1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 „Mein goldiges Stück …“, so spricht sie den großen Spiegel an, während sie mit ihren spitzen Erdbeer-Fingernägeln seine seitliche Goldeinrahmung streichelt. „Ich habe dich besonders gerne, weil du mir immer deine voll erblühte Rose offenbarst!“
Und jetzt fährt sie besonders liebevoll über die an dieser Stelle ein wenig erhabenere Schnitzarbeit.
„Du blühst zwar nicht in den wunderbarsten Farbnuancen, wie deine Schicksalsgenossen dort draußen, und auch dein Duft entbehrt jeder Romantik, aber du bist verlässlich immer für mich da. Ja, in deiner Geburtsurkunde steht: Barockstück aus dem 18. Jahrhundert. Dein Geburtsort ist Bologna! Und in deiner Girlande, die sich wie eine Blumenranke von der einen bis zur anderen Seite erstreckt, ist eine Shakespeare-Weisheit verewigt, die besagt: Kein hübsch Weib hatte je ein Gesicht ohne Falsch!“
Teils verschmitzt, teils verdrießlich richtet sie nun ihre Maßregelung an den großen Meister: „William, welch’ eine Schmähung allem weiblichen Geschlecht gegenüber! Spricht daraus nicht Ihre eigene Erkenntnis? Aber …“, sie stutzt milde lächelnd, „vielleicht steckt in dieser Weisheit doch ein Fünkchen Wahrheit?“ Lady Ethel betrachtet die Falten auf ihrer Stirn. Ihr von strahlendem Glanz leuchtendes Gegenüber verdeckt nicht die kleinste Runzel ihres Gesichtes und des Halses – schonungslos bringt es sogar jeden Pickel ans Tageslicht, vorausgesetzt, dass er auch ohne Monokel für ein an Sehkraft geschwächtes Auge erkennbar ist. „Ja, mein Lieber …“, und jetzt ist ihr William, auch der ‚Shakespeare‘ genannt, wieder gemeint, „… ich will mich mit dir versöhnen und nicht mehr meinen Schmollmund aufsetzen. Damengesichter ohne Falsch, da werden Sie, verehrter Dichter recht haben, laufen nur selten über Gottes schöne Erde! Aber Männer ohne Falsch, sie kann man gewiss auch zählen! Wer …“, und da wendet sie sich wieder an den goldumrandeten Spiegel, „wer mag sich hier schon alles an Dämlichkeiten seiner Schönheit versichert haben? Oder wer mag sich gar der Ernüchterung gebeugt haben, dass es mit seiner Schönheit nicht zum Besten bestellt ist? Wie viele betagte Damen haben hier eine Träne oder gar einen ganzen Tränenbach vergossen und im Lauf der Zeit ihrer verblichenen Anmut nachgetrauert? Du allein weißt es und verstummst! Oder handelst du nach der Devise: Da schweigt des Sängers Höflichkeit? Höflichkeit hin – Höflichkeit her! Warum verrätst du uns nicht dein Geheimnis? Oder glauben Sie gar …“, jetzt ist der verehrte, längst verblichene Spiegelspruch-Meister wieder angesprochen, „… dass das Falsch sich nur auf unsichtbare weniger liebenswürdige dämliche Seelenzustände bezieht? Da mögen Sie vielleicht auch ein klein wenig recht haben, sind aber die Herren als Krone der Schöpfung …“, ein leichtes Räuspern bleibt nicht aus, „… sind sie nicht ebenso dem Fluch der Vergänglichkeit und der Bruchstückhaftigkeit ausgesetzt? Zwar zeichnet sich diese Sorte Mensch gewöhnlich nicht durch übermäßige Spiegelbetrachtungsprozeduren aus und scheint vor Creme-Tüpfelchen-Auftragen gefeiter zu sein als ihr Pendant, eine Versicherung allerdings, ob mit dem Bart beziehungsweise seiner gewünschten Abwesenheit alles in bester Ordnung sei, mag auch für manchen Gentleman eine Beruhigung gewesen sein.“
Lady Ethel muss schmunzeln, als sie vor ihrem argwöhnischen Gegenüber feststellen muss, dass sie mit einem Lächeln auf den Lippen weitaus attraktiver aussieht als mit ihren Sorgenfalten auf der Stirn. Rituale schenken Geborgenheit. ‚Mein Seelentröster-Ritual‘ nennt Lady Ethel die kurze Zeit, die sie jetzt nicht mehr auf den Knien verbringt, weil dieses verflixte Ziehen und Stechen bei jeder kleinsten Kniereibung auf dem Fußschemel sie in ihrer morgendlichen Andacht ziemlich gestört hatte. „Ein klein wenig Pein bringe ich meinem Erlöser gerne als Opfergabe dar!“
So dachte und sprach sie zunächst, als sie auf den Knien vor dem Messingkreuz auf ihrer Kommode auf den Knien hin- und her rutschte, ehe sie sich zu der Erkenntnis durchrang, dass ihr Herrgott schon genug Opfer für sie und für alle Gläubigen erbracht habe, so dass sie sich keine blutende Knie mehr zu holen bräuchte, um vor Gott als gerecht dazustehen. Und von diesem Moment an setzt sie sich nun allmorgendlich auf einen weichen Lehnstuhl, den Blick auf das Messingkreuz gerichtet, wobei sie ihrem himmlischen Vater dafür dankt, dass sie Ihn, nun so schön behaglich, ohne Schmerzen erleiden zu müssen, anbeten darf. Das uralte Gebet, das sie ein wenig verschlankt hat, ohne ein schlechtes Gewissen dabei zu haben, denn wie sollte das eine Sünde sein, sich auf das Wesentliche ihres Glaubens zu besinnen? Und ohne es sich selbst und den anderen einzugestehen, schnuppert sie bereits den herrlich frischen Kaffeeduft aus der Küche, das köstliche Aroma der lebenspendenden Bohnen, die Mrs. Smith, ihre treue Perle, zuvor frisch gemahlen und mit kochend heißem Wasser überbrüht hat. Und jeden Morgen hofft sie erneut, dass der Duft sich, bitteschön, bis zum Ende des Gebetes Zeit nehmen möge, ehe er gedenkt, durch die Ritze der Tür in ihre Nase zu ziehen und ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt.
„Ich stehe auf in Gottes Kraft. Ich stehe auf in Christi Segen. So behüte mich Gott, die allerheiligste Dreifaltigkeit, die mich aus Nichts erschaffen hat, es behüte mich Gott, der Sohn, der mich mit seinem rosafarbenen Blut erlöset hat. Es behüte mich Gott der Heilige Geist, der mich …“
(Was klirrt da nebenan? Verzeihung, lieber Gott, immer diese unpassenden Gedanken zwischendurch!)
Lady Ethel hält kurz im Gebet inne und danach geht einfach alles ein wenig schneller als gewöhnlich, ja, im Sauseschritt, ohne, dass sie es bewusst steuert, diesen rituellen Gebetsfluss; er strömt dem Ende entgegen, ohne dass sie ihn aufhalten kann. (Neugierde, dein Name ist Weib! Wer hat das noch gesagt? Warum belästigen mich immer wieder diese Störenfriede?) Sie fährt fort! (Von diesen Bösewichtern lasse ich mich doch nicht unterkriegen!)
„… in der Heiligen Taufe geheiligt hat. Gott, dem Vater ergeb’ ich mich! Gott, der Heilige Geist, unterweise mich! Maria, Mutter Gottes, stehe für mich! Alle heiligen Engel beschirmet mich!“
Lady Ethels Hand bewegt sich schließlich noch purzelbaumartig im Kreis, beim hastigen Kreuzzeichenmachen, bevor sie die Türe zum Wohnraum zu öffnen versucht. Bei diesem Vorhaben knacken allerdings hörbar ihre Knochen, so dass sie mit der verpatzten Kreuzhand sogleich ihr eigenes Kreuz abzustützen sucht, denn eine zu eng geschnürte Gürtelschnalle beeinträchtigt sie in ihrer Beweglichkeit.
„Ach, du mein Gott …!“, entfährt es ihr beim Herunterdrücken der Klinke, „… auch das noch …?“ So schnell wie das Wehwehchen gekommen war, so schnell hat es allerdings auch wieder Reißaus genommen, als ihr eine strahlende Frau entgegen lacht, die gerade den dampfenden Kaffee in zwei goldverschnörkelte Tassen eingießt. „Wenn der Himmel uns dereinst solche wunderbaren Düfte bescheren sollte, dann kann ich’s kaum erwarten, zur Himmelspforte zu gelangen!“, ruft die Großmutter, wie ein Honigkuchenpferd strahlend zu ihrer Enkelin. „Was für ein Duft-Potpourri! Rosen, Kaffee, Quitten!“
Adelaine trägt an diesem Morgen eine spitzenbesetzte weiße Bluse, weil heute ein alter Herr mit ihnen zusammen dinieren wird, einer der Sorte Mensch, der besonderen Wert auf Etikette legt. Dieser Tatsache gebührend Rechnung zu tragen, das hatte ihr die Großmutter schon vor Tagen ans Herz gelegt. „Onkel Jacob liebt frische Muscheln! Und die soll er auch bekommen!“, lässt sie ihre Enkeltochter wissen, die sich gerade ihre Scheibe Weißbrot dick buttert, um anschließend einen Berg des köstlichen Quittengelees darauf zu verteilen. „Betrachte dir diese butterfarbigen Wildrosen! Dieses Farbenspiel, ist es nicht ein Gedicht?“ Und während Großmutters Augen sich an ihrem Gartenschatz nicht sattsehen können, an diesem Blumenschmuck, der seine schweren, doppelt gefüllten Blüten tief, fast bis auf die weiße Leinendecke, eine besonders edle von besagter Dutzend-Sorte, herunterschweben lässt, da flüstert die alte Lady ihrer Enkelin zu: „Jetzt schlägt’s aber dreizehn! Thema ‚Hochzeit‘ ist angesagt!“
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