Alexander Grau - Politischer Kitsch

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Der politische Kitsch hat Hochkonjunktur – in allen politischen Lagern: Betroffenheitsrhetorik, Mahnwachen, Solidaritätsbekundungen – alles im Namen von Buntheit, Menschlichkeit oder Anständigkeit. Sentimentale Worthülsen, penetrante Gefühligkeit, Verklärung des Gestern und infantile Inszenierungen bestimmen den öffentlichen Diskurs. Die gesellschaftlichen Debatten sind geprägt von aggressiver Rührseligkeit und peinlichen Politritualen. Leerformeln scheinen das bevorzugte Sprachspiel in deutschen Landen. Der Philosoph und Publizist Alexander Grau deckt schonungslos die gesellschaftlichen Ursachen des grassierenden Politkitsches auf und analysiert seine Funktion in den aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.

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Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt, München

Umschlagbild: © Dja65/shutterstock

Layout: Mario Moths, Marl

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, 2019

ISBN 978-3-532-60042-9

INHALT

Cover

Titel

Impressum Copyright © Claudius Verlag, München 2019 www.claudius.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden. Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt, München Umschlagbild: © Dja65/shutterstock Layout: Mario Moths, Marl E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, 2019 ISBN 978-3-532-60042-9

Vorwort

Einleitung

I. Kitsch und Religion: Das kitschige Bewusstsein

II. Die Erfindung des Kitsches

III. Die Erfindung des politischen Kitsches

IV. Vom totalitären zum absoluten Kitsch

V. Infantilisierung, Emotionalisierung, kitschiges Bewusstsein

VI. Eine deutsche Spezialität

Anmerkungen

VORWORT

Politischer Kitsch hat Hochkonjunktur. Sentimentale Worthülsen, penetrante Gefühligkeit, süßliche Bilder und betroffenheitsschwangere Gesten bestimmen den öffentlichen Diskurs. Die gesellschaftlichen Debatten sind geprägt von einer Mischung aus aggressiver Rührseligkeit, überspannter Empfindsamkeit und peinlichen Politritualen.

Doch Konjunktur hat nur, was auch erfolgreich ist. Das bedeutet: Kitschige Politkommunikation wird häufig nicht als unpassend oder peinlich empfunden, sondern als authentisch und ehrlich. Politiker oder Aktivisten, die sich kitschiger Floskeln und Inszenierungen bedienen, wirken anscheinend besonders glaubwürdig, einfühlsam und bodenständig. Larmoyanz, Sentimentalität und eine leicht hysterische Überreiztheit wird von vielen Menschen nicht als unangemessen oder aufdringlich empfunden, sondern als wohltuender Kontrast zum sachlichen Realpolitiker und kühlen Politprofi. Kitschige Kommunikation, so ist zu vermuten, gilt als Indiz für Menschlichkeit, echte Gefühle und Anteilnahme. Und Gefühle und Anteilname sind etwas, was Menschen zunehmend auch von Politikern erwarten. Kurz: Es gibt ein Bedürfnis nach politischem Kitsch, sonst gäbe es ihn nicht.

Das bedeutet zugleich, dass Kitsch als Mittel öffentlicher Kommunikation kein isoliertes Phänomen politischer Ästhetik ist, sondern Ausdruck psychosozialer Entwicklungen. Der Siegeszug des politischen Kitsches ist Teil eines soziologisch und kulturell bedingten Mentalitätswandels. Der allerdings ist alles andere als harmlos. Denn eine Gesellschaft, die politische Fragen zunehmend im Modus zur Schau getragener Gefühligkeit behandelt, weil andere Formen der Kommunikation als zu nüchtern, abgeklärt oder sachbezogen empfunden werden, verweigert sich der Realität und gefährdet ihre Fähigkeit, Herausforderungen schnell und effizient zu lösen. Insbesondere die Massenmedien bevorzugen es, betroffenheitsschwanger tragische Schicksale und verzweifelte Menschen vorzuführen und so sachliche Diskussionen im Keim zu ersticken. Das ist auch deshalb problematisch, weil politischer Kitsch unverkennbar autoritäre Politik zu legitimieren scheint. Wenn Augenmaß, Sachverstand und Nüchternheit verloren gehen, wenn die Gesellschaft rhetorisch in einen andauernden Alarmzustand versetzt wird, wenn überspannte Emotionen und süßliches Pathos die öffentliche Debatte bestimmen, dann sind rationale Diskussionen kaum noch sinnvoll führbar. Dann dominieren von Aktivisten geschürte Affekte und Ressentiments die öffentlichen Diskussionen. Der Raum der überhaupt noch als legitim empfundenen Meinungen wird permanent enger. Jeder, der nicht bereit ist, sich auf den verkitschten Diskurs einzulassen, wird als Unmensch entlarvt. Politischer Kitsch ist daher nicht einfach nur ein Verstoß gegen die politische Ästhetik und eine Beleidigung der nüchternen Vernunft, sondern auch eine Gefahr für die offene Gesellschaft.

EINLEITUNG

Deutschland versinkt im politischen Kitsch: Bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit formiert sich die Riege der Engagierten und Betulichen zu ergreifenden Lichterketten, anrührenden Mahnwachen oder herzerwärmenden Solidaritätsbekundungen. Und wenn das alles nicht genug ist, dann versammelt man sich zu einem bedeutungsschweren Schweigemarsch. Immer zur Hand dabei das unentbehrliche Equipment aller Rührseligen und Betroffenen: Kerzen, von Kinderhand gemalte Bilder, sentimentale Sinnsprüche, bunte Blumen und natürlich Kuscheltiere aller Art und Größe.

Dies alles geschieht, um „Zeichen zu setzen“ oder „Gesicht zu zeigen“. Hier sammelt sich die „Zivilgesellschaft“, etwa zum „Aufstand der Anständigen“, gern zeigt man sich „wachsam“ und „engagiert“, insbesondere wenn etwas auf dieser Welt einem „Angst macht“. Dann versammelt sich das erbauungsgierige Publikum, um der gesammelten Phraseologie moralischer Einfalt und den gängigen Plattitüden guter Gesinnung zu lauschen – vorgetragen vorzugsweise durch Protagonisten der Unterhaltungsbranche, also Fachleuten für Emotionalisierung, oder am besten gleich durch Kinder.

Als Hochfeste des politischen Kitsches erweisen sich die Großveranstaltungen der Kirchen. Insbesondere die Kirchentage bedienen sich eines von penetranter Rührseligkeit triefenden Vokabulars, unerträglich sentimentaler Bilder, einer zutiefst einfältigen Sprache und einer gedanklichen Vereinfachung, die man erwachsenen Menschen zunächst kaum zutraut.

Was an diesen öffentlichen Äußerungen und Darbietungen irritiert, ist zunächst weniger der Inhalt. Nichts spricht schließlich gegen Umweltschutz, Frieden oder Humanität. Und dass es in einer Demokratie nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht ist, öffentlich die eigenen Sorgen, Nöte, Wünsche oder Hoffnungen zu artikulieren, ist ohnehin selbstverständlich.

Was die öffentlichen Bekundungsrituale der Gutmeinenden jedoch häufig so abstoßend macht, ist das gnadenlos Infantile der jeweiligen Selbstdarstellung, das Aufgekratzte und Gefühlige der benutzten Sprache, die süßlichen Bilder und Metaphern, kurz: der unerträgliche politische Kitsch, der hier von erwachsenen und (vermutlich) denkenden Menschen inszeniert wird.

Politischer Kitsch, das machen schon die wenigen oben genannten Beispiele deutlich, verwendet ästhetischen Kitsch zur Kommunikation einer politischen Botschaft oder eines gesellschaftlichen Anliegens. Doch politischer Kitsch ist nicht einfach nur ästhetischer Kitsch in der Politik. Das wäre banal und nicht weiter der Rede wert. Politischer Kitsch ist vielmehr das Ergebnis einer inneren politischen Haltung, eines politischen Bewusstseins, das selber kitschig ist und sich konsequenterweise des ästhetischen Kitsches bedient, um seine Anliegen zu artikulieren.

Basis des kitschigen Politbewusstseins, so eine der Thesen des vorliegenden Essays, ist der moralische Kitsch. Er ist das psychologische Fundament, auf dem der politische Kitsch gedeiht, der sich dann des ästhetischen Kitsches bedient.

Wie der ästhetische Kitsch, so baut auch der moralische Kitsch vor allem auf Sentimentalität. Sein Feld ist die zur Schau getragene Empfindsamkeit. Dementsprechend geht es ihm nicht um eine rationale Analyse oder gar um das Abwägen verschiedener Perspektiven. Rationalismus und kühle Vernunft sind für ihn schlichter Zynismus. Das kitschige Bewusstsein will nicht verstehen, es will dazugehören und geborgen sein. Geborgen aber fühlt es sich nur in einer überschaubaren und geordneten Welt. Deshalb basiert der moralische Kitsch auf Komplexitätsreduktion. Für ihn gibt es nur Gut und Böse, Hell und Dunkel.

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