„Nun komm schon!“, forderte die Frau sie auf, „Komm näher! Mach das Kästchen ruhig mal auf und schau dir an, was darin ist“. Vorsichtig trat das Mädchen etwas näher und besah sich das Kästchen ganz genau. Zuerst zögerte sie, aber dann berührte sie es vorsichtig mit den Fingerspitzen. Das Kästchen fühlte sich ganz normal an. Langsam hob sie den Deckel an.
Verwundert schaute sie auf den Inhalt. Es lag ein einziges, in altes, abgeschabtes Leder gebundenes Buch darin. Kein Titel war zu erkennen. Und das merkwürdigste war: das Leder schien zu leuchten, in ständig wechselnden Farben. „Seltsam“, dachte Lisa, „solch ein Buch habe ich ja noch nie gesehen“. Sie konnte sich auch nicht erinnern, bei Onkel Heinrich etwas Ähnliches gesehen zu haben. Und der hatte schon merkwürdige Sachen.
„Nun, Kleine, wie heißt du denn?“ Lisa erschrak, als die Alte sie wieder ansprach.
„Äh, ich heiße Lisa, und ich bin mit meinem Onkel hier, der ein paar Sachen verkaufen will.“
„Ja ja, Lisa, ich weiß, wer du bist“, sagte sie geheimnisvoll. „Ich sehe, dass dir dieses Buch gefällt. Es sieht so aus, als sei es für dich gemacht.“ „Für mich? Wie kann das sein? Sie kennen mich doch gar nicht", meinte Lisa verwundert.
„Ich weiß mehr über dich, als du denkst. Gefällt dir das Buch?“ Die Alte schaute sie auffordernd an.
„O ja", nickte Lisa. „Das ist ein sehr schönes Buch. Und es sieht irgendwie geheimnisvoll aus. Was hat es denn damit für eine Bewandtnis?“ „Das, liebe Lisa, musst Du selbst herausfinden“, sagte die Alte in einem merkwürdigen Tonfall, „Dieses Buch umgibt ein Geheimnis, das vielleicht nur du lösen kannst.“
Lisa merkte, wie sie den Blick kaum von dem Buch abwenden konnte. Irgendetwas daran schien sie magisch anzuziehen. Sie musste dieses Buch unbedingt haben.
„Es ist sicher zu teuer für mich, was soll es denn kosten?“, fragte Lisa und schaute sich um, ob sie nicht Onkel Heinrich irgendwo entdecken konnte. Aber von hier aus war sein Stand nicht zu sehen.
Dann drehte sie sich wieder zu der Frau um – und bekam einen Riesenschreck. Die alte Frau war verschwunden. Einfach weg! Lisa sah sich um und betrachtete genau die Umgebung. Komisch, dachte sie, wo konnte sie nur so schnell hin verschwunden sein? Bis zum Waldrand waren es noch ein paar Meter. Dorthin konnte sie in der kurzen Zeit aber nicht gelangt sein, um sich zu verstecken.
Schon merkwürdig, in der einen Sekunde, als sie sich umsah, um Onkel Heinrich zu entdecken, war die Frau verschwunden. Lisa fand einfach keine Erklärung. Das Kästchen allerdings war noch da. Und plötzlich lag da auch ein Zettel auf dem Buch. Darauf stand:
Liebe Lisa, ich habe auf dich gewartet. Denn du
bist es, die dieses Buch besitzen soll. Nimm das
Kästchen mit dem Buch ruhig an dich, es soll
dir gehören.
Damit endete die Notiz. Mit klopfendem Herzen schloss Lisa den Deckel und schaute sich noch einmal genau um, ob sie die alte Frau nicht doch noch irgendwo entdecken könnte. Doch es gab keine Spur von ihr.
Kopfschüttelnd nahm sie das Kästchen, wandte sich um, und lief zurück. Allerdings nicht zum Stand von Onkel Heinrich, sondern erst einmal direkt zu seinem Auto. Hier schob sie das Kästchen unten hinter den Beifahrersitz. Sie wollte nicht, dass Onkel Heinrich es sah. Es sollte ganz allein ihr Geheimnis sein.
Als sie an den Stand ihres Onkels zurückkam, da hatte dieser schon eine Menge Sachen verkauft: „Da staunst du, was? Bis auf ein paar Kleinigkeiten bin ich fast alles losgeworden. Hey, wo bist du denn gewesen? Das muss ja ziemlich interessant sein für dich – hier auf dem Flohmarkt. Hast du etwas Schönes entdeckt? Wenn Du willst, können wir noch ein Eis essen gehen und dann fahren wir wieder heim.“
Der Flohmarkt hatte Onkel Heinrich sichtlich gut getan, denn die Worte sprudelten, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, nur so aus ihm heraus. Lisa war noch ganz benommen von ihrem Erlebnis mit der alten Frau, aber zu einem Eis konnte sie natürlich nicht nein sagen.
In der Eisdiele und auch später auf der Heimfahrt war Lisa ziemlich einsilbig. Ihr Onkel schien davon allerdings nichts zu merken und summte irgendeine schräge Melodie vor sich hin. Lisa aber war mit ihren Gedanken ständig bei dem Buch, das hinter ihr auf dem Boden lag. Sie beschloss, das Kästchen erst zu öffnen, wenn sie wieder bei sich zuhause in ihrem Zimmer war.
Am nächsten Tag kam die Mutter sie wieder abholen. „Na, mein Schatz, hat es dir gefallen? Was habt ihr denn so gemacht?“ – „Ach, Onkel Heinrich war ja meistens sehr beschäftigt, und da habe ich einfach sein Haus von oben bis unten durchstöbert. Und stell dir vor, gestern waren wir auf einem Flohmarkt. Das war vielleicht aufregend.“
Und sie erzählte der Mutter, was für kuriose Sachen die Menschen dort loswerden wollten. Dann war es Zeit, sich von Onkel Heinrich zu verabschieden. Sie umarmten sich noch einmal und Lisa versprach, ihn bald wieder zu besuchen.
Auf der Heimfahrt war sie ziemlich einsilbig, sodass ihre Mutter besorgt fragte, ob ihr nicht gut sei. „Ne, ne, alles in Butter. Ich muss nur so viel an die drei Tage bei Onkel Heinrich denken. Es war wieder so schön. Mama, wenn wir aus dem Urlaub kommen, möchte ich wieder hin, und dann kann ich ihm von unserem Urlaub erzählen.“
Zuhause angekommen, wartete der Vater schon auf sie, denn die Eltern mussten noch einmal fort in die Stadt. In drei Stunden würden sie zurückkommen.
„Wir nehmen auch das Handy mit. Weil unser normales Telefon im Moment nicht funktioniert, kannst du uns also nicht erreichen. Also denk bitte daran: bleib hier im Haus und lass niemanden rein." Und dann bekam Lisa wieder die Ermahnung, die sie schon von klein auf ständig hörte: „Du darfst auf keinen Fall allein in den Wald gehen. Auf gar keinen Fall, hörst Du? Ganz egal, was passiert!“
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