Johannes Grassl - Lebe. Deinen. Traum.

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In uns allen steckt eine tiefe Sehnsucht. Ein Verlangen danach, die eigene Berufung zu leben. Das Potenzial, das in uns hineingelegt wurde, zu entfalten. Doch bleibt es meistens bei den guten Absichten: Gefangen im Hamsterrad des Alltags, in Terminen, Verpflichtungen und Anforderungen verlieren wir aus den Augen, worum es eigentlich geht. Und die Berufung wird zur Sehnsucht, zum Traum, der kaum noch zu greifen ist. Zu einer leisen Stimme – die aber nie ganz zum Schweigen gebracht werden kann.

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Dieses Muster zieht sich durch, von der Schule über die Universität bis zum Berufsalltag, immer seltener unterbrochen von immer kürzer werdenden farbigen Sequenzen, die sich jedes Mal aufgrund der jeweiligen Umstände und zu erfüllenden Pflichten schnell in Luft auflösen. Die farbige Traumphase erlebt noch einmal ein kleines Zwischenhoch, als sich das Männchen verliebt, bald darauf heiratet und mit den besten Absichten, sich jetzt mehr Zeit für seine Träume und Sehnsüchte zu nehmen, eine Familie gründet – nur um wenig später festzustellen, wieder im alten Fahrwasser gelandet zu sein. Der kurz darauf geborene Sprössling erleidet schon bald das gleiche Schicksal, das Lebensmuster wird – unterschiedlich gefüllt, aber mit den gleichen Leitplanken und Treibern – von Generation zu Generation weitergereicht.

Das Pendel zwischen Arbeitsplatz und Zuhause bewegt sich im Film nun immer schneller, nimmt dem Männchen zunehmend die Luft zum Atmen und Träumen, bis es schließlich, vom Herzinfarkt getroffen, nach einem getriebenen Leben auf dem Friedhof landet. Hier endlich, leider erst, als es zu spät ist, hat das Männchen Zeit für seine Träume – die Szene wandelt sich in Farbe, der Film schließt mit zarten bunten Blumen auf dem frisch errichteten Grab. Berührt verfolgt man die Geschichte und fragt sich, was das wohl mit dem eigenen Leben zu tun haben könnte …

Was ist mein Lebensziel?

Spätestens am Ende des Lebens stellt sich die Frage, ob uns das Leben gelungen ist. Um diese einmal zufriedenstellend beantworten zu können, ist es wichtig, schon jetzt vom Ende her zu denken. Wenn wir es wagen, vom Ende her zu denken, verändern wir unseren Standort, verändert sich der Blickwinkel. Wir sind nicht mehr nur von der Fülle der gerade anstehenden Aufgaben und Herausforderungen gefangen, sondern gewinnen eine weitere Perspektive. Dadurch können wir unsere Prioritäten besser überprüfen und neu ordnen. Wie sieht mein Leben aus vom Ende her betrachtet? Was zählt wirklich?

Anhand der richtigen Fragen können wir ein Lebensziel definieren und dann entsprechend handeln. Wir erhalten einen roten Faden, an dem wir uns orientieren können, und definieren unsere Kernwerte, die unserem Leben Sinn verleihen. Das hilft uns, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Herausforderung besteht darin, dass es zahlreiche verschiedene Lebensbereiche und jede Menge Aufgaben und Erwartungshaltungen gibt, wir aber nur über ein begrenztes Maß an Zeit und persönlichen Ressourcen verfügen. Wohinein also investiere ich mich, und wie verteile ich meine Ressourcen auf meine Lebensbereiche? Das Ziel muss die Strategie bestimmen.

Die Lebensstrategie hilft uns zu klären, wohinein wir unsere Ressourcen wie Zeit, Talente und Energie investieren. Das ist nicht kompliziert, sondern viel einfacher, als es vielleicht zunächst den Anschein macht. Es beginnt schlicht und einfach damit, sich selbst einmal die Frage zu stellen: Was ist mir wirklich wichtig? Das ist eine völlig ergebnisoffene Frage. Es gibt keine fertigen Antworten, jede Persönlichkeit und Lebenssituation ist individuell, und wir sollten uns in dieser wichtigen Fragestellung auch nichts von außen überstülpen lassen. Wichtig ist, für sich persönlich die Prioritäten zu klären. Die richtigen Fragen helfen uns dabei, sie öffnen unser Denken und lassen uns ein Ziel erkennen.

Als Berufseinsteiger könnte man sich beispielsweise fragen: Wie will ich leben? Auf welche Werte baue ich? Welchen Stellenwert soll meine berufliche Karriere einnehmen? Welchen Preis bin ich bereit, dafür zu bezahlen? Wie führe ich ein glückliches Familienleben?

Als Leistungsträger in beruflicher Verantwortung könnte man sich fragen: Wie beurteile ich meinen ganzheitlichen Lebenserfolg? Wie gelingt mir das Spannungsfeld Beruf und Familie? Wie kann ich mir, in meiner heutigen Situation und innerhalb des bestehenden Kontextes, zusätzlichen Freiraum für neue Träume, Hobbys, meine Familie schaffen?

In fortgeschrittenem Alter stellt sich die Frage: Was habe ich vor mit dem Rest meines Lebens? Was blieb bisher auf der Strecke – und gibt es Wege, das wiederzubeleben?

Eine Auseinandersetzung mit und Klärung dieser elementaren Fragen liegt eigentlich auf der Hand, ist im wirklichen Leben aber alles andere als selbstverständlich. Clayton M. Christensen, Unternehmer und Professor an der renommierten Harvard Business School , schreibt: „Ich finde es erschreckend, dass sich so viele der neunhundert Studenten, die die Harvard Business School Jahr für Jahr aus den besten Kandidaten der Welt auswählt, so wenig Gedanken über den Sinn ihres Lebens gemacht haben.“3

Auch in meiner eigenen Arbeit mit Führungskräften, in Seminaren und Coachings, stelle ich immer wieder fest, dass wir uns zu wenig Gedanken darüber machen, was uns wirklich wichtig ist. Wenn ich gestandenen Unternehmern und Führungskräften die Frage stelle, was das Wichtigste in ihrem Leben sei, haben die allermeisten ziemliche Schwierigkeiten, darauf eine schlüssige Antwort zu geben. Der Grund dafür ist, dass diese Fragen nicht ausreichend reflektiert worden sind. Ich denke, das hat mit einem Dilemma zu tun, das uns den Blick für das große Ganze unseres Lebens vernebelt: Selbstopferung. Im Spannungsfeld zwischen äußeren Aufgaben und Erwartungen einerseits und den eigenen Bedürfnissen und Werten andererseits zieht zu oft Letzteres den Kürzeren. Wenn wir in einen Engpass kommen – zum Beispiel die Wahl, uns ein seit Langem blockiertes freies Wochenende zu gönnen oder diese Zeit doch wieder zur Abarbeitung eines plötzlich aufgetretenen Problems einzusetzen –, machen wir zuerst Abstriche bei uns selbst. Auf dem Altar der Selbstaufopferung nehmen wir nur zu gerne Platz. Nach außen scheint das heldenhaft und verantwortungsvoll, ist aber gefährlich, weil wir aus den Augen verlieren, was wirklich zählt in unserem Leben.

Der Vergleich zur Wirtschaftswelt sei erlaubt: Jeder Geschäftsführer oder Vorstandsvorsitzende muss über die Ziele seiner Firma sowie die Strategien, diese zu erreichen, informiert sein. Andernfalls kann er das Unternehmen nicht leiten und ist fehl am Platz. Was im Geschäftsleben selbstverständlich ist, übersehen viele Leute – darunter auch häufig im Geschäft erfolgreiche – für ihr persönliches Leben. Wie ein Bildhauer immer wieder den Schritt zurück braucht, um das große Ganze seines Werkes in Augenschein zu nehmen, brauchen auch wir immer wieder den Schritt zurück aus unseren täglichen Herausforderungen, um das große Ganze unseres Lebens zu sehen. Hilfreich ist, sich immer wieder einmal Zeitfenster zu nehmen – einen Spaziergang, einen ruhigen Abend oder einmal einen ganzen Tag –, um diese Fragen zu klären, das persönliche Leben neu auszurichten und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Wirklich wichtig im Leben ist im Endeffekt nur das, was vom Ende her betrachtet noch zählt.

Fragen zur Selbstreflexion

Wie sieht mein Leben aus, wenn ich es vom Ende her denke?

Was soll einmal auf meinem Grabstein stehen?

Wie beurteile ich ganzheitlichen Lebenserfolg?

Wo schlage ich falsche Wege ein?

Das Beispiel Eugene O´Kelly

Warum ist es so schwierig, sich einmal selbst diese einfache

Frage zu stellen: Warum tue ich, was ich tue?

Eugene O‘ Kelly

Eugene O`Kelly war Vorsitzender der Geschäftsleitung der weltweit operierenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG . Er galt als einer der einflussreichsten Manager und führenden Finanz- und Wirtschaftsexperten in den USA. Er hatte alles, was man sich landläufig unter einem erfolgreichen Leben vorstellt: einen hervorragenden Job, der ihm viel Anerkennung brachte, eine schöne Frau und eine kleine Tochter, Status und viel Geld. Im Alter von 53 Jahren, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, ereilt ihn aus heiterem Himmel eine Diagnose, die sein ganzes Leben auf den Kopf stellen sollte: Gehirntumor, Lebenserwartung noch wenige Monate. Die Krankheit bringt ihn zum ersten Mal dazu, sein Leben wirklich zu reflektieren und die bisherige Sichtweise über Erfolg und Prioritäten auf den Prüfstand zu stellen. In den verbleibenden dreieinhalb Monaten zwischen Diagnose und Tod ordnet O´Kelly sein Leben völlig neu. In seinem Buch „Chasing Daylight“4, das er in dieser Zeit verfasst, beschreibt er, wie sich seine Lebensprioritäten angesichts der todbringenden Krankheit völlig verschieben und er zu ganz neuen Erkenntnissen darüber kommt, was ihm wirklich wichtig ist. Sein Leben bis zum Zeitpunkt der Diagnose beschreibt er so:

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