Onkel Heinrich lebte ganz allein in einem ziemlich alten Haus, das vollgestopft war mit vielen interessanten und geheimnisvollen Sachen. In fast jedem Zimmer gab es Regale, in denen sich Bücher und merkwürdige Gegenstände stapelten, die er von seinen vielen Reisen mitgebracht hatte.
Sogar im Klo lagen jede Menge Comics rum. Der Leseratte Lisa kam das natürlich gerade recht. Außerdem gab es bei Onkel Heinrich kaum Vorschriften, an die man sich halten musste. Sie konnte aufbleiben, solange sie wollte und fernsehen, bis ihr die Augen zufielen. Dann kam Onkel Heinrich, nahm sie behutsam auf die Arme und brachte sie zu Bett.
Beim Essen hatten beide ziemlich den gleichen Geschmack. Und so gab es dann auch sehr oft ihr Lieblingsgericht: Currywurst mit Pommes. Das Frühstück bestand meist aus Brötchen mit Nutella. Na ja, nicht unbedingt die gesündesten Sachen, aber in den Ferien konnte man es sich schon mal ausnahmsweise erlauben.
Nun war Lisa also mit ihrer Mutter unterwegs zu Onkel Heinrich. Die Fahrt dauerte nicht sehr lange, denn er wohnte ganz in der Nähe. Als die beiden ankamen, stand er schon am Gartentor. Ein ziemlich kleiner Mann mit einer silbernen Löwenmähne, die immer ein bisschen verstrubbelt aussah. Er hatte ein freundliches Gesicht und verschmitzt funkelnde Augen, die von vielen kleinen Lachfältchen umrahmt wurden.
Lisa kannte ihn nicht anders, als mit seiner alten ausgebeulten braunen Cordhose und einem nicht gerade dazu passenden bunten Pulli. Aber Mode war für Onkel Heinrich offenbar ein Fremdwort. Immer wenn Lisa ihn besuchte, blühte er förmlich auf, denn sie brachte immer viel Leben in das alte Haus. Nach einer kurzen aber herzlichen Begrüßung gingen sie erst einmal ins Haus. Dort trank die Mama noch ein Glas Saft und verabschiedete sich dann: natürlich nicht, ohne Lisa noch ein paar total überflüssige Verhaltensregeln aufzuzählen. Aber die hörte da natürlich nur noch mit halbem Ohr hin.
Das Häuschen von Onkel Heinrich stand am Rand des Ortes in einem parkähnlichen Garten. Lisa kannte das Haus und auch den Garten, und nachdem sie mit Onkel Heinrichs Hilfe ihr Gepäck hineingetragen hatte, machte sie erst einmal einen Streifzug durch das ganze Anwesen. Viel hatte sich seit ihrem letzten Aufenthalt nicht verändert, und das lag daran, dass Onkel Heinrich das Anwesen so ziemlich sich selbst überließ. Einen grünen Daumen hatte er wohl nicht, aber das war für den Garten offenbar auch gut so. Denn der wuchs gerade so, wie es ihm gefiel. Und so machten Haus und Garten einen verwunschenen, geheimnisvollen Eindruck.
2. Warum sind die Bananen krumm?
Nachdem Lisa wieder ins Haus zurückgegangen war, suchte sie nach Onkel Heinrich. Sie wusste auch schon, wo sie mit der Suche beginne konnte, denn es gab einen Raum, in dem er sich meistens aufhielt. Das war sein Arbeitszimmer, oder zumindest das, was er dafür hielt. Und wie so oft war der Onkel mit irgendetwas beschäftigt. Als Lisa ins Zimmer kam, saß er, ihr den Rücken zugewandt, an seinem Schreibtisch am Fenster.
„Du, Onkel Heinrich, bei dir hat sich n der Zwischenzeit ja überhaupt nichts geändert. Sag mal, woran arbeitest du denn gerade?“ – „Äh, was?“ Onkel Heinrich war mal wieder sehr zerstreut. Er ging nämlich schon seit Wochen der überaus spannenden Frage nach, warum denn wohl die Bananen krumm sind. Dazu hatte er vor sich eine Reihe Blumentöpfe stehen.
Als Lisa genauer hinsah, konnte sie erkennen, dass kleine grüne Pflänzchen darin wuchsen. Onkel Heinrich war felsenfest überzeugt, er müsste ihnen nur beim Wachsen zusehen, und dann würde er ganz genau das Krummwerden beobachten. Lisa konnte da nur den Kopf schütteln.
„Meine Güte, da musst du ja noch Monate warten. Ist denn diese Frage nicht längst beantwortet?“ Onkel Heinrich grummelte nur irgendetwas vor sich hin und dann hatte er Lisa bereits wieder vergessen. Die machte sich jetzt erst einmal über die Bücherschätze von Onkel Heinrich her. Außerdem gab es noch so viel anderes zu entdecken. Die Zeit verging wie im Flug.
Am nächsten Tag – die beiden hatten gerade mit Genuss ihre Nutella-Brötchen verdrückt – wollte Onkel Heinrich sich schon wieder in sein Arbeitszimmer zurückziehen. Lisa war das allerdings gar nicht recht: „Hey, was meinst du, sollten wir nicht mal was unternehmen? Dir würde es auch gut tun, mal aus dem Haus zu kommen.“
Onkel Heinrich schaute sie sinnend an, dann lächelte er. „Das ist ja eine gute Idee. Mir fällt nämlich gerade ein, dass ich hier mal wieder Platz schaffen müsste. Demnächst bin ich wieder unterwegs und wer weiß, was für tolle Sachen ich dann mitbringe. Was hältst du davon, dass wir einiges auf dem Flohmarkt verkaufen?“ Lisa fand das sehr spannend. Es war schon ziemlich lange her, dass sie auf einem Flohmarkt war.
Zusammen streiften sie durch das Haus und luden dann eine Menge Sachen ins Auto.
Auf dem Flohmarkt war schon sehr viel los. Lisa half ihrem Onkel, den Stand aufzubauen. Und dann wollte sie erst einmal erkunden, was es hier alles für tolle Sachen gab. Schon merkwürdig, was die Leute da alles verkaufen wollten.
An einem Stand entdeckte Lisa auf einem Tisch lauter Einweckgläser, solche mit einem Deckel und einem roten Gummiring. In allen Gläsern war irgendetwas drin, in einem sogar ein altes Gebiss, an dem die beiden oberen Schneidezähne fehlten. Einen Euro sollte es kosten. Bäh! Ob das wohl jemand kauft? Lisa lief weiter.
Hinter einem anderen Stand sah Lisa eine große, dicke Frau, die lauter Strohhüte mit Blumen darauf vor sich liegen hatte. Daneben auf einem Stuhl saß ein kleiner mickriger Mann mit einem Schild vor sich auf den Knien. Offenbar ihr Ehemann. Als Lisa näher kam, wurde der Mann auf sie aufmerksam. Plötzlich hielt er das Schild hoch, aber noch bevor sie lesen konnte, was darauf stand, legte er es hastig wieder weg und schaute, fast schon ängstlich, in Richtung der Frau. Dann hielt er das Schild noch einmal hoch und Lisa konnte jetzt lesen, was darauf stand:
Tausche diese dicke, große Frau
gegen zwei kleine, schlanke!
„O, o! Wenn das mal keinen Ärger gibt!“, dachte sie. Kopfschüttelnd ging sie weiter. Mann o Mann, schon seltsam, was die Leute auf so einem Flohmarkt alles loswerden wollten.
4. Eine seltsame Begegnung
Irgendwann hatte Lisa alles gesehen und wollte schon wieder zu Onkel Heinrich zurück, da entdeckte sie, ganz hinten in der letzten Ecke am Waldrand, eine seltsame Gestalt.
Es war eine alte Frau. Sie saß auf einem niedrigen Schemel und trug richtig altmodische schwarze Kleider mit einem dazu passenden Hut. Die Alte sah aus, als gehöre sie in eine andere, längst vergangene Zeit. Sie hielt den Kopf gesenkt. Vor ihr auf dem Boden stand ein ziemlich altes, abgeschabtes Kästchen aus Holz, nicht viel größer als ein Schuhkarton. Es hatte einen Deckel, der allerdings geschlossen war.
Als Lisa näher kam, schaute die Frau plötzlich auf: „Na mein Kind, suchst du etwas Bestimmtes?“ Das fragte sie mit einer seltsam klingenden Stimme. Lisa erschrak. Sie war ganz in Gedanken versunken und hatte die ganze Zeit eher das Kästchen betrachtet. Die Alte hatte ein freundliches Gesicht mit vielen Falten.
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