Roger Sligh ließ den Verkehr mit dieser Dame langsam einschlafen. Der Empfangschef fand einen anderen Partner für sie, so dass sich der Übergang ohne Schwierigkeiten vollzog.
Roger Sligh saß in seinem Schlafzimmer im Klubsessel. Es war drei Stunden nach Mitternacht. Er hatte die Stehlampe wieder angeschaltet. Vor ihm auf dem kleinen Tisch lag der Zettel: »Roger Sligh, M. D., Indian Hospital, 8 000,-.«
Er konnte das Papier vernichten. Was ging ihn sein eigener Name an! Und die lächerliche Summe. Aber leider hatte er Landis, Walker und Mrs Carson bereits wissen lassen, dass ihn der Zettel interessierte und verwunderte. Der junge und unangenehme Beamte Sidney Bighorn, vor nicht langer Zeit noch Ankläger am Stammesgericht, hatte von der Sache erfahren.
Sligh hatte auf dem Umweg über Dr. Miller, die Stationsschwester und die Patienten, die mit Joe King im gleichen Zimmer lagen, bereits erkundet, wie der Besuch Bighorns bei King verlaufen war. Sligh freute sich über diesen Verlauf. Dort wenigstens war von der verdächtigen Sache nicht die Rede gewesen.
Aber Roger Sligh hatte eine Vorladung der Polizeibehörden in New City erhalten.
Vernichtete er jetzt den Zettel?
Noch stand es ihm frei, das zu tun oder es nicht zu tun.
Wenn er das Papier vernichtete, verzichtete er selbst auf ein Beweisstück. Beweisstück wofür?
Wenn er es nicht vernichtete, konnte der Erpresser vielleicht gefasst werden. Vielleicht.
Der Verbrecher hatte sich schon lange nicht mehr gerührt. Wenn er gefasst wurde, sagte er möglicherweise aus …
Das konnte dem Burschen mehr schaden als Roger Sligh. Absolut gesehen, sicher. Relativ gesehen … Relativ gesehen war es für einen Chirurgen, der nach einer Kunstpause weiteren Ruhm erhoffte und höchstes Ansehen genießen wollte, nicht weniger bitter, in der Versenkung gesellschaftlicher Verachtung zu verschwinden, als es für einen Gauner bitter war, einige Zeit wieder einmal hinter schwedische Gardinen zu gehen.
Sligh spielte mit dem Zettel hin und her. Endlich legte er ihn in seinen großen Aschenbecher, zündete ihn mit seinem Feuerzeug an und verbrannte ihn. Er rauchte noch einige Zigaretten und mischte die Asche. Die Haushälterin würde darauf nicht aufmerksam werden. Er legte sich zu Bett, versuchte aber nicht zu schlafen, denn er wusste im Voraus, dass ein solcher Versuch aussichtslos sein würde. Er rauchte im Bett weiter und stand um sechs Uhr morgens auf.
Nach vier notwendigen Visiten, die ihm der Assistenzarzt nicht abnehmen konnte, fuhr er allein in seinem Privatwagen nach New City, um der Vorladung Folge zu leisten.
Sheriff Crawford empfing ihn.
Crawford erschien Sligh als ein in jeder Beziehung normaler Berufsmensch, nicht zu jung, nicht zu alt, vermutlich weder erschreckend intelligent noch dumm. Sechs Fuß groß, Langschädel, blond, Augen grau, gesunde Hautfarbe, besondere Kennzeichen: keine. Sligh fasste Vertrauen. Crawford schien ganz das zu sein, was der Arzt wenigstens zu scheinen wünschte: Mensch ohne Abweichungen.
»Was hatte es doch mit diesem Zettel auf sich, Dr. Sligh, der in den letzten Ausscheidungen des Patienten Joe King vor der Operation gefunden wurde?«
»Enthielt meinen Namen und die Angabe ›Indian Hospital‹ sowie die Zahl 8 000,-.«
»Weiter nichts?«
»Nichts.«
»Kannten Sie die Handschrift?«
»Nein.«
Sligh log. Er log aus Selbsterhaltungstrieb. Dabei war er sich bewusst, dass er künftig bei seiner Lüge bleiben musste.
Der Sheriff zog die Augenbrauen hoch.
»Nein? Kannten Sie die Handschrift nicht?«
»Nein.«
»Wie erklären Sie sich die Sache, Dr. Sligh?«
»Gar nicht.«
»Ist aber doch merkwürdig, diese Geschichte.«
»Ja, tatsächlich.«
»Was sagt denn King dazu?«
»Nichts.«
»Er muss doch eine Erklärung geben.«
»Warum muss er das? Er erinnert sich überhaupt an nichts, was zwischen dem Reservationsrodeo im Herbst vorigen Jahres und seiner Einlieferung in die Klinik Miller vor sich gegangen ist.«
»Auch nicht an seine Operation?«
»Nein.«
»Halten Sie das für menschenmöglich?«
»Bei der Art seiner Nervenverletzungen, ja. Nicht für unmöglich.«
»Hm.«
»Tja.«
»Können Sie mir den Zettel bitte vorlegen?«
»Ich besitze ihn nicht mehr.«
»Wieso nicht?«
»Ich habe ihn weggeworfen.«
»Mr Sligh!«
»Wie ich Ihnen sage.«
»Warum denn das?!«
»Warum denn nicht? Was soll ich mit meinem eigenen Namen und meiner Adresse? Völlig bedeutungslos.«
»Doch war die Art, wie Sie zu dem Zettel kamen, ungewöhnlich, und Sie selbst waren höchst erstaunt darüber.«
»Ganz natürlicherweise.«
»Und weiter?«
»Ich war sehr erstaunt, und damit hatte sich das auch.«
»Soll ich das glauben?«
»Das steht ganz bei Ihnen.«
Crawford überlegte.
Der unauffällig aussehende und unauffällig platzierte Protokollant hatte mitgeschrieben.
»Wird King die partielle Gedächtnisstörung überwinden? Wie urteilen Sie als Arzt, Mr Sligh?«
»Kann sein oder auch nicht.«
»Ich habe die Akte dieses Vorbestraften studiert. Er nutzt die Möglichkeit der Aussageverweigerung in nahezu allen seinen Verfahren. Ich halte seinen Gedächtnisschwund nur für eine neue Form der alten Taktik.«
Sligh zuckte die Achseln.
»Sie haben ihn operiert. Woher rührte der Zusammenbruch?«
»Offenbar vernachlässigte sehr üble Verbiegungen, die er beim Einsinken in einen Sumpf in Kanada erlitten hatte. Das Röntgenbild von damals liegt vor. Ich habe es mir kommen lassen.«
»Hm. Hm. Sie können mir also tatsächlich nicht weiterhelfen, Dr. Sligh?«
»Leider nicht. Da ich auch gar nicht weiß, worauf Sie eigentlich hinauswollen.«
»Das weiß ich im Augenblick selbst noch nicht genau, Dr. Sligh. Ihnen als Arzt werden auch schon solche Situationen begegnet sein. Sie finden Symptome, die nicht normal sind, und suchen weiter, um ein vollständigeres Bild zu gewinnen und die Krankheit zu diagnostizieren.«
»So fassen Sie das auf.«
»Ja.«
Sligh konnte gehen.
Er bedauerte, nicht erfahren zu haben, welche Symptome für nicht normale Zustände Mr Crawford außer dem verwunderlichen Zettel gefunden hatte.
Crawford las das Protokoll durch und wartete auf den nächsten der Vorgeladenen, in einer halben Stunde. Er wollte zunächst mit jedem allein sprechen. Vielleicht kam er doch ein Stück weiter und konnte Richter Elgin über Anhaltspunkte für einen Haftbefehl berichten. Das Verhalten Slighs hatte nicht viel, aber doch einen neuen Verdacht ergeben.
Queenie King, die Frau des Joe King, trat ein. Crawford beobachtete sie, wie sie von der Tür hin zu dem Stuhl ging, den Crawfords Handbewegung ihr anbot, und er betrachtete sie noch einige Zeit, ehe er zu fragen begann.
Die junge Indianerin war einfach angezogen. Sie bewegte und hielt sich, wie es schien, ohne Verlegenheit. Im Internat von Weißen erzogen, nicht dumm, harmonisch gewachsen, erotisch, urteilte Crawford nach den Akten und seinem Eindruck. Er war nüchtern gestimmt. Auch Mrs King wurde zum ersten Mal in der Sache vernommen.
»Mrs King, wollen Sie aussagen?«
»Ja.«
»Wann ist Ihr Mann an jenem Oktobertag von zu Hause weggefahren?«
»Morgens früh.«
»Was hatte er vor?«
»Er sagte mir nicht, wohin er fahren wollte.«
»Merkwürdig, nicht?«
»Nein, wie gewohnt.«
»Was nahmen Sie an?«
»New City.«
»Was könnte er dort vorgehabt haben?«
»Seine Schwester zu besuchen, seinen Bekannten Russell oder den Viehhändler Krader aufzusuchen, sein Jagdgewehr von Krause abzuholen – er hat dieses Jagdgewehr nach Hause mitgebracht. Die Waffe ist überprüft worden. Es waren Schüsse daraus abgegeben worden, vermutlich Probeschüsse. – Mehr weiß ich nicht zu sagen.«
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