Alle gingen in Deckung, Ismail klingelte.
Nichts geschah.
»Paketpost«, rief er.
Sie hörten Schritte auf knarrendem Dielenboden, die Tür blieb zu.
»Keiner da«, sagte Ismail und zog sein falsches Lesegerät vor. »Ärgerlich, Bruder, mußt Du zur Post, um abzuholen. Echt blöd, wenn Du mich fragst.« Das Lesegrät piepte, die Tür öffnete sich einen Spalt. Ismail sah in schwarze, engstehende Augen unter gegeltem schwarzem Haar. »Wir ham nix bestellt«, sagte der Mann, fast noch ein Kind, und linste auf das Paket.
»Is’ mir egal«, sagte Ismail, »hier steht Al-Ahmadi und da auch.« Er tippte auf das Klingelschild.
»Der is’ verreist.«
»Macht drei Euro achtzig.«
Oskar verdrehte die Augen. Was waren denn das für Preise?
Die schwarzen Augen starrten Ismail an. »Muß ich Geld holen«, sagte der Junge.
»Mach det. Und ich kann nich’ wechseln.« Ismail stützte das Paket am Türrahmen ab und schob eine Fußspitze in die Tür. »Schweres Teil«, sagte er und grinste.
Der Junge ging Geld holen. Ismail gab die Tür frei und seine fünf Kollegen schlichen in die Wohnung. Ismail drückte Rudi das Paket in die dicken Finger, zog seine Dienstwaffe aus der Hosentasche und folgte den Kollegen. Der immer noch schnaufende Rudi sah ihm mit großen Augen zu.
»Drei achtzig, hat er gesagt.« Am Ende des langen Flurs, verhandelte der junge Mann mit einem Baßbariton, der ihm in einer Fremdsprache antwortete. Zu wenig Umlaute für den Türken Ismail.
Oskar wies die Kollegen auf die zwei Seiten des Flurs. Linke Seite die Küche, leer. Zurückgeschobene Stühle am Eßtisch, Essensreste, dreckige Porzellanteller, angebrochenes Fladenbrot, ein offenes Glas Oliven, eine Ketchupflasche. Das Bad daneben, gefüllt mit Flaschen und Tuben, drei Rasierapparaten, nassen Handtüchern am Boden, dazwischen schwarze Haare. In der Badewanne eine Plastiktüte, aus der Wäsche quoll. Ein Schlafzimmer mit großem Einzelbett, sorgfältig abgedeckt mit einer schimmernden schwarzen Decke.
»Passend, hat er gesagt. Kann nich’ wechseln.«
Der Bariton stieß kehlige Verwünschungen aus.
Rechte Seite eine Kammer, dunkel, muffig, fensterlos. Noch ein Schlafzimmer, alles leer. Zwei Einzelbetten, zerwühlt, ein voller Aschenbecher auf einem Plastikstuhl dazwischen, über der Rückenlehne gebrauchte Unterwäsche, neben dem Ascher ein teures Handy.
Dann eine geschlossene Tür. Oskar drückte die Klinke, erfolglos. Er zog den steckenden Schlüssel ab und legte ihn auf den Boden.
Blieb nur das Wohnzimmer, in dem die zwei Männer sprachen. Münzen klimperten.
Oskar holte tief Luft, nickte seinen Kollegen zu, gemeinsam stürmten sie los.
Der Junge hob den Kopf, auf dem schwarzglänzenden Couchtisch lagen lauter Euromünzen. Ein älterer Mann saß neben ihm, ein dritter mit glasigen Augen abseits, in der Hand eine Shisha.
Der junge Mann richtete sich auf und faßte in die Hosentasche. Oskar griff seinen Hosenbund im Kreuz, hob ihn an und ließ ihn fallen, mitten in die Münzen. Seine Hose rutschte bis unter die haarige Pofalte. Oskar drehte seinen Arm auf den Rücken und drückte den Kopf seitlich auf die Tischplatte. Der Junge brüllte wie am Spieß.
Der Ältere hob langsam die geschlossenen Hände hoch. Ein Kollege richtete die Waffe auf ihn. »Fallen lassen«, sagte er und deutete auf seine Hände. Euromünzen klimperten auf den Couchtisch.
Ismail stand mit gezogener Waffe in der Zimmertür, zog Handschellen aus dem Hosenbund und warf sie dem glasigen Shishamann zu. »Anschnallen, Bruder«, sagte er.
Rudi, der schnaufende Streifenpolizist, hatte eine Weile allein vor der Tür gewartet. Nachdem die direkte Gefahr gebannt war, wollte er allerdings auch nichts verpassen. Er rückte seine Mütze gerade, zog die Dienstwaffe und durchmaß den Flur. Den Blick voraus, wäre er fast über den Zimmerschlüssel gestolpert. »Tzzz, tzzz«. Er hob ächzend den Schlüssel auf und steckte ihn in das Schloß. Er wollte ihn eigentlich nur fest hineinstecken und drehte ihn um, damit er nicht wieder auf den Boden fiele. Aber dann offnete sich das Schloß. Er drückte die Klinke, ganz vorsichtig, die Waffe voraus.
»Na, was haben wir denn da«, sagte Oskar Blum aus dem Wohnzimmer. »Eine Halbautomatik. Dafür haben die Herren doch wohl nicht etwa einen Waffenschein?«
Der ältere Mann fluchte wieder in seiner fremden Sprache.
Rudi atmete tief ein und öffnete die Tür.
Auf ihn zu stürzte jaulend ein Bullterrier, wich Rudis Körpermasse aus und raste den Flur entlang. Rudi sah ihm verdutzt hinterher, da stürzte ein zweiter aus der Tür. In hohem Tempo erreichten sie das Wohnzimmer, sprangen auf den Couchtisch, schlitterten in die Euromünzen, knurrten und bellten mit sabbernden Mäulern.
Rudi sah in das Zimmer, als ihm ein dritter Bullterrier an den Hals sprang. Schreiend fiel er hintenüber auf die Dielen.
»Was zum Teufel …«, rief Oskar.
Der Bullterrier auf Rudi winselte, leckte sein Gesicht und pullerte ihm warm in die Uniform.
Oskar nahm die Hände von dem Jungen und versuchte, die zwei Bullterrier vom Couchtisch einzufangen. Einer sprang über einen Sessel und raste aus dem Zimmer. »Rudi, die Wohnungstür«, rief Oskar. Der geflüchtete Hund drehte eine irre Runde über die schimmernde Tagesdecke im Schlafzimmer, Speichel triefte aus seinem Maul. Der vollgepinkelte Rudi hielt seinen Hund im Nacken und robbte zur Wohnungstür. Der dritte Terrier sprang hechelnd im Wohnzimmer von einem Möbelstück zum anderen, verbiß sich schließlich in einem Vorhang, zerrte an ihm und knurrte. Zwei Kripobeamte warfen Kissen auf ihn und versuchten ihn einzufangen.
Der Junge, aus Oskars Klammergriff befreit, zog seine Hose hoch, sah sich um und schlich rückwärts zur Wohnzimmertür.
Der Bullterrier aus dem Schlafzimmer hatte genug von der Tagesdecke und raste zu Rudi in den Flur. Rudi hob die Arme und brüllte »Stop!«. Der Terrier bremste ab, fixierte ihn mit heraushängender Zunge und hervorgequollenen Augen und nahm Anlauf. Rudi warf erst die Mütze nach ihm und dann sich auf ihn. Er bekam ein Bein zu fassen, mußte aber den anderen Terrier loslassen. Der machte einen Satz und verschwand durch die weit geöffnete Wohnungstür. Rudi hörte seine Krallen auf den Treppenstufen abwärts schlittern. Schnaufend hielt er den anderen Bullterrier fest. Fünfzig Prozent, dachte er.
Da kam der Junge in den Flur. Sah Rudi bäuchlings mit dem Bullterrierbein in der Hand quer auf den Dielen liegen, hinter ihm die offene Wohnungstür. Er beschleunigte, um über Rudi und Hund zu springen. Rudi sah seine jungen Muskeln sich anspannen, sah die weißen Turnschuhe, das gegelte Haar, die engstehenden tiefschwarzen Augen, die dicke goldene Kette um den dunklen Hals und hob seinen fetten Hintern.
Der Junge, mitten ihm Sprung abgefangen, schlug krachend der Länge nach hin wie ein nasser Sack. Landete halb auf Rudis Allerwertestem, halb auf dem Dielenboden. Rudi drehte sich, immer noch den Hund fest an der Hand, auf den Rücken, schüttelte das Gewicht des Jungen ab wie ein lästiges Insekt, robbte zur Wand, wischte sich mit dem Oberarm den Schweiß von der Stirn und dachte, hundert Prozent.
Hauptkommissar Oskar Blum saß mit verschränkten Armen auf dem Beifahrersitz seines Citroën. Die ausgestreckten Beine hatte er auf dem Lenkrad untergebracht, die Schulter an die Tür gelehnt. Neben der geöffneten Fahrertür kniete ein uniformierter Kollege und redete vernünftig auf ihn ein.
Oskar hielt die Augen geschlossen. Nicht mit ihm. Er war die Kripo, verdammt noch mal, er ließ Absperrbändern ziehen und blieb nicht vor ihnen stehen.
Er hatte nach dem Einsatz die zwei verbliebenen Hunde in die Obhut eines Tierheimmitarbeiters gegeben und sich den Verdächtigen gewidmet. Der Älteste hatte sich nach dem Verbleib der Hunde erkundigt und fortan geschwiegen. Bis sechs Uhr früh hatte Oskar in der Keithstraße die immer gleichen Fragen in drei starr schweigende Gesichter versenkt. Nicht einmal Angaben zur Person entlockte er ihnen. Sie hatten keine Ausweispapiere gefunden, aber zwei Schnellfeuergewehre, vier Revolver, neun Handgranaten, vier Kilo Kokain, drei Kilo Crack und zwölfeinhalb Kilo synthetischer Partydrogen. Ein schöner Fang für Drogenfahndung und Organisierte Kriminalität, aber nichts für Oskars Doppelmord. Sah aus, als hätte der anonyme Anrufer die Kripo mißbraucht, um den Drogenmarkt von einem lästigen Konkurrenten zu bereinigen.
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