünf von ihnen stürzten sich auf Brenda und Robert.
Robert griff nach dem Schwert. Mit der anderen Hand nahm er einen Pflock aus der Tasche, den er bereits dem ersten Angreifer in den Leib rammte.
Dann ließ er das Schwert kreisen, mit dem er eine Schattenkreatur nach der anderen besiegte. Die Kraft des Waldgeistes, die ihm durch die Hexe eingeflößt worden war, spürte er jetzt deutlich. Das Schwert schien plötzlich ohne Gewicht zu sein. Er drosch damit auf die Ungetüme ein. Aber nur dann, wenn es ihm gelang, den Kopf abzutrennen, war der Angriff auch erfolgreich und der Blutsauger zerfiel anschließend zu grauem Staub.
Brenda hatte etwas mehr Schwierigkeiten.
Aber angesichts der Tatsache, dass die Hexe ihr nicht so viel Kraft eingeflößt hatte wie Robert, war das auch logisch.
Dennoch konnte auch sie sich einigermaßen gegen die Übermacht behaupten. Die fledermausartigen Monstren umlagerten sie und versuchten immer wieder mit ihren Krallenhänden nach ihr zu greifen. Ihr Bogen wurde ihr bereits abgenommen und mit Wutgeheul zerbrochen. Offenbar hatten die Schattengeschöpfe nicht vergessen, dass die damit verschossenen Pfeile vielen von ihnen bereits die Existenz gekostet hatten.
Wild und entschlossen schlug Brenda um sich und sorgte dafür, dass die Biester auf Distanz blieben. Nur einmal gelang es ihr im Alleingang, einen der Blutsauger zu enthaupten, der daraufhin zerfiel.
Robert hatte inzwischen seine Gegner in die Flucht geschlagen oder enthauptet.
Die Schattenwesen schienen zu spüren, dass er von einer Kraft beseelt war, die ihn für sie im Moment nur schwer bezwingbar machte.
Einige von ihnen zogen sich zurück, damit ihre zerrissenen Flügel und ihre von Hieb- und Stichwunden übersäten Körper sich regenerieren konnten. Robert eilte nun Brenda zu Hilfe.
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