1 ...6 7 8 10 11 12 ...27 Ein junger Mann, schätzungsweise um die Fünfundzwanzig, musterte ihn verstohlen von der Seite. Shane wusste nicht, wer er war, verspürte jedoch von Anfang an eine natürliche Abneigung gegen ihn. Trotzdem wagte er den Sprung in die Offensive und ging auf ihn zu.
»Sind wir uns schon einmal begegnet? Ich habe ein furchtbar schlechtes Gedächtnis. Shane O’Brien …« Er streckte ihm die Hand entgegen. Der Mann zögerte, griff dann jedoch zu.
»Dirk Wagner. Ich bin der persönliche Assistent von Herrn Meier«, sagte er in gebrochenem Englisch. »Und nein, wir sind uns noch nicht begegnet.«
Shane verabschiedete sich höflich und zog, sobald er außer Reichweite war, eine hässliche Grimasse.
»Ja, er ist wirklich etwas unangenehm«, sagte Meinhard, die sich unbemerkt an ihn herangepirscht hatte. »Er ist ein bisschen wie Sie, finden Sie nicht?«
»Oh, ich bitte Sie! Ich habe wenigstens Stil, was man von diesem … Individuum da nicht behaupten kann.«
Sein Kommentar brachte sie zum Lachen. »Da wir uns noch nicht lange kennen, würde ich nicht so weit gehen, Sie als überheblichen Kotzbrocken zu bezeichnen …«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Shane mit schiefem Grinsen.
»Was ich eigentlich nur sagen wollte, ist, dass Sie eine ganz spezielle Art haben«, beendete Estella den unterbrochenen Satz.
»Ich nehme das mal als Kompliment. Sagen Sie, kommt es oft vor, dass Sie vor Publikum sprechen, oder war das Ihr erstes Mal?«
»Sind Sie von Geburt an so taktvoll oder üben Sie noch?«, entgegnete sie schlagfertig. Sie lernte offenbar schnell, denn das war die einzige Möglichkeit, mit Männern wie Shane umzugehen. Sie bewies Selbstbewusstsein und das gefiel ihm, zwang ihn aber, seine Taktik zu ändern.
»Die Frage war durchaus ernst gemeint«, behauptete er. »Als ich das erste Mal vor mehr als 50 Personen sprechen musste, habe ich mich jedenfalls nicht besonders wohl gefühlt. Ich glaube, seit der Grundschule hatte ich nicht mehr so gestottert.«
»Und warum sind Sie jetzt so ein viel gebuchter Redner? Ich dachte, Sie seien Wirtschaftsjournalist.«
»Bin ich auch, aber im Laufe der Zeit hat sich mein Aufgabenbereich, sagen wir mal, erweitert. Manche Unternehmen bilden sich regelrecht etwas darauf ein, wenn ich für ihre jeweiligen Projekte referiere. Ich nehme an, aus dem gleichen Grund wurde ich auch hierher bestellt. Ich soll einen Artikel verfassen, der Ihr Projekt als einzigartig und aussichtsreich verkauft, richtig? Aber eines kann ich Ihnen jetzt schon sagen: Ich verfasse nichts, was ich nicht vertreten kann. Jeder glaubt, mich manipulieren zu können, aber sobald ich dahinterkomme, schreibe ich gar nichts mehr.«
Er legte größten Wert darauf, seinen Standpunkt von Anfang an klarzustellen.
»Die Aussicht auf einen werbeträchtigen Artikel war sicherlich einer der Gründe, weshalb man Sie eingeladen hat«, sagte Estella, »aber das alleine war nicht ausschlaggebend. Sie wurden uns … empfohlen; Mr. Barthel hält große Stücke auf sie. Er spricht nur in den höchsten Tönen von Ihnen. Er sagt, Sie hätten ein gutes Gespür für interessante Stoffe und nahm an, dass das Projekt auf Ihr Interesse stoßen würde – genau wie der Rest unseres Unternehmens.«
»Der Patrick Barthel?« Shane war überrumpelt.
»Ich weiß nicht, welchen Patrick Sie meinen, aber er ist es vermutlich«, erwiderte Estella Meinhard.
»Mir war nicht bewusst, dass Mr. Barthel für Hawkes Enterprises tätig ist. Wir haben schon länger nicht mehr miteinander gesprochen. Kennen Sie ihn?«, fragte Shane nun brennend interessiert.
»Kennen? Er ist mein Onkel.«
So ein Zufall!, ging es Shane durch den Kopf.
Patrick Barthel war einer der besten Freunde seines Vaters gewesen und das, was einem Mentor am nächsten kam. Im selben Moment, in dem Shane an seinen Vater denken musste, übermannte ihn wieder die alte Trauer. Auch noch nach so vielen Jahren wurde ihm bei dem Gedanken an das, was seinem Vater zugestoßen war, ganz anders – was sich vermutlich niemals ändern würde. So hätte sein Vater nicht sterben dürfen. Nicht auf diese Weise!
Shane zwang sich, wieder an Patrick zu denken, um nicht in grauenhaften Erinnerungen zu versinken. Patrick hatte sich damals seiner angenommen, ihn in seiner Karriere gefördert und sein Interesse für Politik und zukünftige Energien bestärkt. Eine Nichte hatte er jedoch nie erwähnt. Außerdem hatten sie sich mit der Zeit auseinandergelebt, nachdem Patrick sich entschlossen hatte, ein ›geheimes Projekt‹ zu betreuen.
»Ihr Onkel … er hat mich Ihnen nie vorgestellt«, sagte Shane indigniert.
»Naja, sagen wir … unser Verhältnis war in den letzten Jahren recht angespannt«, erklärte ihm Estella. »Ich war lange Zeit indisponiert, während ich am Prototyp gearbeitet habe. Er verübelt mir immer noch, dass ich …« Sie verstummte.
Shane hatte den Eindruck, dass sie nicht die Wahrheit sagte. Ihre Worte wirkten gekünstelt, geradezu einstudiert. Außerdem: Was hatte sie mit dem Prototyp gemeint?
Shane kam sich übergangen vor. Er hatte ja nicht einmal gewusst, dass Patrick für Hawkes Enterprises arbeitete, dass sein Freund offenbar seit Jahren für eines der aussichtsreichsten Energieunternehmen schaltete und waltete. Und warum erfuhr er es ausgerechnet jetzt und auf diese beiläufige Weise?
»Entschuldigen Sie, aber was halten Sie davon, wenn wir uns heute Abend weiter unterhalten? Ich muss mich noch um die anderen Gäste kümmern«, sagte Estella, und es war unüberhörbar, dass ihr die Bahn, in die das Gespräch gelenkt worden war, nicht behagte. Sie sah Shane noch einmal kurz an und mischte sich dann unter die Gäste.
Überrumpelt starrte Shane ihr hinterher. Er fühlte sich auf einmal sehr verletzbar, ihm war, als würde die Welt im Schnelldurchlauf an ihm vorbeiziehen. Sein Kopf tat sich schwer damit, das zu verarbeiten, was er gerade erfahren hatte. Nichts wollte einen rechten Sinn ergeben. Die PECS-Anlage in der Wüste konnte er ja noch verstehen, bei der zukünftigen Freizeitanlage wurde es dann schon schwieriger; und wie Patrick an Hawkes Enterprises geraten war, blieb ihm vollends verschlossen.
Er griff nach einem weiteren Glas Champagner und leerte es in einem Zug. Der Schwindel, der ihn daraufhin erfasste, kam ihm nur allzu gelegen. Alkohol war immer ein tröstliches Pflaster.
***
Hätte ich doch bloß nichts getrunken!, kam ihm etwa zwei Stunden später die Erkenntnis, als sie in geschlossener Gruppe einen Rundgang durch die Freizeitanlagen innerhalb der Oase unternahmen. Es war heiß, sogar sehr heiß, aber unter normalen Umständen noch einigermaßen erträglich. Shane befand sich jedoch nicht in einem normalen Zustand, zumindest nicht normal in dem Sinne, wie andere es definieren würden. Für ihn war ein gewisser Alkoholpegel normal, und ›flüssiges Glück‹ konnte einem bei einer solchen Hitze leicht zum Verhängnis werden.
Blinzelnd folgte er der staunenden Gruppe über die natursteingepflasterten Wege.
»Zu ihrer Rechten präsentiere ich Ihnen unseren Schwimmteich. Bei über 150 Metern Länge können Sie hier so einige Bahnen ziehen.«
Die korpulente Geschäftsführerin führte sie bereits seit einer halben Stunde touristenmäßig herum und zeigte ihnen jeden Schlupfwinkel der Anlage. Sogar David Meier, der bisher starrköpfig auf seiner schlechten Laune beharrt hatte, taute nun allmählich auf und ließ sich sogar zu einigen lobenden Worten herab. Wie Mrs. Blinow allen ausführlich erklärte, war die künstliche Oase auf der Grundlage einer natürlichen kultiviert worden. Man hatte das Pflanzenwachstum angeregt und die Wasserstelle vergrößert, ansonsten aber nicht in die Natur eingegriffen.
Im Eingangsbereich lud Minigolf die Familien zum Spielen ein, während sich am anderen Ende eine komplette Driving Range befand. Daneben gab es drei Tennisplätze, eine Freilichtbühne für diverse Programmpunkte, eine gekachelte Poollandschaft, eine Bogenschießanlage und einen Grill- und Lagerplatz mit Berberzelten. Und das alles in der bezaubernden Landschaft exotischer Gewächse und schattenspendender Palmen.
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