Jetzt schlägt Franz die Augen auf. Er schaut meine Mutter stirnrunzelnd an. Dann schüttelt er den Kopf und murmelt: »Dideldum. Der Plumpsack geht um.« Er runzelt seine Stirn noch stärker und wiederholt knurrend: »Der-Plumpsack-geht-um!«
Vor meinen inneren Augen sehe ich meine Eltern jetzt als altes Paar. Sie gehen zu meiner Überraschung richtig fröhlich durch einen Park. Meine Mutter in unspektakulären hellbraunen Oma-Halbschuhen, in einem langen taubengrauen Mantel, die Haare jedoch in ihrem üblichen Kupferrot nachgefärbt. Mein Vater trägt ebenfalls einen taubengrauen Mantel, eine anthrazitfarbene Anzughose, tatsächlich mit Bügelfalte, und zu meiner Überraschung ein kleines, elegantes schlohweißes Menjoubärtchen.
Für eine Sekunde sehe ich Franz im Alter von vielleicht fünf in einem Kinderheim. Alle Kinder sollen ‚Die Reise nach Jerusalem‘ spielen, aber Franz hat keine Lust, den Spiel-Verordnungen von oben zu folgen, und erschreckt die anderen Kinder, indem er in einem immer enger werdenden Kreis um sie herumläuft und jedem von ihnen leise ins Ohr raunt: »Dideldum, dideldum, der Plumpsack geht um!«
Franz rappelt sich jetzt auf, fasst sich kurz an die Stirn, auf der eine Platzwunde klafft, lehnt mit einer kleinen, aber doch erstaunlich autoritären Geste das angebotene Taschentuch meiner Mutter ab und schreitet entschlossen zur Tür. Als er die Hand auf die Klinke legt, dreht er sich noch einmal um, fasst Falk ins Auge, und sein Gesicht wird weich: »Herr Wegen kommt nicht über Sie hinweg«, sagt er und lächelt. Falk nickt galant.
»Hirsch ist besser als Neukölln«, knurrt Franz Wegen, oder wie er auch immer heißt, als er die Tür öffnet, undnicht ohne noch einen schwankend ungelenken Knicks vor meiner Mutter zu machen ins Treppenhaus entschwindet.
Meine Mutter hat sich offenbar wieder etwas gefasst. Aber mein Vater hat seinen Kopf in seinen Händen vergraben und wird von Weinkrämpfen geschüttelt. Weder Falk noch ich haben ihn je so gesehen. Falk streichelt ihm scheu über seine großen Schultern. Ich starre erschrocken auf den Topf mit dem Hirschragout, auf das Art-déco-Kännchen mit der Soße, sehe, wie der Soßenspiegel im Rhythmus der Wein-Anfälle meines Vaters mit zittert.
Es ist das letzte Weihnachten gewesen, das wir mit einem Obdachlosen verbrachten, und auch das letzte Mal, dass unser Vater seine orange-rosa gestreifte Weste getragen hat.
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