Keiner hatte bisher den Mut gehabt, als Papst den Namen des großen Reformers aus Assisi zu wählen, kommentiert der Vatikanexperte von TV 2000 , dem Sender der italienischen Bischofskonferenz, völlig überrascht. Und nur wenige Monate zuvor hatte der „Guru“ der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung, Roberto Casaleggio, im Buch Il grillo canta sempre al tramonto geschrieben: „Es kann ja kein Zufall sein, dass es bisher noch keinen Papst gab, der sich Franziskus nannte. Wir haben die 5-Sterne-Bewegung ganz bewusst am Tag des heiligen Franziskus gegründet. Politik ohne Geld. Die Achtung von Natur und Umwelt.“
Doch jetzt ist plötzlich alles anders. Jetzt ist es der Erzbischof von Buenos Aires – der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri –, der die Ideale des christlichen Revolutionärs zur römisch-katholischen Chefsache erhebt. „Ein Name, ein Programm“ schreiben Tage später Journalisten aus aller Welt.
Ein Erneuerer war der heute zu den beliebtesten Heiligen zählende poverello , wie Franz von Assisi genannt wurde, zu seinen Lebzeiten. Radikal setzte der „Narr Gottes“ das Evangelium in die Tat um. Der 1182 geborene Sohn eines reichen Tuchhändlers hielt dem von moralischem Verfall gezeichneten Klerus einen Spiegel vor. Er schwor dem süßen Leben ab, gründete den „Orden der minderen Brüder“ und reformierte so von innen die Kirche, die damals – wie auch heute – eine schwere Glaubwürdigkeitskrise durchlebte.
Und die Kirche? Diese tat sich lange Zeit durchaus schwer mit dem heutigen Schutzpatron Italiens, der für viele als größter Heiliger der römisch-katholischen Kirche gilt.
Bei seiner Audienz für 6.000 Journalisten, die nach dem Papstrücktritt und während der Papstwahl in Rom anwesend sind, plaudert Franziskus wenige Tage später freimütig aus dem Konklave. Als sich die Lage bei der Auszählung der Stimmen „für mich zuspitzte“, habe ihn sein Sitznachbar und „großer Freund“, der emeritierte Erzbischof von São Paulo, Kardinal Claudio Hummes, ein Jesuitenschüler und Franziskaner, „bestärkt“. Und als die Anzahl der Stimmen zwei Drittel erreichte, erscholl der übliche Applaus, da der Papst gewählt war. „Da umarmte und küsste er mich. Und er sagte zu mir:, Vergiss die Armen nicht!‘ Da setzte sich dieses Wort tief in mir fest: die Armen, die Armen.“ Er habe dabei sofort an Franz von Assisi gedacht. „Franziskus war ein Mann der Armut und des Friedens; einer, der sich für die Schöpfung eingesetzt hat“, erläutert der frisch gewählte Papst seine viel beklatschte Entscheidung, um schließlich uns Medienvertretern sein zentrales Anliegen mitzugeben: „Ich möchte eine arme Kirche und eine Kirche für die Armen.“
Wie ernst es Jorge Mario Bergoglio mit Demut und Bescheidenheit ist, kann man bereits bei seinem ersten Auftritt erkennen: In einer weißen Soutane und ohne Stola betritt er die Mittelloggia des Petersdoms. Auf der Brust ein schlichtes Kreuz aus Eisen, das er bereits als Erzbischof von Buenos Aires getragen hat. Mit einem „ buonasera “ wendet Franziskus sich an die jubelnden Menschen auf dem Petersplatz und mit einfachen Worten beschreibt er die Arbeit der Kardinäle. „Ihr wisst, es war die Aufgabe des Konklaves, Rom einen Bischof zu geben. Es scheint, meine Mitbrüder, die Kardinäle, sind fast bis ans Ende der Welt gegangen, um ihn zu holen.“ Kein einziges Mal fällt an diesem Abend das Wort „Papst“. Franziskus spricht vielmehr vom gemeinsamen Weg von Volk und Bischof, „einem Weg der Geschwisterlichkeit, der Liebe, des gegenseitigen Vertrauens“. Und er bittet die Anwesenden „um einen Gefallen“. Bevor er die Menschen segnet, „bitte ich euch, den Herrn anzurufen, dass er mich segne: das Gebet des Volkes, das um den Segen für seinen Bischof bittet.“ Als er zum Schluss noch eine gute Nacht und angenehme Ruhe wünscht, hat er die Herzen der Römerinnen und Römer bereits erobert.
Es sind unglaubliche Szenen, die wir rund um den Petersplatz miterleben. Lachende und strahlende Menschen fallen einander um den Hals und gehen glücklich nach Hause. Die meisten hier sind sich einig, dass eine neue Ära beginnt.
Franziskus’ Stärke ist seine Authentizität. Wo Franziskus draufsteht, ist Jorge Mario Bergoglio drinnen. Daran sollte auch die Papstwahl nichts ändern. Das, was die gesamte Weltpresse in den folgenden Tagen in Erstaunen versetzt, ist für den 76-jährigen ehemaligen Erzbischof nur eine logische Konsequenz seines bisherigen Lebens. So legt er am Abend der Wahl den Weg zum Abendessen nicht in einer luxuriösen Papstlimousine zurück, sondern steigt wie bisher mit den anderen Kardinälen in einen Kleinbus. Humor und Tatendrang, so werden einige dann erzählen, sind weitere Eigenschaften des Argentiniers. Wo Joseph Ratzinger angesichts der Bürde des Amtes vom „Fallbeil“ gesprochen hat, zeigt sein Nachfolger eine Art südländische Leichtigkeit des Seins. Mit den Worten „Möge Gott Euch vergeben für das, was Ihr getan habt!“ bedankt sich ein heiterer Franziskus während des Abendessens bei den Kardinälen.
Kaum ist Franziskus im Amt, ändert sich der Stil im Vatikan. Auch Benedikt XVI. war ein bescheidener Mensch, doch als Papst vermittelte er äußerlich ein vom 19. Jahrhundert geprägtes Kirchenbild. Rote Schuhe, prunkvolle Gewänder und selbst der Camauro – eine fellbesetzte Samtmütze – kamen zum Einsatz. Hermelin und edle Stoffe sind jedoch nicht die Sache von Franziskus. Auch die roten Schuhe wird er ablehnen. Bei einem Treffen mit Seminaristen und jungen Ordensfrauen zum „Jahr des Glaubens“ macht er einmal mehr deutlich, was es für ihn bedeutet, Geistlicher zu sein. Wer sich der Kirche verschreibe, müsse dem Gebot der Armut folgen. „Es tut mir weh, wenn ich einen Priester oder eine Nonne in einem nagelneuen Auto sehe. So etwas geht nicht!“ Dem Papst geht es dabei nicht darum, zu Fuß zu gehen, „es reicht ein bescheidenes Auto, nicht wahr? Denkt daran, wie viele Kinder verhungern.“ Das Glück der Welt liege nicht darin, das „modernste Smartphone oder das schnellste Auto“ zu besitzen.
Franziskus setzt also gleich zu Beginn Akzente. Als die Kardinäle dem frisch gewählten Papst in der Sixtinischen Kapelle ihren Respekt erweisen, nimmt Franziskus nicht wie üblich auf dem Papstthron Platz. Er nimmt die Huldigungen stehend entgegen. „Sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, das ist die größte Gefahr für die Kirche.“ Dieser Satz wird noch öfter von ihm zu hören sein.
Franziskus bleibt bodenständig. Legendär ist inzwischen sein Auszug aus dem Priesterwohnheim, in dem er bis zum Beginn des Konklaves in Rom gewohnt hatte. Er packt eigenhändig seine Sachen und bezahlt an der Hotelrezeption seine Rechnung. Damit wolle er ein gutes Beispiel für andere Priester und Bischöfe geben, erzählt Vatikansprecher Federico Lombardi. Ein Gast im Haus erinnert sich: „Man merkte nicht, dass er ein Kardinal war. Er fragte nie nach einem Auto, nahm immer ein öffentliches Verkehrsmittel oder ist gelaufen.“ Ein normaler Gast sei er gewesen.
So normal wie möglich will er auch hinter den Mauern des Vatikans weiterleben. Das Protokoll sieht den Einzug in das Gästehaus Domus Sanctae Marthae (auch Casa Marta genannt) vor. Die Verbleibdauer in der Suite 201 hängt von den Restaurierungsarbeiten der päpstlichen Gemächer ab. Diese sind schnell fertig, jedoch Franziskus macht keine Anstalten, Casa Marta zu verlassen. Dort ziehen nach dem Konklave die ursprünglichen Bewohner, rund fünfzig Prälaten, die dauerhaft an der Kurie arbeiten, wieder ein. „Der Papst will eine normale Weise des Zusammenlebens mit anderen ausprobieren“, heißt es offiziell Ende März im Vatikan. Anfang Juni nimmt Papst Franziskus bei einem Treffen mit 9.000 Schülerinnen und Schülern im Vatikan selbst Stellung. Auf die Frage eines Mädchens, „Warum hast Du die Reichtümer des Papstes, zum Beispiel das große Apartment, abgelehnt?“, antwortet Franziskus: „Ich glaube nicht, dass es nur um Reichtum geht. Bei mir ist das alles eine Frage der Persönlichkeit. Ich muss unter Leuten leben. Würde ich allein leben, oder sogar isoliert, würde mir das nicht gut tun. Mich hat auch ein Lehrer gefragt. Und ich habe gesagt: Herr Professor, ich mache das aus psychiatrischen Gründen. Ich kann nicht anders.“ Dann kommt Franziskus auf die Frage von Arm und Reich zurück: „Die Armut in der Welt ist ein Skandal. In einer Welt, in der es so viele Reichtümer gibt, so viele Ressourcen, um allen Essen zu geben, kann man nicht verstehen, warum so viele Kinder hungrig bleiben; dass es Kinder ohne Ausbildung gibt und so viele arme! Die Armut heute ist ein Aufschrei. Wir alle müssen darüber nachdenken, wie wir ein wenig ärmer werden können.“
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