Horst Bosetzky
Kempinski erobert Berlin
Roman
Jaron Verlag
Taschenbuchausgabe
1. Auflage dieser Ausgabe 2019
© 2010 Jaron Verlag GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.
www.jaron-verlag.deUmschlaggestaltung: Bauer +Möhring, Berlin, unter Verwendung eines Fotos des Bildarchivs Preußischer Kulturbesitz Satz: LVD GmbH, Berlin E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019
ISBN 978-3-95552-248-3
Wenn wir die gegenwärtigen Ereignisse unseres Lebens betrachten, schwanken wir ständig zwischen dem Glauben an den Zufall und der Evidenz des Determinismus. Doch wenn es sich um die Vergangenheit handelt, haben wir überhaupt keinen Zweifel mehr: Es scheint uns völlig klar, dass sich alles so abgespielt hat, wie es sich tatsächlich abspielen musste.
Michel Houellebecq, Elementarteilchen
Cover
Titel Horst Bosetzky Kempinski erobert Berlin Roman Jaron Verlag
Impressum Taschenbuchausgabe 1. Auflage dieser Ausgabe 2019 © 2010 Jaron Verlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung des Werkes und aller seiner Teile ist nur mit Zustimmung des Verlages erlaubt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien. www.jaron-verlag.de Umschlaggestaltung: Bauer +Möhring, Berlin, unter Verwendung eines Fotos des Bildarchivs Preußischer Kulturbesitz Satz: LVD GmbH, Berlin E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019 ISBN 978-3-95552-248-3
Erster Teil: Anfang und Aufstieg Erster Teil
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Zweiter Teil: Expansion und volle Blüte
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Dritter Teil: Elend und Ende
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Vierter Teil: Neubeginn
Kapitel 20
Nachtrag
Anhang
Personen
Literatur
Erster Teil
1855–1910
Berthold Kempinski saß im Kontor seines Vaters und machte Schularbeiten. Aufzuzählen waren die preußischen Könige seit 1701, und das war für ihn ebenso Kinderkram wie die Rechenaufgabe, in der es darum ging herauszubekommen, wie lange ein Eisenbahnzug von Breslau nach Berlin benötigte. Das alles langweilte ihn. Nur gut, dass er im nächsten Jahr nach Ostrowo aufs Gymnasium kam!
Immer wieder schweiften seine Gedanken ab, und sein Blick blieb auf einer Art Plakat hängen, das ein belesener Gehilfe seines Vaters angefertigt und mit vier Reißnägeln über dem Schreibtisch befestigt hatte.
JAGO
Wein her!
Singt. Stoßt an mit dem Gläselein, klingt! klingt! Stoßt an mit dem Gläselein, klingt! Der Soldat ist ein Mann, Das Leben ein Spann, Drum lustig, Soldaten, und trinkt. Wein her, Burschen! (Shakespeare, Othello II, 3)
»Essen und Trinken halten Leib und Seele zusammen«, pflegte sein Vater immer zu sagen, und Berthold Kempinski, der im Oktober zwölf Jahre alt wurde, hatte schnell begriffen, dass ohne dieses Fundament auf Erden kein höherentwickeltes Leben möglich war. Der Mensch musste gut, das heißt mit Genuss essen und trinken, wenn er mit sich und der Welt zufrieden sein wollte. Nur saure Milch in der Schüssel und ein paar Kartoffeln mit Leinöl, wie es bei den Bauern ringsum Usus war, genügten nicht, des Lebens ganze Fülle auszukosten. Mit Vorliebe las Berthold Kempinski Romane, die an den Höfen großer Könige spielten. Gott, was da alles aufgetischt wurde!
Oben im Haus lärmten seine jüngeren Geschwister. Sie spielten Fangen. So lange, bis Moritz mit donnernder Stimme dazwischenfuhr. Er war der Älteste und gefiel sich in der Rolle des Feldwebels.
Berthold achtete und fürchtete den Bruder, aber dass er ihn sonderlich liebte, konnte nicht behauptet werden.
Der Vater trat ein und tat so, als sei er ein Kunde der Weinhandlung und stünde vor dem Inhaber. »Ich hätte gern drei Flaschen Furmint, Herr Kempinski.«
Berthold erhob sich und verbeugte sich mit einer Eleganz, die man einem untersetzten Jungen wie ihm kaum zugetraut hätte. »Sehr wohl, Herr Baron, aber gestatten Sie mir die Anmerkung, dass Ihnen der Furmint zu säuerlich sein wird. Da rate ich Ihnen lieber zum duftigen Hàrslevelü.«
Raphael Kempinski klatschte in die Hände. »Brav, mein Junge, brav! Du bist der geborene Weinhändler.«
»Der geborene Weinhändler ist doch unser Moritz«, sagte Berthold mit ein wenig Neid und Groll in der Stimme. »Ich bin doch zu Höherem berufen.«
Der Vater schwieg, denn er konnte schlecht seine eigenen Aussagen kritisch kommentieren und als Schwachsinn verwerfen. »Nun, beide seid ihr die geborenen Weinhändler, aber nur du hast die Grütze im Kopf, mehr zu werden als das, dir hat der Ewige ganz besondere Gaben mit auf den Weg gegeben. Du kannst Bankier werden, Arzt, Advokat, Offizier.«
Berthold lachte. »Wenn wir keine Juden wären.«
»Und was ist mit Meno Burg?«, fragte der Vater. Der hatte es als erster Jude in der preußischen Armee bis zum Major und hochgeachteten Lehrer an der Artillerie- und Ingenieurschule in Berlin gebracht. Vor zwei Jahren war er verstorben.
»Ich will nicht auf andere Menschen schießen!«, rief Berthold.
Der Vater machte eine abwiegelnde Bewegung mit beiden Händen. »Ist ja gut, Junge, ist ja gut. Ich schieße ja auch lieber mit Sektkorken als mit Gewehrkugeln. Apropos Sekt: Wer ist das, der ausruft: ›Gib mir ein Glas Sekt, Schurke! – Ist keine Tugend mehr auf Erden?‹ Auch dieser Jago da?« Er zeigte auf die Verse über seinem Schreibtisch.
»Keine Ahnung.«
Keiner von beiden kam auf den Namen Falstaff, und sie trösteten sich damit, dass sie es erfahren würden, wenn Berthold erst auf das Gymnasium in Ostrowo ging.
Berthold liebte und bewunderte seinen Vater. So wollte auch er einmal werden: vital und fröhlich, immer optimistisch und voller Familiensinn.
Raphael Kempinski sollte später von einem Verwandten wie folgt beschrieben werden: »Mit greifbarer Lebendigkeit steht er vor mir: gesund, kräftig, lebensmutig, die Freude an des Lebens süßer Gewohnheit aus den Augen blitzend und das gütige Herz erfüllt von sieghaftem Humor; mit scharfem Verstande und weitem Blick einen großen kaufmännischen Wirkungskreis beherrschend, ragte er hoch empor über seine Umgebung.«
»Um beim Sekt zu bleiben: Du mögest dem Herrn Regierungsreferendarius Sigismund von Schrecken alsbald zwei Flaschen vorbeibringen«, fuhr der Vater fort
»Von Schecken«, verbesserte Berthold den Vater. »Nicht Schrecken. So spotten nur die Polen über ihn.«
Während es Moritz Kempinski unter seiner Würde fand, den Laufburschen zu spielen, und auch die jüngeren Geschwister bei solchen Aufträgen stets maulten, lief Berthold gerne durch das Städtchen und brachte den Leuten Wein und Sekt nach Hause. Sie strahlten immer, wenn er kam, und nichts machte ihm mehr Freude, als anderen eine Freude zu machen. So ließ er sich unten im Laden vom Gehilfen die beiden für den jungen Beamten bestimmten Flaschen aushändigen und trabte los.
Raphael Kempinski gehörte das Eckhaus an der Einmündung der Kaliska-Straße in den Marktplatz, auch Rynek genannt.
Die Mutter winkte ihm hinterher und mahnte: »Pass gut auf dich auf!« Rosalie Kempinski war immer in Sorge um ihre Kinder und von unerschöpflicher Güte. Berthold liebte sie.
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