»Frau Marion ist eine Zauberin, große, und unter dem Stern der Venus geboren, wissen Sie?«
»Ich glaube es Ihnen, gnädige Frau.«
Der Buick war verschwunden.
Oskar Wichmann küßte Frau Korsakoff die Hand, ehe sie an der Glastür nach dem Klingelzug griff.
Als Musas Stimme hörbar wurde, stand Wichmann schon wieder unten im Hausflur.
Sehr langsam ging der junge Mann durch die Nacht seinem Heime zu. Alles Wirkliche schien unwirklich, nach dem das Unwirkliche wirklich geworden war.
Wenn ich nun schlafe, alter Heiliger, wirst du dann deine reichen Faltengewänder ablegen und im leinenen Kittel übers Land gehen, um Anuschka zu grüßen? Ich bin müde und verwundert wie ein Kind, das mehr gesehen hat, als es noch begreifen kann. Drüben rauscht der Ahornbaum im Wind, und es ziehen wieder Wolken über den Mond. Das Haus im Garten schläft, es schläft der Trauer und dem Leid entgegen. Weißt du das, alter hölzerner Mann? Der früheste Morgen fand den Schläfer wieder wach. Noch brach kein Sonnenstrahl durch die graue Helle, als Oskar Wichmann schon an seinem Renaissance-Schreibtisch saß. Vor ihm, auf der großen saffianledernen Schreibmappe, lag das Diadem mit seinen funkelnden Diamanten. Der Betrachter kam sich vor wie jene Jünglinge in der Sage, denen sich des Nachts Zauberkammern der Unterirdischen aufgetan haben und die des Morgens, noch mit irgendeinem Zeichen in der Hand, herumirren vor nie wieder auffindbaren Türen. Wie ein solches Zeichen aus versunkenem und verbotenem Wunderreich lag die kleine Krone vor ihm. Er erinnerte sich an den Abend, an dem er sie zum erstenmal im Lichtschimmer des Schaufensters als Königin zwischen blitzenden Ringen und matten Perlenketten gesehen hatte. Das war damals gewesen, als er in das Ministerium eintrat. Die Melodien Verdis schwangen um diesen Reif. Der junge Mann sah Aida in schwarzer Spitze mit gelben Rosen und um sie die Fülle des Lichts, das sich in Kristall und auf der Politur edler Hölzer spiegelte. Er spürte wieder den herben Duft ihres Haares. Unter dem Stern der Venus war diese Frau geboren.
Anuschka hatte sie eine böse Frau genannt.
Das Herz wand sich. Über die ersten Stunden hatten ihm Anuschka und der Schlaf hinweggeholfen, aber jetzt brannte das Feuer. Die Betäubung verging, der Schmerz wurde hell wach. Musa – der Bebrillte – der Schwätzer – er ist es wert gewesen, daß du dich weggeworfen hast, Marion – daß du einen Justus Grevenhagen verraten und mit meinen Träumen gespielt hast. – Und liebst du denn jetzt diesen? Kannst du überhaupt lieben? Oder willst du dich nur mit dem Besonderen, dem Aparten, dem Auffälligen seines Daseins schmücken, wie du dich mit Grevenhagenschem Stolz und Reichtum geschmückt hast? Bist du gekommen, du Elfenblütige, um unter den Menschen zu tanzen und sie in den Schlamm und stinkenden Tang deines Sees zu ziehen?
Still, ohne Antwort, zierlich und spöttisch glitzerte das Diadem auf der Saffianmappe.
Wie war einem Fisch an dem Angelhaken zumute? Wichmann wußte es, ja, er wußte es. Aber lieber die Zunge zerreißen, als sich noch einmal herbeiziehen lassen.
Hätte er ihr’s vor die Füße geworfen!
Jetzt lag es da und glitzerte.
Was tun, Anuschka? Gehen, fortgehen, wie du gegangen bist, in eine andre Stadt, unter andre Menschen. Eine andre Arbeit tun? Man war jung, und die Kräfte waren noch unverbraucht.
Nein, Anuschka, wir sind ein Mann und wollen dies erst zu Ende bringen.
Was tat ein Gentleman an Oskar Wichmanns Stelle? Was? Ja, was? Er wollte sich nicht rächen. Nur eine Genugtuung wollte er genießen, die, daß er Marion beschämte. Es war ein Gedanke wie Balsam, Marion Grevenhagen dreißigtausend Mark zu überweisen – da – nimm das Geld, um das es dir zu tun war. Die Gedanken mochten einmal diesen Weg laufen. Wie, wenn der Assessor über Sonntag in seine Heimatstadt fuhr und den alten vornehmen Juwelier Helmbrecht aufsuchte, der mit seinem Vater bekannt gewesen war und mit dessen Kindern Oskar gespielt hatte? Ein Diadem – sehr kostbar – eine Familie ist in Verlegenheit – sie möchte den Verkauf nicht öffentlich bekannt werden lassen. Vielleicht gibt sich eine günstige Gelegenheit unter der Hand …? Ja. Und dann? Was dann? Was tat Oskar Wichmann mit einem Betrag, nun, sagen wir, von zwanzigtausend Mark? Auf das Gutskonto überweisen, auf das Konto, das Marions leichtsinnigem Bruder auch offenstand? Oder ihr selbst den Betrag überbringen? Sie noch einmal sehen – aber wo und wie, ohne bemerkt zu werden? Vielleicht ergab sich wochenlang keine Gelegenheit, und wenn sie sich ergab, durfte er dann Justus Grevenhagen noch in die Augen blicken? Der Gatte hatte das Diadem gekauft, ohne Zweifel, mit Geldern seines Vermögens. War es ehrenhaft, wenn Oskar Wichmann sich von Marion anstiften ließ, es heimlich zu verschachern? Schomburg drängte. Drängte er wirklich? War er nicht vorläufig zufrieden, nachdem er gehört hatte, daß Grevenhagens Beamteneinkünfte noch nicht angetastet waren?
Fragen, Fragen ohne Antwort.
Du bist kein guter Geist, Marion. Verwirrung begleitet dich. Felonie, Felonie …
Oskar Wichmann hätte noch einmal fünf Jahre alt sein mögen, heimlich heulen wie ein trotziger Junge und die Tränen abwischen, ehe die Mutter sie sah, die ja doch alles wußte.
Dirne.
Wichmann faßte das Schmuckstück an wie Nesseln. Er packte es hastig ein und verschloß es in dem mittleren Fach des kleinen Schranks, zu dem er den Sicherheitsschlüssel besaß und in dem er auch einiges Wertvolle aus eigenem Besitz aufzubewahren pflegte.
Nun konnte sie ihn des Diebstahls bezichtigen! Warum denn nicht. Die Haussuchung entlarvte ihn als Verbrecher. Draußen war die Sonne aufgegangen, die Strahlen spielten am Fenster. Wichmann sehnte sich nach der Ruhe, der weltüberwindenden Stimmung des vergangenen Abends. Anuschka hatte sie ihm gegeben. Aus eigener Kraft vermochte er sie nicht wiederherzustellen. Sie war dahin. Widerwärtige Eifersucht bedrängte ihn, sein Gefühl wurde zu einem brodelnden Kessel mit häßlichen Blasen. Er haßte sich und das Weib; er haßte den Dienst, in dem er dem Namen Grevenhagen wieder begegnen mußte. Du hast recht gehabt, Anuschka, ein böser Käfer hat sich in meine Knochen gefressen, und nun wühlt er. Nichts mehr ist heiter und rein.
Assessor Dr. Wichmann kam an diesem Tag um halb acht Uhr mit den Amtsboten zum Dienst. Aber auch die Fäden der Arbeit wollten sich ihm nicht ordnen, und sein ›Wi‹ hatte einen zerfahrenen Zug. Ein unsichtbarer Angelhaken reichte bis in das Ministerium. Die Gedanken drehten und wanden sich. Marion hätte diesen Platinreif Schomburg unmittelbar als Pfand für seine Forderungen geben können. Warum denn die Umwege? Hatte sie gehofft, aus Wichmann einen höheren Betrag herauszuziehen? Allerdings, gnädige Frau, ein Verehrer, der ohne Umschweife zwanzigtausend Mark auf den Tisch gelegt hat, der besitzt wohl hunderttausend oder zweihunderttausend nach Ihrer Rechnung. Irrtum, Marion, es gibt Menschen, die bereit sind, alles zu schenken, wenn sie lieben, die alles schenkten, wenn sie liebten – es war einmal. Nimm dein Platin wieder, du kannst es ja jetzt mit Schomburg versuchen. »Wir sind mit Schomburg in großen Schwierigkeiten«? Wir? Wer? Marion und ihr Bruder Luftikus? Oder Marion und ihr Gatte? Alles blieb offen. Warum sprach Schomburg nicht mit Grevenhagen selbst? Warum wählte er die Hintertüren für seine Erkundigungen? Hatte er etwas zu verbergen? Hatte er den Gatten zu scheuen? Auch er?
Pfui, Wichmann. Wohin bist du geraten.
Nein – was hast du dir schon vorzuwerfen? Gedanken – Träume – keine Sünden, die die Welt faßt. Einmal hatten ihre Hände an seinen Wangen gelegen, einmal hatte ihr Kopf an seiner Schulter gelehnt. Ich habe dich nie geküßt, Marion. Warum muß in einem schönen Körper nicht auch eine schöne Seele wohnen? Wie du die Zigarette hieltest, Marion – ich hätte dich getötet, wenn ich nicht ein Feigling wäre.
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