Markus Schlagnitweit - Was würde Jesus tun

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Der Prozess währte nur kurz: Schnell landete Jesus, der „König der Juden“, als politischer Aufwiegler am Kreuz. Sein Wirken wurde als politisch hochbrisante Botschaft verstanden, als Kritik an den herrschenden sozialen und religiösen Verhältnissen. Deshalb ist sein Evangelium bis heute Basis einer politisch gefährlichen Erinnerung.
Ausgehend von ausgewählten Bibelstellen zeigen Daniela Feichtinger und Markus Schlagnitweit in unterschiedlichen Zugängen: Es gibt für Christen und Christinnen auch heute eine moralische Pflicht zu couragiertem Widerstand gegen politische Autoritäten. Gewalt, Unrecht und Machtmissbrauch, insbesondere gegenüber Schwachen und Benachteiligten, dürfen nicht schweigend und tatenlos hingenommen werden.

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Die gesellschaftlichen, religiösen und politischen Umstände sind zwar heute ganz anders als zur Zeit Jesu. Manches aus den biblischen Überlieferungen zur Person Jesu ist nicht einfach eins zu eins auf das Leben heute übertrag- bzw. anwendbar. Deshalb kann es auch keine simplen und einfach funktionierenden Antworten im Hinblick auf heutige soziale Fragen und Problemstellungen geben. Aber bedeutet konsequente christliche Jüngerschaft dann nicht trotzdem und sogar gerade deshalb, selbst unbedingt und grundsätzlich politisch zu agieren im Geist der Evangelien und in unmittelbarer Nachfolge dessen, der als politischer Aufrührer sein Leben verlor (und nach der Überzeugung seiner Anhängerschaft vielmehr gewann)? Ja, wäre umgekehrt ein entpolitisiertes Christentum, also politische Enthaltsamkeit und Neutralität, nicht geradezu ein Verrat an seiner Gründergestalt?

Freilich, die Geschichte des Christentums weiß auch von ungeheuren politischen Verirrungen in seinem Namen. Sie berichtet uns auch von politischem Religionsmissbrauch, also politischer Vereinnahmung und Instrumentalisierung der Religion zu machtpolitischen Zwecken. Dennoch ist und bleibt gerade diese Religion es ihrem Gründer schuldig, seine Botschaft und seinen Sendungsauftrag immer wieder neu auf seine aktuelle politische Relevanz hin „abzuklopfen“ und in diesem Geist neu zu formulieren – ganz im Sinne dessen, was der von den Nazis ermordete protestantische Theologe Dietrich Bonhoeffer für seine Zeit so markant formulierte und forderte: „Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen!“

Ermutigung

Das vorliegende Buch versucht – ohne Anspruch auf Systematik und Vollständigkeit – einen Dialog über die politische Relevanz der Botschaft Jesu für heutiges Christsein, exemplarisch festgemacht an ausgewählten Bibelstellen. Es möchte mehr als zum bloßen Nach-lesen anregen und ermutigen, das je eigene Christsein zu „politisieren“.

In allen Kapiteln werden zwei Stimmen in Form von kurzen Essays zu Wort kommen und miteinander in Dialog treten: die Stimme einer Bibelwissenschaftlerin, Jahrgang 1990, die erst durch das Studium zur Kirche gefunden hat und mittlerweile mit Kindern und Jugendlichen am Thema Religion arbeitet. Und die Stimme eines Priesters, Jahrgang 1962, der aufgrund biografischer Prägung von Jugend an Christsein immer als Auftrag zur Weltgestaltung verstanden hat. Der deshalb neben der Theologie auch Sozialwissenschaften studiert und neben der Seelsorge sein zweites berufliches Standbein in der Erforschung und Vermittlung der Katholischen Soziallehre gefunden hat. Diese beiden Stimmen bilden zwar keineswegs den gesamten Chor der Meinungen ab, bieten aber hoffentlich Harmonien und Kontraste, an denen sich das eigene Handeln orientieren und entflammen kann.

Das Titelbild zeigt ein Flüchtlingsboot – eine Steilvorlage für unser Buch. Denn die Tausenden von Lebensgeschichten, die in diesem Bild anklingen, sind mehr als eine „Nagelprobe“ für den christlichen Glauben. An ihnen wird das globale Ausmaß der Fragen deutlich, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen. Wir sind Teil komplexer Zusammenhänge und Wechselwirkungen, die Leid verursachen, für das wir uns kaum jemals persönlich verantworten müssen oder können. Für Christinnen und Christen hängt jedoch das Gelingen des eigenen Lebens maßgeblich daran, wie sie sich den Notleidenden dieser Welt gegenüber verhalten (vgl. Mt 25,31–46). Angesichts der Komplexität und der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellen wir uns daher die Frage: Was würde Jesus tun? Wohin weist die Botschaft des Mannes aus Galiläa, der als politischer Aufwiegler starb, obwohl mit ihm doch eigentlich das Reich Gottes anbrach?

Salz der Erde oder Ist Christsein überflüssig Mt 513 Ihr seid das Salz - фото 4

Salz der Erde

oder

Ist Christsein überflüssig?

Mt 5,13

Ihr seid das Salz der Erde.

Wenn das Salz seinen Geschmack verliert,

womit kann man es wieder salzig machen?

Es taugt zu nichts mehr, außer weggeworfen

und von den Leuten zertreten zu werden. 1

MARKUS SCHLAGNITWEIT

Christsein ist lebensnotwendig für diese Welt

Es ist Aufgabe jeder Religion, ihr spezifisches Verhältnis zu Politik und öffentlichem Leben zu bestimmen. Der moderne Versuch, Religion zur Privatsache zu erklären und damit aus dem öffentlichen Leben zu verbannen, muss sich als untauglich erweisen und scheitern, weil er ein zentrales Wesensmerkmal von Religion verkennt: Da Religion letztlich darauf abzielt, das Leben ihrer Gläubigen in irgendeiner Weise zu prägen, dieses Leben sich aber immer in sozialen Kontexten vollzieht, die den Raum des rein Privaten übersteigen, beeinflussen Religionen immer auch diese weiteren sozialen Kontexte und werden damit öffentlich. Allenfalls die freie Entscheidung, ob ein Mensch sich der einen oder anderen oder gar keiner Religion anschließt, ist dessen ureigene, persönliche Angelegenheit und zugleich ein fundamentales Menschenrecht. Diese religiöse Option selbst aber setzt jeden Menschen bereits in ein spezifisches Verhältnis zu seiner Mitwelt und zu deren Öffentlichkeit – und ist insofern auch politisch, weil ein Mensch ja gar nicht nichtpolitisch sein kann.

Auf der Suche nach einer markanten Kurzformel, welche imstande ist, das politische Wesen des Christseins auszudrücken, bin ich auf das Bildwort aus der jesuanischen Bergpredigt gestoßen: „Ihr seid das Salz der Erde.“ – Dieses Wort beschreibt zunächst selbst schon ein Beziehungsverhältnis; es heißt ja nicht einfach: „Ihr seid Salz“, sondern „Salz der Erde“.

Salz ist ein Gewürz – kein besonders raffiniertes und exotisches, sondern ein alltägliches, das wichtigste Grundgewürz. Gerade hierin liegt auch seine Besonderheit: Salz macht viele Speisen erst schmackhaft oder bringt den Eigengeschmack einer Speise oft erst zur Geltung. Wer – etwa aus gesundheitlichen Gründen – salzarm leben muss, weiß, wie schwierig Salz zu ersetzen ist. Und wer beim Kochen schon einmal das Salz vergisst, darf kaum mit dem Lob der Bekochten rechnen. Sogar Süßspeisen werden durch eine Prise Salz geschmacklich gehoben und sind dann jedenfalls mehr als nur süß. Tatsächlich gibt es praktisch keine Speise, bei der Salz – und sei es nur eine feine Prise – fehl am Platz ist. Jedenfalls hält das Bibelwort daran fest: „Ihr seid das Salz der Erde.“ „Salz der Erde sein“ meint also: Es immer und überall sein.

Heißt „immer und überall“ auch „ob gelegen oder ungelegen“? Ich möchte sagen: Geradezu zwangsläufig. Salz ist eben salzig und nicht neutral. Wenn Christsein „Salzsein“ heißt in dieser Welt, dann sollte es einerseits wohl Würze sein für diejenigen, die mit der Suppe, die sie löffeln, keine rechte Freude haben können: Für viele reicht ihre „Lebenssuppe“ ja gerade zum Dahinvegetieren und oft nicht einmal das; ihre Suppe ist bitter geworden vor Sorge oder schal vor Einsamkeit oder Eingespannt-Sein in eine Tretmühle, und die Einlage besteht aus würgenden Brocken der Angst. Vielen ist die Suppe auch fade geworden, wenn sie plötzlich merken, dass die glänzenden Fettaugen an der Oberfläche nur die Blasen täuschender Glücksverheißungen sind. Das Leben bietet vielen Menschen wenig, woran sie Geschmack und Freude finden können. Dafür zu sorgen, dass solches Leben schmackhafter wird, dass es gerne gelöffelt wird, könnte also „Salz der Erde sein“ bedeuten – und hat auf der anderen Seite einen unvermeidlichen Nebeneffekt: Es gibt immer auch Menschen und Gruppen, denen die bestehenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse gerade so, wie sie sind, hervorragend passen, denen ihre „Lebenssuppe“ also herrlich mundet. Salz der Erde sein bedeutet auf dieser Seite dann aber unvermeidlich, bereits ausreichend und hervorragend gewürzte Suppen zu versalzen – nicht mutwillig: aus Missgunst, Bosheit oder moralinsaurer Besserwisserei! Aber das Salz, das die Geschmacksverhältnisse in dieser Welt zugunsten derjenigen verändert, deren Leben nach zu wenig schmeckt, wird für die Genießer ebendieser Welt unvermeidlich ein Zuviel an Salz bedeuten. Salz ist eben nie neutral, sondern salzig und deshalb parteiisch: Zugunsten jener, denen es (noch) nicht schmeckt und zulasten jener, denen es dessen ungeachtet allzu gut geht. Und wehe, das Salz wollte geschmacksneutral sein! Es taugte dann zu nichts mehr, würde verworfen und von den Leuten zertreten – so das Bibelwort.

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