Adrian Plass - Darky Green

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Ein idyllisches Dorf an der Südküste Englands. Ein menschenleerer Rastplatz. Ein Keller, ein Pub, ein Hinterzimmer. Eine Leiche. Tom hat Angst. Angst um sich selbst, Angst um das Leben seiner Freunde, besonders um das seiner geliebten Beth. Denn völlig ahnungslos hat diese die Aufmerksamkeit des skrupellosen Gangsterbosses Darky Green auf sich gezogen … Er will sie, um jeden Preis. Und seine unerbittlichen Schläger lauern immer und überall, um ihren Opfern das Leben zur Hölle zu machen … Plötzlich müssen Tom und Beth nach Darky Greens knallharten Regeln spielen. Was können sie seinem Hass schon entgegensetzen? Was taugen ihre Wertvorstellung angesichts der rohen Gewalt, die ihnen da entgegenschlägt? Sie werden mit all dem, was ihnen gut und richtig erscheint, herausgefordert. Als sie sich wehren, lösen die beiden eine Kettenreaktion aus, deren Ende sie nicht absehen können …

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Noreen war außer sich vor Sorge gewesen. Es war wieder über ihren Mann gekommen. Es war nicht leicht, aber schließlich konnte sie Derek dazu bewegen, einen Arzt aufzusuchen. Der Arzt schickte ihn zu einem Psychiater namens Dr. Siddons.

Das war genau das Richtige. Dr. Siddons war eine große Hilfe für Derek und Noreen. Es war das erste Mal, dass jemand ihr die Sache so erklärte, dass sie das Gefühl hatte, sie zu verstehen. Er sagte ihr, solche Dinge machten empfindsamen Leuten wie Derek hin und wieder zu schaffen. Statt ihren Zorn auf die Sache oder die Person zu richten, die ihn ausgelöst hatte, kehrten sie ihn nach innen und begruben ihn irgendwo in ihrem Geist. Wenn das über längere Zeit immer wieder geschah, konnte sich all der verborgene Zorn, der sozusagen geistig nie verdaut worden war, in eine Depression verwandeln und damit zu einem Problem werden, wie es Derek zu schaffen machte.

Zeit und Medikamente brachten die Wende. Derek wurde wieder er selbst. Es gab einen bestimmten Moment in einer bestimmten Stunde an einem bestimmten Tag, in dem Noreen sich einen Kaffee einschenkte und zu dem Schluss kam, dass sie sich jetzt entspannen und wieder anfangen durfte, ihr Leben zu genießen. Keinen ganzen Monat später zeigten sich die ersten Symptome von Dereks Krebs. Bevor das Jahr zu Ende war, war er tot.

Noreen war mit ihrem Einkauf fertig. Der letzte Artikel, der in ihren Wagen gewandert war, war eine Flasche Bristol Cream Sherry. Das elegante, an altes Apothekeninventar erinnernde Gefäß aus schwerem blauen Glas verhieß ihr ein wenig süßen Trost für später. Ein seltener Genuss. Immer waren es Noreens eigenwillige Hände, die ohne ihr Zutun diesen besten aller Sherrys aus dem Regal in der Wein- und Spirituosenabteilung nahmen und vorsichtig unten in den Einkaufswagen zwischen die übrigen Waren legten. Ohne diesen kleinen bewussten Selbstbetrug hätte sie es gar nicht fertiggebracht, ihn zu kaufen. Schon der Gedanke, irgendetwas nur für sich selbst zu tun, reichte aus, damit sie schuldbewusst nach links und rechts schielte und fürchtete, ihre seit Langem tote Mutter könnte beobachten, was sie im Schilde führte, und herüberkommen, um ihr die Leviten zu lesen.

Eine Kasse war frei. Gut. Sie fing an, ihre Einkäufe auf das Transportband zu legen.

»Hallo«, flötete das junge Mädchen an der Kasse, das noch neu in diesem Job war und erst vor zwei Tagen das Trainingsvideo gesehen hatte. Deshalb war ihr noch deutlich vor Augen, dass es ein wichtiger Aspekt der Politik ihres Unternehmens war, jeden ihrer Kunden auf diese Weise fröhlich zu begrüßen.

»Hallo, meine Liebe«, lächelte Noreen, die nie irgendeine Politik verfolgte, aber ausnahmslos zu jedem Menschen freundlich war, dem sie begegnete.

Lances Depressionen waren nie so schlimm gewesen wie die seines Vaters – nun ja, jedenfalls bisher nicht. Zum ersten Mal waren sie ernsthaft aufgetreten, als er kurz vor dem Schulabschluss stand. Nachdem er sich wochenlang wie üblich in seine Arbeit gekniet hatte, hatte ihn mit erschreckender Plötzlichkeit wie eine Besessenheit die Überzeugung gepackt, das alles sei doch nur Zeitvergeudung, er werde wahrscheinlich doch nur mit Pauken und Trompeten durchfallen, also was sollte das Ganze überhaupt? Anfangs hatte sich diese pessimistische Sichtweise Tag für Tag als eine Art dumpfe Niedergeschlagenheit gezeigt, doch nachdem Noreen eines Samstagmorgens ihrem Sohn am Küchentisch gegenübergesessen, seine beiden Hände gehalten und hilflos zugesehen hatte, wie ihm die Tränen übers Gesicht strömten, hatte sie bestürzt erkannt, dass etwas geschehen musste. Der Doktor, inzwischen ein neuer, seit Derek gestorben war, war auf der Höhe der Zeit. Er hatte einen geschulten Therapeuten und eine Krankenschwester in seiner Praxis angestellt. Nach einer langen Unterhaltung mit dem bedrückten Jugendlichen hatte der Doktor einige Sitzungen bei dem Therapeuten angesetzt, die binnen Kurzem beginnen sollten.

Bald zeigte sich, dass Lance seine Gefühle über den Tod seines Vaters nie richtig ausgedrückt hatte, oder zumindest nicht so, dass es ihn weitergebracht hätte. Jetzt, am Ende seiner Schulzeit, wünschte er sich seinen Vater an seiner Seite, als Helfer, Unterstützer und Ratgeber.

Unterstützt und abgelenkt von seiner eigenen Therapie vergrub sich Lance bald wieder im Lernen, auch wenn er auf Steves Vorschlag hin die Sitzungen noch einige Wochen lang fortsetzte, nachdem die schlimmste Phase seiner Depression vorbei war.

Das nächste Mal war es um den Beginn seines zweiten Jahres auf der Universität so weit gewesen – in einer Zeit, in der etliche Studenten den sogenannten »Drittsemesterblues« durchlebten, wie man Noreen erklärt hatte. Diesmal erfuhr sie eigentlich erst davon, als es schon mehr oder weniger bewältigt war. Beth erzählte ihr viel später davon. Offenbar ging es irgendwie um Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Repressive Regime. Kriminellen Missbrauch von Entwicklungsgeldern. Das Wohl des Volkes als Ganzes wurde an die erste Stelle gestellt und die dringenden Bedürfnisse echter einzelner Menschen hatten das Nachsehen. Das Elend des Welthungers. Kleinkarierte Psychopathen, denen die totale Macht auf dem Silbertablett gereicht wurde. Und unter alledem anscheinend, für Noreen völlig unerklärlich, wieder jene Angst vor dem Versagen. Das Grauen davor, mit nichts in den Händen aus dem Westen zurückzukehren. Keine Beute. Nichts für den Topf. Wie konnte es auch anders kommen bei jemandem, der gar kein richtiger Mann war?

Diesmal keine Psychiater oder Therapeuten. Nur Freunde. Olly und Tom und Beth. Hauptsächlich aber, so erfuhr Noreen, Olly, der stundenlang mit Lance im Café des Kunsthandwerkerviertels saß oder zuschaute, wie das Wetter an stürmischen Tagen das Wasser der Cardigan Bay aufpeitschte. Am Ende wurde alles gut. Das zweite Jahr ging vorbei und das dritte kam. Lance hatte ein erstklassiges Examen hingelegt. Olly natürlich ebenso. Beth und Tom, die beide Englisch als einziges Fach belegt hatten, hatten mit Zwei abgeschlossen. Während jener drei Jahre war Olly manchmal während der Ferien bei Lance zu Besuch gewesen. Noreen vergötterte Olly. Er behandelte sie wie eine Königin und er hatte den Kniff heraus, sich mitten im tiefen Herzen ihrer Küche breitzumachen, als hätte er schon immer dort gewohnt. Als Lances Studium zu Ende ging, hatte Noreen die endlose und endlos komplizierte Eisenbahnreise hinunter nach Aberystwyth unternommen, um sie alle bei der Abschlussfeier in ihren gemieteten Roben zu sehen, wie sie ihre akademischen Hüte in die Luft schleuderten, während die stolzen Eltern, die es geschafft hatten zu kommen, Bilder schossen.

Ja, auf lange Sicht war alles gut gegangen, aber seit der Universität war dann die ganze Sache mit den Regenwäldern und der globalen Erwärmung und alledem gekommen. Der Himmel wusste, worum es dabei in Wirklichkeit gegangen war. Jene finstere Wolke hatte sich Gott sei Dank wieder aufgelöst, bevor die Natur und der Ursprung ihres Kerns offenbar wurden. Noreen war es nie gelungen, das Gefühl abzuschütteln, dass möglicherweise sie an allem schuld war. Vielleicht hatte sie irgendeinen Fehler gemacht, als Lance klein war, ohne zu merken, was sie da tat. Hatte sie ihn irgendwie verkorkst? Gewollt hatte sie das auf keinen Fall.

Und jetzt ging es wieder los. Sie konnte es einfach nicht glauben. Noreen packte ihren Einkaufswagen ein bisschen fester, biss sich auf die Unterlippe und blinzelte heftig, um die Tränen zu unterdrücken, die plötzlich in ihr aufstiegen. Jetzt bloß nicht albern werden. Reiß dich lieber zusammen und tu etwas Nützliches. Etwas, das hilft. Sie schlug die Augen auf, zog ein Taschentuch aus dem Ärmel ihres Mantels, putzte sich die Nase und stieß einen kleinen Seufzer aus. Dann zog sie den Wagen mit einer Hand näher zu sich, nahm ihre Handtasche heraus und fischte darin herum, bis sie ihr kleines Notizbuch mit den Telefonnummern hinten drin gefunden hatte. Jetzt noch ein bisschen Kleingeld. Zehn Pence reichten heute nicht einmal mehr aus, um durchzukommen, und selbst zwanzig Pence waren im Nu verbraucht. Aber zwei Fünfzig-Pence-Stücke müssten reichen. Ja, gut. Sie fand noch vier davon zwischen dem anderen Kleingeld in dem kleinen Reißverschlussfach ihrer Handtasche.

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