Dafür würde er noch Geld brauchen. Doch dann wäre er einer der Ersten, die mit Acrylfarbe experimentieren und vielleicht wahre Wunder zuwege bringen konnten. Wenn sie nur nicht so teuer wäre! Wenn nur mehr Menschen auf seine Kunst aufmerksam würden und den Geldbeutel ein wenig lockerer sitzen hätten!
Wenn, hätte, würde … Er seufzte und sah doch ein, dass die Zeiten für niemanden besonders rosig waren – er bildete da keine Ausnahme.
Er zog seinen hellgrauen Kittel über und malte schwungvoll ein Porträt aus dem Gedächtnis. Eckig, bunt, eng an sein großes Vorbild Picasso angelehnt und inspiriert von der Fremden, die seine Gedanken einfach nicht losließ. Für diese Werke lebte er, da durchströmte ihn ein Glücksgefühl! Jede Linie hatte etwas beinahe Erotisches an sich. Auf zu neuen Ufern! Nie Dagewesenes schaffen! Hier etwas dunkler, dort etwas heller, einen kontrastreichen Hintergrund schwungvoll auf die Leinwand bannen. Farben pur auftragen, Farben mischen – bunt für die Freude, Brauntöne für die düsteren Gedanken, mit denen er sich herumschlug. Doch alles in allem war er in diesem Moment glücklich: Malen – so zu malen, wie er es in seinem tiefsten Inneren wollte – machte ihn froh.
Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Etwas war heruntergefallen, und als er durch die Dachluke spähte, sah er eine Katze, die zu ihm hinunterschaute. Ganz entgegen seiner Gewohnheit öffnete er die Luke und ließ die Katze hinein. Warum er das tat, wusste er nicht. Es musste damit zusammenhängen, dass Katzenbilder einen immer größeren Raum bei seiner Malerei einnahmen.
Vielleicht lag es aber auch an Sól. Er hatte der Sonnengöttin katzenhafte Züge gegeben, obgleich nichts in der nordischen Mythologie darauf hindeutete, dass eine solche Verwandtschaft bestand. Doch das war seine Interpretation. Die Sonne buchstäblich als schöner Schein. Sie scheint gut zu sein, zumindest für das Leben auf der Erde. Doch sie vernichtet mit ihrem Feuer alles, was es wagt, ihr zu nahe zu kommen.
Rasch holte er den Skizzenblock, während die Farben auf der Leinwand trockneten. Die Katze tat ihm den Gefallen, sich in einer Ecke wohlig zusammenzurollen, so dass er sich mit seinem Block setzen und die rabenschwarze Schönheit mit Kohlestrichen aufs Papier bannen konnte.
Und es wurde gut. So gut, dass er danach eine kleine Leinwand bearbeitete, diesmal mit Ölfarben, von denen er noch genügend vorrätig hatte. Katze in Öl. Seine Gesichtsmuskeln verzogen sich zu einem Grinsen, das er sich selten gestattete, doch diesen Gedanken fand er amüsant. «Katze in Öl» klang wie ein Gericht.
Dann erstarb sein Grinsen wieder, denn ihm fielen die «Dachhasen» wieder ein, wie die geschlachteten Katzen genannt wurden, die man bisweilen in der Not anstelle eines Hasenbratens aß. Auch sein Vater hatte dies einmal versucht, doch Victor hatte keinen Bissen davon angerührt, weil er gesehen hatte, wie sein Vater die streunende Katze eingefangen hatte. Er hatte gehofft, ein wenig mit ihr spielen zu können, doch sie war mit einem Mal wie vom Erdboden verschluckt, und als er seinen Vater danach fragte, blieb dieser ihm eine Antwort schuldig. Das war für Victor Antwort genug gewesen.
Der Katze, die sich nun wohlig bei ihm auf dem Bett räkelte, würde dieses Schicksal hoffentlich erspart bleiben. Sie war so anmutig. Viel zu sauber und wohlgenährt für einen Streuner, fiel ihm plötzlich auf. Die Katzen seiner Kindheit waren zum großen Teil struppig und abgemagert gewesen, mit Augen ohne jeden Glanz. Diese hier wirkte, als würde sie jeden Tag nur das beste Futter erhalten, ohne darum kämpfen zu müssen.
Als hätte das Tier seine Gedanken erraten, sprang es vom Stuhl und streckte sich, lief dann zögernd einige Schritte auf ihn zu und maunzte ihn von unten herauf auffordernd an. Als er nicht reagierte, strich die Katze langsam um seine Beine. Victor seufzte, legte den Skizzenblock beiseite und sah nach, was er aus seiner Speisekammer erübrigen konnte.
«Wo kommst du denn her?», fragte er leise, als die Katze die Milch schlabberte, die er in eine flache Schale gegossen hatte.
Als hätte das Tier ihn verstanden, blickte es auf und bedachte ihn mit einem Blick, den er von seiner Mutter in Erinnerung hatte. Sie hatte ihn stets so angesehen, wenn sie fand, er solle nicht so neugierig sein.
Ein Schauder lief ihm den Rücken hinunter, und er schalt sich, nicht so albern zu sein. Seine Mutter war tot, und er glaubte nicht an Wiedergeburt. Schon gar nicht daran, dass seine Mutter in Gestalt einer Katze in seiner Küchenecke Milch trank. Das war doch zu grotesk! Was sollte sie auch von ihm wollen? Ihm eine Botschaft überbringen? Ihn beschützen? Wovor?
«Victor, du bekommst eindeutig zu wenig Schlaf!», sagte er laut zu sich selbst.
Er wusch sich, zog seinen Pyjama an und ging ins Bett, nicht ohne zuvor das Dachfenster einen Spalt offen zu lassen, damit sein schwarzer pelziger Besuch wieder hinausgelangen konnte.
Die Katze sprang mit einem Satz ans Fußende seines Bettes, rollte sich zusammen und schlief ein.
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